UPDATE: Depression bei Angehörigen von Beatmungs-Patienten

Wie aktuell der vorausgegangene Praxis-Beitrag zu psychischen Belastungen bei Angehörigen von beatmeten Intensivpatienten ist, zeigt eine druckfrische Publikation im New England Journal of Medicine: Ein Jahr nach Entlassung der Patienten leidet noch fast jeder zweite Angehörige unter Depressionen. Die Autoren vermuten, daß die psychische Belastung sogar höher ist als bei der Betreuung von Demenzkranken und empfehlen maßgeschneiderte psychosoziale Unterstützungsangebote.

Eine aufrüttelnde Studie aus dem „RECOVER program“

Das Autorenteam um Cameron JI bestimmte die Charakteristika von invasiv beatmeten Intensivpatienten und deren Angehörigen. Untersucht wurden Zusammenhänge mit dem körperlichen und psychischen Befinden der Angehörigen im Verlauf des ersten Jahres nach Entlassung der Patienten.

280 betreuende Angehörige von Intensivpatienten, die länger als 7 Tage invasiv beatmet waren, wurden 7 Tage, sowie 3, 6 und 12 Monate nach Entlassung mittels Fragebögen untersucht auf

  • depressive Symptome
  • psychisches Wohlbefinden
  • gesundheitsbezogene Lebensqualität
  • Gefühl der „Lebensmeisterung“ (sense of control, personal growth)

Betreuung von Intensivpatienten nach Entlassung vor allem eine psychische Herausforderung

Das körperliche Befinden der Angehörigen entsprach der Durchschnittsnorm. Ein beträchtlicher Prozentsatz der Angehörigen zeigte jedoch hohe Depressivitätswerte:

  • initial 67%
  • nach einem Jahr 43%

Bei 16% der Angehörigen blieben diese Werte im Verlauf auf konstant hohem Niveau.

Patienten-Variablen (u. a. Ergebnisse von 6-Minuten-Gehtest, motorischem Funktionstest, kognitivem Funktionstest) hatten während des Untersuchungszeitraums keinen signifikanten Einfluss auf das Befinden der Angehörigen.

In Übereinstimmung mit drei ähnlich konzipierten Studien weisen die Autoren darauf hin, daß die pflegenden Angehörigen von überlebenden Beatmungs-Patienten ein höheres Depressions-Risiko aufweisen als Angehörige von Patienten mit anderen chronisch-fortschreitenden Erkrankungen (wie bspw. M. Alzheimer).

Schutzfaktoren als Ansatzpunkte für psychosoziale Unterstützungsangebote

Ein besseres Befinden zeigten im „RECOVER program“:

  • ältere Angehörige
  • mit höherem Einkommen
  • mehr sozialer Unterstützung
  • höherem Gefühl von Kontrolle und persönlichem Wachstum

Interventionen sollten das Gefühl der persönlichen „Lebensmeisterung“ durch psychosoziale Unterstützung stärken und Freiräume für das persönliche Wachstum durch Entlastung der pflegenden Angehörigen schaffen. Darüber hinaus bieten sich bei persistierenden psychischen Störungen vor allem Verfahren mit folgenden Ansätzen an:

  • kognitiv
  • ressourcenorientiert
  • sinn-zentriert

Dem weiten Feld der psychotherapeutischen Begleitung von Beatmungs-Patienten – und ihren Angehörigen – widmet sich auch mein Workshop beim

37. Kongress der DGTA

vom 20. bis 22. Mai 2016

in Hamburg