„Es bringt nichts, Drogen in Bausch und Bogen zu verdammen“

Dominik Forster hat bereits während der Schulzeit unterschiedlichste Drogen, vor allem Crystal, konsumiert und gehandelt. Bis es zum Absturz kam. Seine Erlebnisse schrieb er in einem Buch nieder, heute engagiert er sich in der Prävention.

„Mit 17 habe ich das erste Mal gekifft. In den darauffolgenden Monaten habe ich LSD, Pilze, Ecstasy, Koks einfach überall mal mitprobiert. Hängengeblieben bin ich dann aber bei Speed. Später kam dann Crystal und ich habe durch die Bank alles wegkonsumiert, außer Heroin und Medikamente.“ (Dominik Forster: „crystal.klar“)

Dank der Drogen konnte sich Dominik Forster, der in der Schule gemobbt und verprügelt wurde, zum ersten Mal selbstbewusst, cool und stark fühlen. Um seinen Eigenbedarf zu finanzieren, begann er zu dealen, verstrickte sich in brutale Geschäfte. Durch den exzessiven Drogenkonsum wuchsen die körperlichen und psychischen Probleme, und er landete schließlich im Gefängnis.

In seinem Buch „crystal.klar“ erzählt der heute 27-jährige Franke seine Lebensgeschichte – gradlinig und in einer sehr direkten Sprache.

Sie bezeichnen Ihr Buch als Roman und nicht etwa als Autobiografie. Ist das eine juristische Vorsichtsmaßnahme?

Das ist richtig. Alle meine Straftaten , die ich in dem Buch beschreibe, habe ich gegenüber der Polizei offengelegt und die Strafen dafür abgesessen. Anderes habe ich so weit verfremdet, dass die realen Personen nicht mehr nachvollziehbar sind. So schreibe ich im Buch über eine tunesische Mafia, tatsächlich aber hatte ich es mit Marokkanern zu tun. Es bleibt aber meine Lebensgeschichte.

„Ich wollte mir die Erlebnisse von der Seele schreiben“

Was war die Initialzündung für das Buch?

Wenn man aus dem Gefängnis kommt, kriegt man erst einmal den Stempel „vorbestraft“ aufgedrückt: Du hast einen Schufa-Eintrag und bekommst deshalb keine Wohnung. Ohne Wohnung aber kannst du kein Hartz IV beantragen. Als Vorbestrafter kriegst du auch keinen Job. Ich habe rund 300 Bewerbungen geschrieben und nicht einmal Absagen erhalten. Dieser Stempel hat auch Auswirkungen aufs soziale Umfeld: Man hat es sehr schwer, neue Leute kennenzulernen. Mein Glück war, dass ich hier in Nürnberg auf einen Sozialarbeiter traf, der mir beigebracht hat, einen Fuß vor den anderen zu setzen, und mir dann auch anbot, ihn bei seiner Präventionsarbeit im Drogenhilfeprojekt mudra zu unterstützen. Parallel dazu habe ich dann mit dem Schreiben angefangen.

Sie setzen Ihr Buch für Lesungen und Aufklärungsveranstaltungen mit Jugendlichen ein. Haben Sie bereits im Hinblick darauf geschrieben?

Ich wollte mir einfach die Erlebnisse von der Seele schreiben. Damit habe ich, ganz unbewusst, eine Trauma-Konfrontation gemacht, wie man in Fachkreisen dazu sagt. Mir ist das erst jetzt bewusst geworden, da ich eine Traumatherapie mache. Mir war aber sehr schnell klar, dass das Buch vor allem Jugendliche ansprechen soll, auch solche, die sonst nicht so gerne lesen.

In den beiden zurückliegenden Jahren haben Sie rund 250 ehrenamtliche Veranstaltungen absolviert. Wie sind denn die Reaktionen?

Ich komme damit gut an, ganz gleich, in welchen Regionen oder Schulen – und das ist eigentlich sehr traurig. Denn anhand der Reaktionen sehe ich, dass viele Schüler ganz ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie ich. Sie wissen, wie es ist, wenn der Vater Alkoholiker ist, wenn man im Elternhaus oder in der Schule geschlagen wird. Und ich bekomme auch mit, wie viele der Jugendlichen bereits Drogen nehmen. Diese Erlebnisse haben mich darin bestärkt, diese Aufklärungsarbeit gewissermaßen als meine neue Mission zu begreifen.

