Der 21. Juli ist der Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher_innen – und ein Tag des Protests gegen eine Drogenpolitik, die Drogentodesfälle nicht verhindert. In der Drogenhilfeeinrichtung LÜSA trauert man in diesem Jahr um fünf Klient_innen.
Von Manuel Izdebski
Durch die Eröffnung des bundesweit ersten „Junkie-Altenheims“ ist LÜSA (Langzeit-Übergangs- und Stützungs-Angebot) im letzten Jahr einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden. Der Verein ist seit fast 20 Jahren in der Drogenhilfe aktiv und betreut derzeit mehr als 80 suchtkranke Menschen in unterschiedlichen Projekten. Am Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher_innen hat sich LÜSA von Anbeginn beteiligt. Seit Jahren ist es Tradition, für die Verstorbenen ein Gedenkbäumchen zu pflanzen.
„Mit dem klassischen Drogentod durch eine Überdosis haben wir es dabei eigentlich nicht mehr zu tun“, erklärt Detlef Göbel vom Betreuten Wohnen. „Es sind eher die langfristigen Folgen der Drogensucht, die fatale Auswirkungen auf die Gesundheit haben.“
Am Geschäft mit Drogen wollen viele mitverdienen
Viele Bewohner_innen haben mit schweren Herz-Kreislauf-, Lungen- oder Leber-Erkrankungen zu kämpfen. Auch Krebs war in den letzten Jahren eine häufige Todesursache. Die hohe Sterblichkeit steht im Widerspruch zur ansonsten erfolgreichen Prävention für intravenös Drogen Konsumierende, die ihrer Verelendung Einhalt geboten hat. Wer keinen frühen Drogentod stirbt, hat mit zunehmendem Alter oft schwere gesundheitliche Probleme, die durch die Folgen des jahrzehntelangen Drogenkonsums verschlimmert werden. „Unsere Leute haben dann einfach schlechte Karten, man muss auch immer eine Voralterung mitbedenken“, sagt Göbel.
Für seine Chefin Anabela Dias, die das Projekt LÜSA vor zwanzig Jahren aus der Taufe hob und in den 1980er-Jahren zu den Gründungsmitgliedern der Aidshilfe im Märkischen Kreis gehörte, ist das auch eine Frage der Qualität der Drogen: „Der Stoff wird immer schlechter, das bleibt nicht ohne gesundheitliche Konsequenzen.“ Am Geschäft wollen viele mitverdienen, deshalb werden die Mittel gestreckt, oft mit gesundheitsgefährdenden Substanzen. Drug-Checking, also die Analyse von Drogen auf ihre Inhaltsstoffe, könnte das Risiko für Konsument_innen minimieren. Doch von einem einzigen Pilotprojekt abgesehen tun sich die Bundesländer mit solchen Maßnahmen schwer.
Detlef Göbel beklagt in diesem Jahr den Tod von zwei Klienten aus dem Betreuten Wohnen: Christian B. wurde nur 46 Jahre alt, Thorsten B. nur 52. Christian wurde tot in seiner Wohnung aufgefunden, vermutlich starb er an einem multiplen Organversagen. Fast neun Jahre lebte er bei LÜSA, hatte sich sehr stabilisiert und Halt gefunden. Er war Diabetiker, eine Folge seiner Alkoholsucht, lebte aber seit Jahren abstinent und hielt sich strikt an die Anweisungen seines Arztes. Beim intravenösen Drogenkonsum hatte er sich schon früh mit Hepatitis C infiziert. Göbel beschreibt ihn als einen zuverlässigen Mann, der nach einer jahrelangen Suchtkarriere wieder Tritt gefasst hatte und im Betreuten Wohnen gut mit dem Leben zurechtkam.
Drogengebraucher_innen haben gesundheitlich oft schlechte Karten
Ein Auf und Ab war der Lebensweg von Thorsten, Vater einer heute 12-jährigen Tochter. Während seine ehemalige Partnerin den Absprung von den Drogen schaffte und heute sogar auf die Substitution verzichten kann, verlief sein Leben in völlig anderen Bahnen. Dreimal fand er Aufnahme im Projekt LÜSA und verbrachte die letzten Jahre seines Lebens im Betreuten Wohnen. Als Junkie infizierte er sich mit Hepatitis, was ihn aber nicht vom Alkoholkonsum abhielt. „Man kann es nicht anders sagen, aber er hat sich zu Tode gesoffen“, sagt Göbel, „der Körper hat das nicht mehr mitgemacht.“ Thorsten starb an Leberzirrhose. Kurz vor seinem Tod regelte er seine Dinge und teilte mit, wie seine wenigen Habseligkeiten aufgeteilt werden sollten: „In der Schublade liegt noch etwas Geld für meine Tochter.“
Thorstens letzte Ruhestätte befindet sich in seiner alten Heimat – am Ende hat ihn die Familie heimgeholt. Die Urne mit Christians Asche wurde in Lünen beigesetzt, am Fuße eines Baumes, ohne Grabplatte, aber mit einem Namensschild am Stamm, das an ihn erinnert. Für das würdige Begräbnis hat LÜSA gesorgt, denn nicht immer sind Familienangehörige nach Jahrzehnten der Trennung aufzufinden, oder sie verweigern schlicht die Übernahme der Beisetzung.
Den Gedenktag am 21. Juli begeht LÜSA am „Junkie-Altenheim“ im dörflichen Unna-Hemmerde. Um 12:30 Uhr läuten die Glocken der Dorfkirche, anschließend wird ein neuer Baum für die verstorbenen Drogengebraucher_innen gepflanzt. Der Einladung werden wieder viele Vertreter_innen aus dem öffentlichen Leben des Kreises Unna folgen. „Wir fühlen uns von diesem Gemeinwesen getragen“, erklärt Anabela Dias. Den Gästen hat sie mit der Einladungskarte ins Stammbuch geschrieben, dass der Krieg gegen Drogen längst gescheitert sei und sich gegen die Konsument_innen richte, während Drogenbosse immer reicher würden.
Die Wahl des Veranstaltungsortes ist kein Zufall: Auf dem Grundstück beim LÜSA-Haupthaus in der Innenstadt ist nach den Gedenktagen der letzten Jahre kein Platz mehr für weitere Bäume.