Um die Wette husten – Tuberkulose-Behandlung in Kalkutta
Die Berichte über unsere Arbeit stammen stets aus der Perspektive unserer Organisation und unserer Ärzte. Klar – wie sollten wir dies auch sonst leisten? Dabei sollte man nicht vergessen, dass dies die europäische Sicht auf die Dinge ist. Es wird also Zeit für einen Perspektivwechsel. Dankbar sind wir daher für ein neues Projekt unseres Langzeitarztes Dr. Tobias Vogt, der seit vielen Jahren in Kalkutta arbeitet und insbesondere in der Tuberkulose-Behandlung ein großartiger Fachmann ist. Er spricht mit seinen Patienten, versetzt sich in sie hinein und schreibt deren Geschichte auf, so dass dieses Mal die Patienten zu Wort kommen:
„Selam aleikum! Ich heiße Leela und bin 16 Jahre alt. In diesen Tagen beende ich meine zweijährige Tuberkulose-Behandlung. Die Tuberkulose war eine ganz schwere Krankheit und eine schwere Prüfung in meinem Leben. Die Behandlung hatte es ebenfalls in sich. Auf dem ersten Foto sieht man mich zu dem Zeitpunkt, an dem die Diagnose bei mir gestellt wurde. Damals kam ich in ein spezielles Krankenhaus, das von den German Doctors und von indischen Ärzten gemeinsam geleitet wird. Das Bild zeigt mich auf der Dachterrasse dieses Krankenhauses. Ich war ansteckend für andere, musste deshalb in ein Einzelzimmer. Auf diesem kleinen Flur waren wir sechs Jugendliche und Frauen, die alle ähnliche Probleme wie ich hatten. Wir haben gewissermaßen um die Wette gehustet. Wenn ich mir das Bild von damals so ansehe, bin ich erstaunt, wie dünn ich damals war, und dass ich fast alle meine Muskeln verloren hatte. Diese Zeit war ziemlich hart für mich wegen der wochenlangen Fieberschübe, der Kurzatmigkeit, und weil ich damals nichts essen konnte.
Die Behandlung war auch ziemlich anstrengend. Ich musste neun verschiedene Medikamente gleichzeitig einnehmen, davon eine tägliche Spritze, die gemein weh tut. Diese Spritze bekam ich über sechs Monate jeden Tag. Die anderen Medikamente kann ich jetzt nach zwei Jahren ununterbrochener Tuberkulose-Behandlung endlich absetzen. Diese Medikamente sind sehr stark und erzeugen Übelkeit, wenn man sie morgens alle hinunterschlucken soll. Das Gemeine ist, wenn man sie wieder herausbricht, kommen die Krankenschwestern und sagen einem: ‚Die musst du alle noch mal einnehmen, denn nachdem Du sie herausgebrochen hast, können sie ja nicht wirken.‘ Damals hatte ich noch andere komische Nebenwirkungen, an die ich heute gar nicht mehr zurückdenken möchte. Ich hatte einen seltsamen Hautausschlag und musste mehrfach in ein Labor nach Kalkutta, wo man mir Blut abnahm. Letztlich verschwand aber auch dieser Ausschlag wieder.
Zwischendurch wurden meine Medikamente mehrfach umgestellt. Irgendwann hatte ich eines Tages die Nase voll und habe mir ein paar Tage frei vom Krankenhaus genommen. Der lange weiße Arzt hat es auch erlaubt und ich habe die Medikamente zu Hause eingenommen. Nach ein paar weiteren Monaten, in denen es mir dann zunehmend besser ging, habe ich dem Arzt gesagt, dass ich jetzt nach Hause gehe und nicht mehr wiederkomme, und dass ich die Medikamente jetzt ambulant einnehmen möchte. Da war der Arzt sehr erschrocken, und wir hatten einige lebhafte Diskussionen. Am Ende habe ich durchgesetzt, dass ich den Rest der Tuberkulose-Behandlung ambulant wahrnehmen konnte. Es lief eigentlich auch ganz gut. Ich musste alle drei Tage zum Krankenhaus gehen und mir die Medikamente für die nächsten drei Tage dort abholen. Der Arzt hat mich mehrfach gelobt, dass ich meine Medikamente so präzise einnehme und keine Fehltage habe wie andere Patienten, die ambulant behandelt werden.
Das andere Foto zeigt mich bei meinen Abschlusstests bei den weißen Ärzten. Links und rechts neben mir sind meine Krankenschwestern, die mich die zwei Jahre lang durch die Tuberkulose-Behandlung begleitet und geführt haben. Wir sind Freunde geworden. Zum Abschluss sagte der weiße Arzt: ‚Jetzt ist alles in Ordnung, jetzt kannst du diese Krankheit vergessen.‘ Dann hat er mich sogar noch gefragt, ob ich vielleicht in seinem Zentrum mitarbeiten wolle. Er sagte, dass ich meine Medikamente so gewissenhaft eingenommen hätte. So jemanden könnten sie gebrauchen, weil ich das den anderen Patienten erklären und darauf achten könnte, dass die ihre Medikamente ebenfalls korrekt einnehmen. Aber ich bin nur drei Jahre zur Schule gegangen, ich kann nicht lesen und schreiben und wäre nicht dafür geeignet, Dokumente von Patienten auszufüllen. Deshalb habe ich dem Arzt abgesagt.
Die Krankheit hat mich verändert. Ich bin wohl vom Kind zu einer Erwachsenen geworden. Ich weiß, wie sehr diese Krankheit mein Leben und das Leben anderer Frauen, Männer und Kinder meiner Siedlung hier bedroht. Ich habe auch gelernt, dass ich nur durch mein absolut präzises Mitmachen zu diesem Erfolg gekommen bin. Die anderen Mädchen in meinem Alter wissen von alldem nichts. Wenn ich sie reden höre, denke ich mir manchmal, dass die vom wirklichen Leben noch nicht viel gesehen haben. Denn in dem Krankenhaus, in dem ich war, musste ich noch schwerere Schicksale erleben als mein eigenes. Manche gute Freundin ist auf der Station gestorben. Vielleicht gelingt es mir ja doch noch eines Tages, meine Erfahrung und mein Wissen zum Nutzen der anderen Mädchen meines Stadtteils zu verwenden. Heute ist aber ein schöner Tag für mich, denn die Medikamente sind endlich abgesetzt.“
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