Das Gefährliche an chemischen Drogen: sie funktionieren

Sie haben eine breite Palette an Substanzen durchprobiert. Crystal Meth nimmt dabei eine zentrale Rolle ein. Was macht diese Droge so besonders?

Crystal Meth steigert das Selbstbewusstsein und die Leistungsfähigkeit. Das trifft zwar auch auf Kokain und die meisten chemischen Drogen zu, doch bei Crystal Meth hält diese Wirkung – je nach Reinheitsgrad – wesentlich länger an. Wenn ich auf Koks drei Stunden super Leistung bringen kann, sind es auf Crystal 30 Stunden. Das Gefährliche an chemischen Drogen, und besonders an Crystal Meth, ist: sie funktionieren. In der Schule war ich stets der Außenseiter, mit Crystal konnte ich endlich der Mensch sein, der ich immer sein wollte. Nachdem ich diese Droge genommen hatte, wurde alles besser. Ich war immer wach und fit. Ich hatte mit einem Mal viele neue Freunde, die ich natürlich auch unter Drogen gesetzt habe, weil ich wusste, dass es ihnen genauso gut damit ergehen würde wie mir. Bis dann der große Crash kam, vor dem immer alle gewarnt haben.

Sie wussten um die Gefahr, aber es hat Sie nicht abgeschreckt?

Jeder warnt davor, und die Leute haben damit ja auch recht. Natürlich wusste ich, dass Crystal gesundheitsgefährdend ist, wie letztlich alle Drogen. Der Fehler, der aber in der Prävention fast immer gemacht wird: Niemand wagt zu sagen, dass Drogen auch toll sind. Drogen haben ja auch eine Funktion, die sie meist sehr gut erfüllen. Und es gibt eigentlich für jeden und jedes Bedürfnis eine passende Droge.

Wie wird Crystal Ihrer Erfahrung nach meist konsumiert? In den 90er-Jahren galt Meth-Rauchen schon als sehr extrem. Insbesondere in der Schwulenszene wird Meth heute immer mehr auch gespritzt.

Die am weitesten verbreitete Variante ist immer noch das Sniefen, aber es wird in der Tat zunehmend mehr geraucht und gespritzt. Beim Rauchen setzt die Wirkung direkt mit dem Ausatmen ein, beim Spritzen hält die Wirkung zudem länger an. Spritzen ist allerdings tatsächlich die Endstufe. Ich habe im Gefängnis Leute kennengelernt, die damit bereits mit 16 Jahren angefangen hatten. Für mich kam Spritzen nie infrage, es war mir einfach zu riskant. Wenn man sich nicht auskennt, erwischt man womöglich eine falsche Stelle, und am Ende stirbt der Arm ab. Noch weniger hatte ich Lust, mich von jemand anderem, der vielleicht schon zugedröhnt ist, spritzen zu lassen. Ganz abgesehen vom Risiko, dass dadurch Krankheiten übertragen werden können.

Aufklärung auf Augenhöhe

Aus Ihrer eigenen beziehungsweise aus Ihrer Erfahrung mit der Arbeit mit Jugendlichen: Welche Art von Prävention funktioniert, welche verpufft oder ist womöglich sogar kontraproduktiv?

Für viele der Jugendlichen, die ich in den Schulen besuche, ist es nicht der erste Präventionsunterricht. Oft war schon mal ein Polizeibeamter gekommen, um über die Gefahren aufzuklären. Wenn ich Schüler dann frage, was sie davon für sich mitgenommen haben, kommt meist nicht mehr als ein Achselzucken. Das heißt nicht, dass der Polizist schlecht unterrichtet hätte, aber allein, dass er eine Dienstuniform trägt, lässt viele Schüler bereits abschalten. Für die ist es viel eindrucksvoller, wenn ein Betroffener spricht. Weil ich im Gespräch alles offenlege – wie es mir in der Schule ergangen ist, wie ich zu den Drogen gekommen bin und all den Mist, den ich gebaut habe –, vertrauen mir die Jugendlichen auch. Manche kommen anschließend zu mir und erzählen unter Tränen, wie es ihnen geht.

Was machen Sie anders als beispielsweise der Drogenbeauftragte der Polizei?

