HIV-Prävention in Südafrika: Verspätete Vernunft

Vor genau 16 Jahren war die Internationale Aids-Konferenz schon einmal in Durban zu Gast. Damals galt es das Schweigen rund ums Tabuthema HIV und den tödlichen Einfluss der „Aids-Leugner“ zu brechen. Seither hat sich viel getan.

„Breaking the Silence“: Unter diesem Motto kamen im Juli 2000 rund 12.000 Menschen aus aller Welt bei der 13. Internationalen Aids-Konferenz in Durban zusammen. Und tatsächlich brach die Konferenz, die zum ersten Mal in einem Land des globalen Südens stattfand, das Schweigen um das wichtige Thema weltweiter Zugang zur Behandlung und Versorgung. An der Frage, wie endlich auch die Menschen in den am stärksten betroffenen, aber armen Ländern HIV-Medikamente bekommen können, kam nach Durban niemand mehr vorbei.

16 Jahre später findet die Konferenz zum zweiten Mal in der Stadt an Südafrikas Ostküste statt, diesmal unter dem Motto „Access Equity Rights Now“. Wieder also geht es um den „Zugang für alle, Gerechtigkeit jetzt“. Der Hintergrund: Präventionslücken drohen die weltweit erzielten Erfolge gegen die HIV- und Aids-Epidemie zunichte zu machen.

Welche Schritte das Gastgeberland Südafrika unternommen hat, um die einst katastrophale Lage zu verbessern, und vor welchen Herausforderungen die „Rainbow Nation“ heute steht, beschreibt HIV-Aktivist Peter Wiessner vom Aktionsbündnis gegen AIDS.

Redaktion und weitere Recherchen: Holger Sweers

2000: Entsetzen über „Aids-Dissidenten“

Die 13. Internationale Aids-Konferenz im Jahr 2000 stand unter einem schlechten Stern, die Situation in der Region war dramatisch. Schätzungsweise 4,3 Millionen Menschen in Südafrika lebten damals mit HIV, etwa 10 Prozent der Bevölkerung und 20 Prozent aller Südafrikaner_innen zwischen 15 und 49 waren infiziert, und in der Provinz KwaZulu Natal wurde bei 40 Prozent der Schwangeren eine HIV-Infektion diagnostiziert.

Knoblauch und Rote Bete gegen Aids …

Dabei gab es bereits seit 1996 wirksame HIV-Medikamente und Möglichkeiten zur Vermeidung von Mutter-Kind Übertragungen. In Südafrika wurde ihr Einsatz aber durch den gefährlichen Einfluss von „Aids-Dissidenten“ wie Peter Duesburg, David Rasnick und Matthias Rath verhindert: Der damalige südafrikanische Präsident Thabo Mbeki sah nicht HIV, sondern Armut und Unterernährung als wichtigste Ursache von Aids. Im Vorfeld der Konferenz hatte Mbeki ein Expertengremium eingesetzt, dem auch „Aids-Dissidenten“ wie David Rasnick angehörten – er forderte ein Verbot von HIV-Tests und die Unterlassung der Testung von Südafrikas Blutkonserven.

Konferenzteilnehmer_innen und Weltöffentlichkeit waren entsetzt. 5000 Wissenschaftler_innen reagierten mit der „Durban-Erklärung“, in der HIV klar als Ursache von Aids benannt wurde. Trotzdem kostete die Leugnung des Zusammenhangs zwischen der HIV-Infektion und Aids durch Thabo Mbeki und seine Regierung weiterhin Menschenleben ­– einer Studie zufolge hätte Südafrika in den Jahren 2000 bis 2005 den Tod von 330.000 Erwachsenen und 35.000 Kindern verhindern können, wenn es wie seine Nachbarländer für den Zugang zu antiretroviralen Medikamenten gesorgt hätte.

Eigentlich hatte die Regierung auch gute Karten, denn 2001 verteidigte sie erfolgreich ein Gesetz, das die Produktion günstiger HIV-Generika erlaubte. Dennoch vertrat die erst 2008 entlassene Gesundheitsministerin Manto Tshabalala-Msimang die Ansicht, Aids lasse sich unter anderem durch Knoblauch, Rote Bete, Zitronen und Yamswurzeln vermeiden. Außerdem verweigerte sie HIV-Behandlungsprogramme und lehnte Gelder des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria ab. Der Spuk endete erst, als Thabo Mbeki im September 2008 aus parteiinternen Gründen sein Amt als Präsident niederlegen musste.

Verspätete Vernunft

Viel zu lange wurden die Machenschaften der „Aids-Dissidenten“ geduldet. Erst 2008 untersagte ein südafrikanisches Gericht Matthias Rath den Vertrieb und die Bewerbung seiner Vitaminpillen als gegen HIV wirksam. Als Kläger trat damals die Treatment Action Campaign (TAC) auf, die 1998 vom HIV-positiven Aktivisten Zackie Achmat und 10 weiteren Personen gegründet worden war. Ihre gezielten Aktionen – auch auf der Aids-Konferenz im Jahr 2000 – setzten die Politik unter Druck, sich um Themen wie Patentrechte, die Finanzierung des Gesundheitssystems und den Zugang zu HIV-Medikamenten zu kümmern. Einen ihrer größten Erfolg errang die Kampagne 2002: Das südafrikanische Verfassungsgericht verurteilte die Regierung dazu, schwangeren Frauen HIV-Medikamente zum Schutz vor Mutter-Kind-Übertragungen zur Verfügung zu stellen.

