Nkosi Johnson war erst 13 Jahre alt, als er 2001 starb. Der jüngste und berühmteste Aidsaktivist Südafrikas bewegte mit einer Rede auf der Welt-Aids-Konferenz in Durban Menschen auf der ganzen Welt.
Mehr als 200.000 Menschen waren bis zur Jahrtausendwende in Südafrika bereits an den Folgen von Aids verstorben, geschätzte fünf Millionen mit HIV infiziert oder bereits an der Immunschwäche erkrankt. Eine ganze Generation starb weg – und die Regierung des Landes sah nicht nur tatenlos zu, sondern verharmloste die Epidemie sogar.
Staatspräsident Thabo Mbeki vertrat selbst im Jahr 2000 noch öffentlich die Ansicht, dass nicht etwa das HI-Virus, sondern Zauberei und falsche Ernährung Ursachen für Aids seien. Die Gesundheitsministerin Manto Tshabalala-Msimang empfahl Rote Bete, Olivenöl und Knoblauch zum Schutz vor einer HIV-Infektion.
Mit Roter Bete gegen HIV
Jacob Zuma, seinerzeit führender ANC-Politiker und Vorsitzender des Nationalen Aidsrats, hat sich, wie er im Zusammenhang eines Vergewaltigungsprozesses 2005 erläuterte, nach dem ungeschützten Beischlaf mit einer HIV-positiven Frau ausgiebig geduscht, um sich so vor einer Ansteckung zu schützen.
Für die Infizierten und Erkrankten im Land hatte diese staatliche Ignoranz, Verleugnung und Tabuisierung weitreichende, ja lebensgefährliche Folgen. Erst vor diesem Hintergrund wird verständlich, welche Bedeutung der Rede zukommt, die im Juli 2000 beim 13. Welt-Aids-Kongress in Durban gehalten wurde:
„Hi, mein Name ist Nkosi Johnson, ich lebe in Melville, Johannesburg, Südafrika. Ich bin elf Jahre alt und habe Aids im vorgerückten Stadium. Ich wurde HIV-positiv geboren. Meine Mommy war auch von diesem Virus angesteckt. Sie hatte große Angst, dass die Gemeinde uns wegen unserer Krankheit verjagt.“
Mit diesen Worten begann die Ansprache, die von rund 10.000 Delegierten im Saal und Millionen Fernsehzuschauern überall auf der Welt verfolgt wurde.
„Ich will nicht, dass Babys sterben“
Nkosi war im Alter von zwei Jahren von seiner weißen Pflegemutter Gail Johnson adoptiert worden. Die leibliche Mutter war zu diesem Zeitpunkt bereits an Aids erkrankt und starb wenige Jahre später. In Durban erzählte Nkosi seine Geschichte: Wie er zunächst in einem Pflegezentrum untergebracht war, das dann mangels Geld geschlossen wurde. Wie er vom Schulunterricht ausgeschlossen werden sollte, weil seine Pflegemutter die Erkrankung nicht verschwiegen hatte. Und von den geliebten Menschen, die er in seinem so kurzen Leben bereits durch Aids verloren hat.
„Ich wünschte, die Regierung könnte den Müttern, die an HIV leiden, AZT geben, sodass das Virus nicht die Babys anstecken kann. Ich denke, damit muss begonnen werden, denn ich will nicht, dass Babys sterben.“
Nkosis Rede war nicht nur beeindruckend, weil hier ein kleiner Junge so souverän und klar vor vielen tausend hochrangigen Vertreter_innen aus Forschung, Medizin und Politik sprach, sondern weil seine Wünsche und Forderungen an das Auditorium und an die Welt so naheliegend und verständlich waren: HIV-positiven Müttern sollten die Kinder nicht weggenommen, sondern diese mit ihnen gemeinsam betreut werden. „Sie sollen zusammenbleiben und länger die Liebe bekommen, die sie brauchen“, sagte Nkosi. Vor allem aber sollen ihnen die notwendigen Medikamente zur Verfügung gestellt werden.
Und dann war da noch diese Bitte, die eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte. „Sorgt euch um uns und akzeptiert uns – wir sind alle Menschen“, sagte Nkosi. „Wir sind normal. Wir haben Hände. Wir haben Füße. Wir können gehen. Wir können sprechen. Wir haben die gleichen Bedürfnisse wie jeder andere. Habt keine Angst vor uns, wir sind alle gleich!“
Ein Heim für Aidswaisen und HIV-positive Mütter
Der Auftritt in Durban machte Nkosi nicht nur über Nacht weltberühmt, er wurde zum Symbol für die Aidskrise auf dem afrikanischen Kontinent. Unterstützt von seiner Adoptivmutter nahm er weitere Einladungen zu Konferenzen an, auf denen er die Aidspolitik des südafrikanischen Staatspräsidenten kritisierte und Medikamente insbesondere für HIV-positive Schwangere einforderte, damit das Übertragungsrisiko für deren Kinder reduziert wird.
Nkosi und Gail Johnson hatten gemeinsam viel erreicht. Sie haben nicht nur Aids insbesondere in die afrikanische Öffentlichkeit gebracht, sondern auch erkämpft, dass HIV-positive Kinder in Südafrika endlich Schulen besuchen durften. 1999 gründeten sie in Johannesburg ein spendenfinanziertes Heim für HIV-positive Mütter und Kinder: „Nkosi’s Haven“.
Nkosi, dem die Ärzt_innen zunächst eine Überlebenschance von weniger als drei Jahren gegeben hatten, feierte am 4. Februar 2001 schließlich seinen 12. Geburtstag. Doch der Junge war mittlerweile von der Erkrankung schwer gezeichnet. Aus aller Welt trafen Glückwunschkarten und Faxe ein; Prominente des Landes besuchten ihn, um ihm zu gratulieren und Genesungswünsche zu übermitteln.
Die letzten Lebensmonate soll er im Halbkoma verbracht und zusehends abgemagert sein. In den frühen Morgenstunden des 1. Juni, bezeichnenderweise am Internationalen Kindertag, verstarb Nkosi. Zu diesem Zeitpunkt wurde er bereits wie ein Nationalheld verehrt, vergleichbar lediglich mit Hector Peterson, der 1976 zwölfjährig im Kampf gegen die Apartheid beim Schüleraufstand von Soweto erschossen worden war.
„Mein Freund mit Aids ist immer noch mein Freund“
Südafrikas Parlament ehrte Nkosi Johnson mit einer Schweigeminute, und der ehemalige Präsident Nelson Mandela nannte ihn eine Ikone im Kampf ums Leben: „Wie er mit dieser Krankheit umging, ist beispielhaft.“
Viele Hundert Menschen nahmen bei der Trauerfeier in einer Methodistenkirche in Johannesburg Abschied von Nkosi. Einige trugen T-Shirts, die eine seiner Botschaften zitierten: „Mein Freund mit Aids ist noch immer mein Freund.“ Auf den am Sarg aufgestellten Porträtfotos von Nkosi stand zu lesen: „Kümmert euch um infizierte und verwaiste Kinder.“
2005 zeichnete die schwedische Königin Silvia Nkosi Johnson postum mit dem Internationalen Kinder-Friedenspreis aus. „Nkosi’s Haven“ existiert bis heute und finanziert sich weiterhin nur durch Spenden. Derzeit bietet die Einrichtung rund 180 Aidswaisen und HIV-positiven Müttern mit ihren Kindern Zuflucht und Heimat.
Von Axel Schock