Es bringt nichts, Drogen in Bausch und Bogen zu verdammen. Marihuana birgt natürlich auch Suchtpotential. Einmal kiffen muss nicht zwangsläufig schlimme Folgen haben. Aber schon die erste Kräutermischung, die jemand raucht, kann tödlich sein oder zu Blindheit führen. Solche Gespräche funktionieren nur auf Augenhöhe, zwischen einem Beamten und Schülern ist das nicht vorstellbar. Im Gegenteil: Wenn ein Polizist über die strafrechtlichen Folgen von Drogenkonsum spricht, macht es die Sache für viele nur noch interessanter.

Ich beginne in der Regel meine Veranstaltungen damit, dass ich den Jugendlichen erzähle, wie klasse Drogen sind. Ein solches Statement erwarten sie von einem Drogenpräventionsmenschen natürlich nicht, und damit habe ich gleich ihre Aufmerksamkeit. Ich verwende dann immer das Bild des Regenbogens: Mit Drogen erlebt man ein High, einen unglaublichen Anstieg. Aber oben angekommen folgt irgendwann unausweichlich der Absturz. Das gilt letztlich auch für jeden einzelnen Trip. Erst einmal war alles super. Wenn ich dann aber wieder runterkam, hatte ich unerträgliche Schmerzen. Das war wie eine Grippe mal zehn. Diese Droge kann Menschen richtiggehend zerstören. Ich habe das bei anderen direkt miterlebt.

Fehlendes Problembewusstsein an Schulen

Ihre Zeit auf der Drogenszene liegt inzwischen etwas zurück. Seit mittlerweile sechs Jahren nehmen Sie keinerlei Drogen mehr. Hat sich Ihrer Beobachtung nach das Konsumverhalten bei den Jugendlichen inzwischen verändert?

Ich stelle fest, dass immer früher damit begonnen wird. Ich habe schon mit 12-jährigen Mädchen gesprochen, die bereits seit zwei Jahren Drogen nehmen. Und die, die früh damit anfangen, schießen irgendwann voll an die Wand. Es gibt parallel dazu aber auch eine völlig konträre Entwicklung: Jugendliche, die nicht einmal rauchen, die sehr gesundheitsbewusst leben, Sport treiben und allenfalls Gefahr laufen, Bodybuildingprodukten zu verfallen. Die Aufteilung in diese beiden Fraktionen wird meiner Beobachtung nach immer auffälliger.

Werden Drogen eher heimlich konsumiert oder prahlt man damit vielleicht sogar gegenüber Mitschüler_innen und Freund_innen?

In den Klassen ist es meist ein offenes Geheimnis, wer von den Mitschülern Drogen nimmt, auch wenn das die Einzelnen vielleicht nicht vor versammelter Mannschaft herausposaunen. Viele Schulen gehen auch offen mit dem Problem um. Andere wiederum leugnen es einfach. Ich habe erlebt, dass Schulleitungen Aufklärungsveranstaltungen mit dem Argument ablehnten, die Schüler würden dadurch erst auf dumme Gedanken gebracht. Sie sind also der Ansicht, wenn ich keinen Drogenpräventionisten einlade, haben wir auch kein Drogenproblem an der Schule. Wichtig fände ich einen Aufklärungsunterricht, der nicht nur einmal und alibimäßig stattfindet, sondern fest im Lehrplan verankert ist.

Es ist heute kein Problem mehr, an Drogen zu kommen. Wer will, kann sich mit ein paar Mausklicks Crystal sogar übers Internet bestellen. Verbote bringen nichts, das zeigt sich immer mehr. Letztlich geht die Gesellschaft verlogen mit Drogen um. Das beste Beispiel ist doch das Oktoberfest, das Treffen schlechthin zum Gruppen-Blödsaufen. Jedes Jahr treffen sich dort die Stars und Sternchen, schießen sich die Birne weg, und die Medien feiern es ab. Auch deshalb wird eine gute Aufklärung über den Umgang mit Drogen, ob nun Alkohol, Crystal Meth oder Kräutermischungen, immer wichtiger.

Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Axel Schock

crystal.klar – Buchcover

 

 

 

Dominik Forster: „crytal.klar“, Verlag duotincta, 271 S., broschiert, 14,95 Euro

 

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