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Tamiflu Saga
Oder: Wo sind die Daten?
Warum geht es bei der Tamiflu® Saga? Wofür steht dieser Konflikt? Was lehrt uns dieses Beispiel über die Medizin und die Wissenschaft?
Tamiflu® | via Wikimedia
Hinter der Tamiflu® Saga steht die Geschichte über Tamiflu® und dessen kometenhafter Aufstieg während der Schweinegrippe und den Fragen danach.
Das Grippemittel Tamiflu® (Oseltamivir) wird vom Schweizer Pharmaunternehmen Roche hergestellt. Es soll die Grippe verkürzen und Komplikationen wie schwere Lungenentzündungen vermeiden. Während der bedrohlichen Schweinegrippe kauften die Staaten Tamiflu® für Milliarden von Franken zum Schutze der Bevölkerung. Tamiflu® wurde zum Vermeiden grippebedingter Komplikationen und Grippetoten gekauft. Tamiflu® Reserven wurden von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlen.1
Roche hat zur Wirksamkeit des Medikaments, wie von den Zulassungsbehörden gefordert, Studien erstellen lassen.
Jedoch wurde nur ein kleiner Teil wissenschaftlich veröffentlicht.2 Und Rohdaten sind gar keine zugänglich.3
Im Jahre 2009 wollte eine unabhängige Forschungsgruppe von Cochrane die Studien von Roche nachrechnen. Die Rohdaten sind die Voraussetzung, um die Studien unabhängig nachrechnen zu können. Die Forscher fragten Roche um die fehlenden Daten an. Roche versprach (2009) die vollständigen Daten zur Verfügung zu stellen.
Doch Roche hat die Daten bis heute nicht geliefert!
Seit dem Jahr 2009 gehen Mails hin und her. Ohne Ergebnis.
Resultat: Die Welt weiss bis heute nicht, wie nützlich Tamiflu® eigentlich gegen Grippe ist. Die Rohdaten fehlen. Unabhängige Studien fehlen. Den Ärzten und der Bevölkerung werden die Daten verheimlicht.
Forscher schalten sich ein. Der Fall zieht immer weitere Kreise.
Die angesehene medizinische Fachzeitschrift BMJ begann sich für diesen Fall zu interessieren. Sie haben Roche kontaktiert. Ohne Ergebnis. Um die Absurdität dieses Falles zu veranschaulichen haben sie den ganzen Mailverkehr auf ihrer Webseite www.bmj.com/tamiflu veröffentlicht.
Ist Roche ein Einzelfall mit seinem Verhalten?
Leider nein. Das ist unverständlicherweise gängige Praxis in der Medikamentenforschung. Rohdaten stehen unabhängigen Forschern praktisch nie zur Verfügung. Als Argument werden Geschäftsgeheimnisse angegeben. Doch was ist an einer standardisierten Studie geheim? Der Datenschutz ist es jedenfalls nicht. Es geht um anonyme Daten.
Warum steht gerade Tamiflu® von Roche im Scheinwerferlicht?
Jeder kennt es. Die Grippe geht alle an. Tamiflu® ist deshalb ein gutes Beispiel. Doch Roche ist nicht schlechter als andere Pharmaunternehmen. Das Problem betrifft die ganze Industrie. Die Rohdaten der Tamiflu®-Studien sind einfach zum sichtbaren Testfall geworden.
Die Europäische Zulassungsbehörde EMA würde ebenfalls über die Rohdaten verfügen. Die EMA gibt die Daten den unabhängigen Forschern nicht heraus.
Dass Rohdaten anderen Forschern nicht zur Verfügung stehen ist ein unhaltbarer Zustand. Das hat nichts mit Forschung und Wissenschaft zu tun. Wissenschaft ist unter solchen Bedingungen nicht möglich. Der Öffentlichkeit ist mit solchem Verhalten in keiner Art und Weise gedient.
Warum versteckt Roche seine Daten so sehr? Bei einem wirksamen Medikament kann Roche nur gewinnen. Die Ergebnisse werden von unabhängiger Seite bestätigt.
Der Tamiflu® Fall ist zusätzlich brisant, denn das staatlich gelagerte Tamiflu® hat das Verfalldatum erreicht. Sollen die Staaten ihre Tamiflu® Lager wieder auffüllen4?
Hintergrundinformationen
Wichtige
- Das Buch Bad Pharma von Ben Goldacre beschreibt die Tamiflu® Saga detailliert, Seite 81 bis 93.
- Forscher rufen zum Roche-Boykott auf, Echo der Zeit, 16. Nov. 2012
- Forscher rufen zum weltweiten Roche-Boykott auf, Spiegel Online, 15. Nov. 2012
- Pharmakonzerne sollen alle Daten offenlegen, Spiegel Online, 11. Juni 2012
- Die BMJ Tamiflu Webseite mit dem Mailverkehr.
