Versorgungsforschung: Ärzte reagieren unzureichend auf die Popularisierung der Medizin

Entwicklung statt Trend
Die Nutzung von Gesundheitsinformationen – ob über Printmedien, Fernsehen oder digital verbreitet – zählt inzwischen vollkommen selbstverständlich zum Lebensalltag. Das zur Verfügung stehende Angebot ist fast grenzenlos und teilweise kaum mehr überschaubar. Grundsätzlich gilt aber: wer gesundheitsbezogene Erklärungen, Hinweise und Empfehlungen sucht, wird auch fündig. Kein Wunder also, dass ein immer weiter wachsender Anteil der Bevölkerung diese Möglichkeiten nutzt. Wer nicht selbst recherchieren kann oder will, bittet Dritte um entsprechende Hilfe. Damit ist die Popularisierung der Medizin bereits kein Trend mehr, sondern eine etablierte und unumkehrbare Entwicklung. Kein Bereich ist hiervon ausgenommen. Selbst Informationen, die – wie z. B. verschreibungspflichtige Arzneimittel – formal-rechtlich nur Fachkreisen zugänglich sind, werden inzwischen in Patientenforen offen diskutiert.
Optionen-Vielfalt
Hinzu kommt die Möglichkeit, mit Hilfe von Geräten wie Fitness Trackern und Sensoren selbst – ohne ärztliche Unterstützung – Gesundheitsdaten zu erheben, Statusbestimmungen durchzuführen und den eigenen Körper sowie seine Funktionen zu überwachen. Sogar Blutuntersuchungen sind im Netz bestellbar und zu Hause in Eigenregie umsetzbar, die spätere Auswertung mit Handlungsempfehlungen inklusive. Insgesamt betrachtet haben sich zwei zentrale Entwicklungen getroffen und verbunden: ein intensives Gesundheits-Interesse der Bevölkerung und ein technischer Entwicklungsstand, der es ermöglicht, diesen Bedarf auf einfachste Weise jederzeit und kostengünstig zu decken.
Ärzte blockieren
Doch die meisten Mediziner reagieren auf diese im Grundsatz positiv zu bewertende Entwicklung des Gesundheits-Bewußtseins abwehrend. Sie stellen die negativen Randerscheinungen, die es ja überall gibt – selbst bei der ärztlichen Qualität – in den Vordergrund, blocken Gespräche über das Internetwissen der Patienten und selbst ermittellte Daten ab, verschanzen sich hinter ungeklärten Fragen der Qualitätssicherung, Validierung und Datensicherheit (die natürlich – wie zu Beginn aller neuen Entwicklungen – existieren, aber lösbar sind), suchen nach juristischen Abwehr-Möglichkeiten, z. B. in Bezug auf Arzt-Bewertungsportale und verweisen auf fehlenden Abrechnungsmöglichkeiten.
Mediziner als Teil des Problems
Nicht berücksichtigt wird hierbei, dass eine Vielzahl von Medizinern durch ihre geringe  Informations-Bereitschaft selbst dazu beigetragen hat, dass Patienten sich alternative Informationskanäle suchen. Gegenwärtig werden in Arztpraxen durchschnittlich gerade einmal 46% der für ein Adhärenz-zentriertes Praxismanagement notwendigen Regelungen und Instrumente eingesetzt. Die hieraus resultierende Patientenzufriedenheit erfüllt lediglich 39% der Anforderungen.
Veränderungen sind angesagt
Die gegenwärtige Abwehrhaltung wird sich jedoch auf Dauer nicht aufrecht erhalten lassen. Signalisierten vor vier Jahren knapp 15% der Patienten ihre Bereitschaft, bei fortdauernder Unzufriedenheit mit ihrem Hausarzt diesen zu wechseln, äußern heute bereits mehr als fünfzig Prozent diese Bereitschaft. In der gleichen Weise, wie Praxisteams mit sehr schlechter Organisation massiv Patienten verlieren, werden zukünftig Betriebe, die nicht den Kommunikations- und Betreuungsbedarf ihrer Patienten decken, eine negative Praxisbesucher-Bilanz aufweisen. Nur Ärzte, die bereits heute beginnen, sich auf die massive Veränderung ihrer Tätigkeit einzustellen, können von Beginn an profitieren. Doch die Bereitschaft zu Veränderungen ist in Arztpraxen bislang nur sehr gering ausgeprägt,  Medizinische Fachangestellte und Patienten berichten immer wieder hierüber, auf Dauer lässt sich diese Haltung jedoch nicht mehr durchhalten.

Klaus-Dieter Thill / IFABS

Diesen Beitrag zitieren: Thill, Klaus-Dieter: Versorgungsforschung – Ärzte reagieren unzureichend auf die Popularisierung der Medizin, Benchmark!, 27.06.2016

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