Achtsamkeit – ein Weg für Patienten mit chronischen Lungen-Erkrankungen?

Atemnot trotz optimaler Therapie, verminderte Lebensqualität durch Depression und Ängste, Fatigue und Schwächegefühl: diese Einschränkungen betreffen viele Patienten mit Asthma, COPD, interstitieller Lungenerkrankung oder Pulmonaler Hypertonie. Behandlungsangebote sind dringend notwendig – ihr Nutzennachweis ist schwierig. Für Achtsamkeitsbasierte Interventionen gibt es erste hoffnungsvolle Ergebnisse.

Achtsamkeits-Training bei Asthma

Den Effekt eines Achtsamkeits-Trainings bei Asthma-Patienten untersuchen Pbert L et al. in einer randomisierten kontrollierten Studie. Sie finden eine klinisch signifikante und über 12 Monate anhaltende Verbesserung der Lebensqualität durch ein 8-wöchiges achtsamkeitsbasiertes Stress-Reduktions-Gruppenprogramm (MBSR = Mindfulness Based Stress Reduction) – im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, die ein allgemeines  „Healthy Living“-Schulungsprogramm absolvierte.

Die Lungenfunktion (morgendlicher Peak Flow (PEF), PEF-Veränderung, FEV1-Wert) zeigt keine Besserung.

Bei der Testung nach 12 Monaten hat sich das Stress-Niveau der MBSR-Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant gesenkt.

Weniger Dauermedikation bei gleichzeitig erhöhter Rate von Asthmakontrolle ist in der MBSR-Gruppe nachweisbar, jedoch nicht signifikant.

Fazit für die Praxis

  • Achtsamkeits-Training erreicht in dieser Studie eine anhaltende Verbesserung der Lebensqualität, besonders in den emotionalen Bereichen.
    • Das Ausmaß der Verbesserung ist mit den Effekten von Asthma-Medikamenten (inklusive inhalative Corticosteroide und Anti-IgE-Antikörper) vergleichbar.
    • Für andere komplementäre Verfahren kann ein ähnlich positiver Effekt auf die Lebensqualität bei Asthma bisher nicht nachgewiesen werden.
    • MBSR kann offensichtlich durch geeigneten Umgang mit Stress zu einer geringeren Asthma-Morbidität und einem besseren Selbst-Management beitragen.
  • Die Unabhängigkeit der Lebensqualitäts-Steigerung von der Lungenfunktion hat Auswirkungen auf die psychopneumologische Debatte über die kausalen Beziehungen zwischen Stress und Asthma.
    • Experimentell erzeugter Stress erhöht zwar den Atemwegswiderstand von Asthma-Patienten – dauerhafter Lebens-Stress ist jedoch nicht mit der Lungenfunktion korreliert.
    • Offensichtlich verringert Stress zwar die Lebensqualität bei Asthma, verschlechtert jedoch nicht die Lungenfunktion.
  • Die anfänglichen Verbesserungen in beiden Studiengruppen zeigen nach sechs Monaten gegensätzliche Verläufe:
    • In der Kontrollgruppe sinken sie im Verlauf der 12 Monate wieder auf das Ausgangsniveau – ein möglicher Hinweis auf einen Placebo-Effekt des „Healthy Living“-Programms.
    • Die MBSR-Gruppe behält bzw. verbessert ihren Zuwachs an Lebensqualität – ohne weitere Interventionen.

Eine genauere Untersuchung sollte zukünftig klären, welche der Elemente des Achtsamkeits-Trainings (Unterscheidung von Gedanken, Empfindungen, Gefühlen; reduziertes Druck- und Stress-Erleben durch nicht-reaktive Aufmerksamkeit) im einzelnen zu den langwährenden positiven Effekten beitragen.

Achtsamkeits-Training bei COPD

Eine randomisierte Pilot-Studie zum Einsatz eines ebenfalls 8-wöchigen MBSR-Programms – zugeschnitten auf COPD-Patienten – liefert weniger eindeutige Ergebnisse als die oben angeführte Untersuchung bei Asthma-Patienten.

Auch hier fokussieren die Untersucher sowohl auf emotionale Funktionen (Angst-Empfindlichkeit) und die gesundheitsbezogene Lebensqualität, wie auch auf Atmungsparameter (Atemfrequenz, Änderungen der Atemfrequenz, Exspirationszeit, Synchronisation von Brust- und Bauchatmung). Zusätzlich wird die Durchführbarkeit (feasibility) und Akzeptanz des MBSR-Programms beurteilt.

Fazit für die Praxis

  • Die MBSR-Gruppe zeigt eine signifikant erhöhte Atemfrequenz und ein gestiegenes Achtsamkeits-Niveau im Vergleich zur Wartelisten-Gruppe.
    • Allerdings weist eine genauere Analyse der Daten auf einen Zusammenhang zwischen emotionalem Ausgangsniveau und der Fähigkeit zur Achtsamkeits-Praxis hin.
    • Möglicherweise gibt es einen Mediator zwischen Atemfrequenz und dem Achtsamkeits-Niveau.
  • Patienten, die sechs oder mehr Sitzungen des MBSR-Programms durchlaufen haben, zeigen einen signifikant verbesserten emotionalen Zustand – obwohl ihr Achtsamkeits-Niveau sich nicht verbesserte.

Es besteht offensichtlich bei COPD-Patienten ein komplexer Zusammenhang zwischen

  • Atemparametern
  • Emotionen
  • Achtsamkeit

Durchführbarkeit und Akzeptanz der achtsamkeitsbasierten Intervention werden erfreulich positiv bewertet. Das eröffnet neue Ansätze für das Selbst-Management bei COPD-Patienten.

Die Herausforderung: Wie kann „Achtsamkeit“ an Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen vermittelt werden?

Schon grundlegende Achtsamkeits-Übungen, wie beispielsweise „Achtsamkeit auf den Atem“ (ATB = Attention-To-Breath) haben einen nachgewiesenen positiven Effekt auf die Emotionsregulation. Auch bei Asthma und COPD deutet sich eine Verbesserung von Lebensqualität und psychologischen Parametern durch einfache Achtsamkeits-Programme in ersten Studien an.

Es bleibt die Frage: Wie lassen sich brauchbare und attraktive Achtsamkeits-Programme für Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen entwickeln und im psychopneumologischen Alltag implementieren?

  • Können „abgespeckte“ Programme (kürzere Sitzungen, weniger Sitzungen), bei denen man „von Fall zu Fall“ über die Teilnahme entscheidet („opt-in“-Basis) die Adhärenz verbessern?
  • Lassen sich grundlegende Achtsamkeits-Techniken (ATB, Body Scan) von überzeugten und überzeugenden Trainern nachhaltig vermitteln – z. B. im Rahmen einer Pneumologischen Rehabilitation?
  • Welche Form der „Auffrischung“ (Follow up) ist notwendig und sinnvoll?

Ein weites Feld der psychopneumologischen Forschung ist eröffnet. Hierbei sollten neben Achtsamkeits-Übungen auch die Säulen

  • Werte
  • Engagement
  • Entschiedenheit

der Akzeptanz-Commitment-Therapie (ACT) Beachtung finden.