- Bewegung im Streit um Tamiflu-Daten: Roche schlägt Kooperation vor, Neue Zürcher Zeitung, 22. Nov. 2012
Weitere
- Scandal of the poison pen-pushers: How doctors and patients are kept in the dark about potentially dangerous everyday drugs, Mail Online, 01.12.2012
- Tamiflu: Neue Kritik an Roche, Tages-Anzeiger, 20. Jan. 2012
- Streit um Tamiflu geht in die nächste Runde: Eine Forschergruppe zweifelt an der Wirksamkeit des Grippe-Medikaments, NZZ Online, 18. Jan. 2012
- Payne D. Tamiflu: the battle for secret drug data, BMJ, 29. Okt. 2012, 345(oct29 2):e7303–e7303
- Roche, under fire, offers compromise in flu drug fight, Reuters, 22. Nov. 2012
- Roche may release full Tamiflu data as transparency debate rages, PharmaTimes Online, 23. Nov. 2012
Nebenbemerkung: Gegen Roche läuft eine Untersuchung in der EU. Roche steht im Verdacht, Nebenwirkungen von zahlreichen Medikamenten verheimlicht zu haben. (Radio DRS1)
[Aktualisierung 20.01.2013: Die Initiative alltrials (All Trials Registered | All Results Reported) wurde von Ben Goldacre, BMJ Group, James Lind Initiative und weiteren zur Veröffentlichung aller klinischen Studiendaten gegründet.]
[Aktualisierung 26.01.2013: Die Tamiflu Saga hat es jetzt auch in die etablierten Medien geschafft. Der Tagesanzeiger hat einen lesenwerten Artikel geschrieben: Zweifel an Tamiflu – Der Druck auf Roche nimmt zu, Tages-Anzeiger, 26. Jan. 2013. Hoffentlich passiert jetzt etwas.]
[Aktualisierung 26.01.2013: Lesenswerter Blogartikel über Tamiflu von Alexander Riegler aus Österreich: Tamiflu, ein Medikament das wir kauften – aber nie brauchten …, 8.11.2012]
[Aktualisierung 27.04.2013: Bericht Süddeutsche Zeitung: Das Fieber der Gutgläubigkeit ]
[Aktualisierung 27.04.2013: Roche will Studienrohdaten für Analysen zugänglich machen. BBC, 04.04.2013. Taten zählen, Versprechen gab es schon viele.]
[Aktualisierung 22.06.2013: Forum Gesundheitspolitik schrieb einen Artikel über Tamiflu]
[Aktualisierung 13.04.2014: Die Cochrane Collaboration hat ihren Bericht zu Tamiflu® veröffentlicht. Der einst erhoffte grosse Nutzen von Tamiflu® scheint sich nicht zu bestätigen. Mehr Versprechen als Fakten zu Tamiflu: Forscher werten Studiendaten zu Grippemittel aus, Neue Zürcher Zeitung. 10. Apr. 2014
Tamiflu gerät zum Spielball der Wissenschaft, Bernerzeitung
Jefferson T, Jones M, Doshi P, Spencer EA, Onakpoya I, Heneghan CJ. Oseltamivir for influenza in adults and children: systematic review of clinical study reports and summary of regulatory comments BMJ. 9. Apr. 2014;348(apr09 2):g2545–g2545.]
[Aktualisierung 13.04.2014: Beitrag im Schweizer Radio: Medikamente halten nicht immer, was sie versprechen. Wie kann man das verhindern? SRF, 11.04.2014; [Harsche Kritik am Grippemittel «Tamiflu»](http://www.srf.ch/gesundheit/gesundheitswesen/harsche-kritik…, SRF, 10.04.2014; Kritiker sehen sich bestätigt, SRF, 10.04.2014]
[Aktualisierung 14.04.2014: Was kann man lernen aus der Causa Tamiflu?, SRF, Wissenschaftsmagazin, 12.04.2014]
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Der WHO Pandemiekommission wurden Interessenskonflikte mit den Herstellern vorgeworfen. Das ist ein eigenes Kapitel für sich, siehe Neue Kritik an der WHO, Neue Zürcher Zeitung, 5. Juni 2010. ↩
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Das wird als Publikationsverzerrung (publication bias) bezeichnet. In der wissenschaftlichen Literatur werden nur die „positiven“ Fälle veröffentlicht. Die wissenschaftliche Literatur zeigt deshalb ein verzerrtes Bild der Realität. Medikamente erscheinen als wirksam, obwohl sie es insgesamt sind nicht, Beispiel Reboxetin (Edronax®) von Pfizer. ↩
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Ein wesentlicher Pfeiler der Wissenschaft ist die Wiederholbarkeit. Rohdaten sind ein wichtiges Element. Keine Rohdaten zur Verfügung zu stellen ist unwissenschaftliches Verhalten. ↩
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Mit Steuergeldern versteht sich. ↩
Problematische Performance: Der Pharma-Außendienst hemmt sich selbst
Die Ergebnisse des Außendienst-Kompass Monitoring-Projektes „Sales Talk Insights“ sowie vor allem die Resultate Regionaler Kundenzufriedenheits-Analysen belegen, dass die durch den Pharma-Vertrieb durchschnittlich erzielte Kundenbetreuungs-Qualität nur mittelmäßig ist. Die in der folgenden Abbildung aufgeführte Valetudo-Bilanz© „Pharma-Vertrieb“ zeigt auf der Basis einer monatlichen Auswertung der Projektdaten zunächst die Entwicklung des Customer Care Quality Scores (CQS). Er gibt […]
Meldungen (3)
Supermedizin treibt Gesundheitskosten in die Höhe, Spiegel Online, 17. Aug. 2011
Die Kosten steigen, doch der Nutzen ist fraglich – das ist ein durchaus zweifelhafter Zustand.
Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche.
Konflikt um Landärzte: Wertverlust, FAZ.NET, 17. Aug. 2011
Ohne Zweifel: Eine gute Versorgung kostet Geld. Wertschätzung und Verständnis dagegen sind auch im maroden Gesundheitssystem immer noch umsonst.
Die Anzahl QALY drückt aus, wie viel zusätzliche Lebenszeit in guter Lebensqualität mit dem neuen Medikament gewonnen werden kann. Damit tragen die QALY dem Umstand Rechnung, dass mit gewonnener Lebenszeit manchmal ein Verlust an Lebensqualität einhergeht oder umgekehrt ein Gewinn an Lebensqualität nicht immer mit einem Gewinn an Lebenszeit verbunden ist.
Bei der Suche nach Antworten hilft die Epigenetik. Das Epigenom ist die chemische Struktur, welche die Gesamtheit der Gene umgibt. Umwelteinflüsse wie Nahrung, Rauchen oder Stress verändern das Epigenom, beispielsweise durch Anlagerung von Methylgruppen. Diese Variationen sorgen dafür, dass bestimmte Gene an- oder abgeschaltet werden.
Spitäler lehnen Umsetzung der Fallpauschalen ab: Streit um Übermittlung von Patientendaten, NZZ Online, 15. Aug. 2011
Beide Organisationen werfen den Krankenkassen vor, die Daten nicht zur Rechnungskontrolle, sondern zur besseren Risikoselektion missbrauchen zu wollen.
Placebo-Studie erzürnt US-Mediziner, Spiegel Online, 17. Aug. 2011
Bei der Frage nach dem Befinden schnitten das tatsächliche Medikament und die zwei Placebo-Therapien dagegen etwa gleich gut ab. Die Patienten berichten im Schnitt von einer Besserung um 40 bis 50 Prozent. Bei der Gruppe, die gar nicht behandelt wurde, lag der Wert bei 20 Prozent.
Bias and Ghosts
Logdberg L. Being the Ghost in the Machine: A Medical Ghostwriter’s Personal View, PLoS Med. 2011, 8(8):e1001071, doi:10.1371/journal.pmed.1001071
So I questioned the account executive at the large agency that had hired me. In particular, I wanted to ask the physician author their view of the drug’s benefits. Attempts to discuss my misgivings with the meded contact met with the curt admonition to “just write it.” But perhaps because this particular disorder was so close to home, I was unwilling to turn this ugly duckling of a “me-too” drug into a marketable swan.
Ioannidis JPA. Excess Significance Bias in the Literature on Brain Volume Abnormalities, Arch Gen Psychiatry. 1. Aug. 2011, 68(8):773–80, doi:10.1001/archgenpsychiatry.2011.28
There are too many studies with statisticallysignificant results in the literature on brain volume abnormalities.This pattern suggests strong biases in the literature, withselective outcome reporting and selective analyses reportingbeing possible explanations.
To qualify as an author, an individual must (1) contribute substantially to either conception and design, or acquisition of data, or analysis and interpretation of data; and (2) draft the article or revise it critically for important intellectual content; and (3) be responsible for final approval of the manuscript [2]. This “triple-lock” formula has become a de facto license for misrepresentation. Provided academics make some contribution to design or data analysis, some revisions to a manuscript, and approve it, they are required to be named as authors. By contrast, industry may conduct most of the design, data collection and analysis, and all the writing, but if sign-off is ceded to the academic, it is disqualified from authorship. Unsurprisingly, the practice of ceding final sign-off to academic “authors” is widespread in commercially driven publications.
In reality, drafting constitutes a substantial intellectual contribution to the form and content of manuscripts. It is for this reason that industry seeks to control it, while evading the visibility of byline authorship.
(Cost-)Effetiveness of Fingolimod (Novartis)
Appraisal Committee’s preliminary recommendations:
Fingolimod is not recommended for the treatment of relapsing–remitting multiple sclerosis.