Erst unter Druck der Zivilgesellschaft bewegte sich die Politik

Achmat selbst weigerte sich, HIV Medikamente einzunehmen, bis diese für die Allgemeinheit zur Verfügung stünden – er bezahlte seine konsequente Haltung fast mit dem Leben. 2002 versuchte Nelson Mandela, ihn zum Therapiebeginn zu bewegen, doch Achmat begann erst 2003 mit der Behandlung, kurz bevor die Regierung endlich den universellen Zugang zu HIV-Medikamenten in Aussicht stellte.

Beachtliche Erfolge unter Zuma

Als Jacob Zuma 2009 zum Präsidenten gewählt wurde, der von 1999 bis 2005 unter Mbeki Vizepräsident gewesen war, ließ dies zunächst keine Verbesserung der HIV-politischen Misere im Land erwarten. Doch seine Regierung machte vieles besser als die Vorgänger:

Das Ziel, 80 Prozent aller HIV-Infizierten antiretroviral zu behandeln, wurde allerdings verfehlt: Ende 2010 bekamen nur knapp 55 Prozent derjenigen, die eine HIV-Therapie brauchten, die lebensnotwendigen Medikamente, und bei Kindern sah es noch düsterer aus: Lediglich 36 Prozent der Behandlungsbedürftigen bekamen HIV-Medikamente, 196.000 Kinder blieben ohne Therapie.

Die Lage ist immer noch dramatisch

Der im Dezember 2011 verabschiedete dritte nationale Strategieplan zur Bekämpfung von HIV, STIs und Tuberkulose (TB) für die Jahre 2012 bis 2016 formulierte folgende fünf Ziele:

  • Halbierung der HIV-Neuinfektionsrate bis 2016
  • 80 Prozent der HIV-Infizierten, bei denen eine Behandlung angezeigt ist, sollen diese auch erhalten
  • Halbierung der Tuberkulose-Neuinfektionen und -Sterbefälle
  • Sicherung der Rechte von Menschen mit HIV
  • Maßnahmen zur Bekämpfung des mit HIV und Tuberkulose einhergehenden Stigmas.

Ausblick

Die Ziele und die HIV-Politik der südafrikanischen Regierung können sich durchaus sehen lassen: Ende 2015 hat das Land Truvada zur HIV-Prä-Expositions-Prophylaxe zugelassen, im Februar 2016 gab es grünes Licht für HIV-Heimtests, und im März 2016 wurde ein HIV-Präventionsplan für Sexarbeiter_innen verabschiedet.

Die Lage im Land bleibt indes vorerst dramatisch. Nach Angaben von UNAIDS für das Jahr 2015 lebten ca. 7 Millionen Südafrikaner_innen mit HIV, darunter 4 Millionen Frauen ab 15 Jahren, und fast 20 Prozent aller Einwohner_innen zwischen 15 und 49 Jahren waren HIV-infiziert – jede_r Fünfte. Rund 180.000 Menschen starben 2015 an den Folgen von Aids, viele von ihnen hinterließen Kinder: 2,1 Millionen „Aids-Waisen“ lebten 2015 in Südafrika.

Auch die Bundesregierung muss globale Solidarität zeigen

Die Zahl der Neuinfektionen ist nach wie vor sehr hoch – 2014 lag sie bei etwa 340.000. Zugang zu HIV-Medikamenten haben derzeit etwa 3,5 Millionen Südafrikaner_innen, also rund die Hälfte aller Infizierten. Gesundheitsminister Motsoaledi kündigte allerdings am 10. Mai 2016 an, dass bis zum September 2016 allen HIV-Infizierten eine Therapie angeboten werden soll – ein mutiges Versprechen, mit dem die Regierung die globalen 90-90-90-Ziele erreichen will: 90 Prozent aller HIV-Infizierten sollen ihren Status kennen, 90 Prozent aller Diagnostizierten sollen Zugang zu Behandlung haben, und bei 90 Prozent der Behandelten soll kein Virus mehr nachweisbar sein.

Den Menschen in Südafrika kann man nur wünschen, dass diese Ziele ernst gemeint sind und dass die internationale Gemeinschaft die nötigen Mittel zur Verfügung stellen, wenn die von der Internationalen Aids-Konferenz ausgehende Euphorie verklungen ist. Im September wird in Kanada die Wiederauffüllungskonferenz für den Globalen Fond für die Jahre 2017 bis 2019 stattfinden. Spätestens dann wird sich herausstellen, ob alle Vorhaben finanziert werden können und ob auch die Bundesregierung einen finanziellen Betrag leistet, der der Wirtschaftskraft und der internationalen Bedeutung unseres Landes entspricht. Der im Haushaltsentwurf der Bundesregierung für den Globalen Fonds vorgesehene Betrag lässt indes nichts Gute hoffen: globale Solidarität sähe anders aus.