Wieder einmal waren meine Frau Christiane und ich in Athen, genauer gesagt in Kifisia. Vom 17. bis 26. Mai 2016 unterstützten wir unsere Freunde beim Aufbau eines mobilen Pflegedienstes. Diesmal hatten wir zusätzlich fachliche Unterstützung dabei. Wir führten gemeinsam Seminare und verschafften uns einen Eindruck über den Verlauf des Projekts „Mobile Pflege in Athen“. Welchen Herausforderungen wir uns gegenübergestellt sahen und wie wir die soziale Lage in Athen empfanden, möchten wir nun berichten.
Fachliche Unterstützung an Bord
Mit von der Partie war diesmal Stefan Boy, Klinikmanager von Vitos Weilmünster und Vitos Hadamar. Er übernahm ein zweitägiges Seminar zu den Themen „Demenzerkrankungen“ und „Validation“. Christiane und ich führten ein weiteres Seminar zu den Themen „Berufliches Selbstverständnis von Pflegenden“ und „Allgemeine berufliche Kommunikation“ durch.
Die Inhalte wurden sehr gut und interessiert angenommen. Nicht zuletzt, da sie im beruflichen Alltag der Kolleginnen und Kollegen in Athen ständig präsent sind. Von den im Altenwohn- und Pflegeheim Lois betreuten Personen sind ca. 80% demenziell erkrankt. In den Seminaren behandelten wir Strategien von Naomi Feil und Nicole Richard, beide bekannte Gerontologinnen.
Überwindung kommunikativer Hürden
Wichtig war uns nicht nur, unser Wissen zu vermitteln. Wir wollten auch kommunikative Hürden im beruflichen Miteinander und in der berufsübergreifenden Zusammenarbeit verringern und überwinden. Für uns selbstverständliche Inhalte aus den Kommunikationswissenschaften sind in der Pflegeausbildung in Griechenland unterrepräsentiert. Wie auch in anderen südeuropäischen Ländern wird dort im Pflegeberuf sehr handwerklich-technisch ausgebildet. Zudem ist die Rolle des Arztes im Kontext der Krankenversorgung übermächtig. Die verfügbaren sozialen Kompetenzen von Pflegenden werden häufig in den Hintergrund gedrängt. Aufgrund dieser Sachverhalte war auch in diesem Seminar die Aufmerksamkeit sehr hoch.
Das Projekt „Mobile Pflege in Athen“
Während unseres Besuchs konnten wir unsere Eindrücke vom Verlauf des Projekts „Mobile Pflege in Athen“ vertiefen. Seit Februar 2016 ist eine hauptamtlich angestellte professionelle Pflegekraft mit dem Aufbau und der Organisation des mobilen Pflegedienstes betraut. Mittlerweile betreut Frau Linardou 16 Familien. Zudem hat sie damit begonnen, Interessierte für die Arbeit in einem Pflegeteam zu werben und zu schulen. Da in Athen und Umgebung bedürftige Angehörige häufig von Laien betreut werden, gibt es einen Kreis von Interessenten.
Im Juni 2016 wird Frau Linardou zur Hospitation in einem mobilen Pflegedienst nach Deutschland kommen. Sie wird dann die häusliche Versorgung durch die Diakoniestation Hohenahr begleiten. Dabei wird sie hilfreiche Informationen und Anregungen für die Arbeit in Athen einholen können. Die Ausweitung der Arbeit, in Form einer ergotherapeutischen Tagesbetreuung, ist in Planung.
Soziale Lage in Griechenland weiter sehr angespannt
Insgesamt ist die soziale Lage in Griechenland weiterhin sehr angespannt. Ja, man muss sagen, dass die jüngst auf Druck der EU beschlossenen Einsparungen eine nochmalige Verschärfung bedeuten. Rentenkürzungen um bis zu 30% werden das Leben für viele Familien weiter erschweren. Die Rente eines Familienmitglieds ersetzt regelmäßig die fehlende staatliche Unterstützung.
Die Gehälter der Arbeitnehmer sind ebenfalls vielerorts in Bereichen angelangt, die eine menschenwürdige Existenz kaum ermöglichen. Beispielsweise verdient eine Krankenschwester bis zum Alter von 25 Jahren maximal ca. 500.-€ netto im Monat. Der Status des Verheiratetseins und ein höheres Alter bedeuten noch einen geringen Zuwachs von etwa 100.-€ monatlich. Dass bei mit Deutschland vergleichbaren Lebenshaltungskosten die Lebensqualität stark begrenzt ist, liegt auf der Hand. Umso mehr verwundert das Engagement und die Herzlichkeit unserer Freunde im Umfeld des Altenpflege- und Wohnheims Lois. Für die Bewohner und auch für die Gäste wird alles Erdenkliche mit geringsten Mitteln möglich gemacht.
Zeit und Raum für zwischenmenschliche Wärme
Als Beobachter trifft man in der täglichen Pflege auf ein hohes Maß an Menschlichkeit und Zuwendung. Obwohl eine enge zeitliche Taktung für die Erledigung pflegerischer Aufgaben besteht, findet sich immer wieder auch Raum für zwischenmenschliche Wärme. Der Begriff der ganzheitlichen und individuellen Pflege von Menschen ist in Griechenland beruflich nicht etabliert. Im Haus Lois erfahren wir diese Konzepte jedoch auch ohne wissenschaftlichen Hintergrund täglich.
Pflegewissenschaft als Teil der akademischen Pflegeausbildung wird in Griechenland ebenfalls kaum gewürdigt. Das erschwert das Rollenverständnis der Berufsangehörigen zusätzlich. Als Ersatzkonzept dienen häufig religiöse Motivationen zur Ausübung des Pflegeberufs. Im Ergebnis darf den Beschäftigten von Haus Lois aber bescheinigt werden, dass die Qualität ihrer Arbeit nicht geringer zu bewerten ist, als die deutscher Kollegen.
Wieder einmal kehren wir beeindruckt und auch mit vielen schönen Begegnungen beschenkt zurück nach Deutschland. Schon vor unserer Abreise erhielten wir eine Anfrage für einen weiteren Besuch im Herbst 2016. Sollte es für uns möglich sein, werden wir die Gelegenheit sicher wieder nutzen.
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