Kaffeepause. Der Oberarzt holt sein iPhone heraus. ‚Schaut mal!‘ Ich bin etwas überrascht, denn als erstes kommen vor allem viele Fotos von Brüsten, Bäuchen und den Allerwertesten seiner Patienten auf seinem Handy zum Vorschein, die er rasch beiseite schiebt. Wer nicht weiß, dass Docteur Jean plastischer Chirurg ist, könnte sich darüber schon wundern. Dazwischen die Bilder, die er uns eigentlich zeigen möchte: Seine Tochter heute früh vor der Arbeit. Stolz präsentiert er uns den rosigen Winzling, vier Wochen ist die kleine Paula alt. Und das ganze Glück des frisch gebackenen Vaters deutlich zu spüren.
Ich bin gerührt und erkundige mich, ob es in Frankreich so etwas wie Vaterzeit gibt. Gibt es, allerdings nur zwei Wochen. Docteur Jean nickt, ‚bei euch ist das anders, oder? Ja, hab ich schon mal gehört. Wie genau noch mal?‘. Expertin bin ich auf diesem Gebiet noch längst nicht, aber ich berichte, so genau ich es weiß, wie die Regelung in Deutschland ist. Zwölf Monate Erziehungszeit für ein Elternteil, zwei gibt es noch mal extra, wenn auch der Partner für mindestens zwei Monate zu Hause bleibt. Die sogenannten Vatermonate. Für die Zeit bekommt man dann zwei Drittel seines alten Gehalts, maximal €1800. Das ist zumindest der letzte Stand, den ich kenne, gut möglich, dass sich da einiges geändert hat seitdem… Ist ja ein heiß diskutiertes Thema und irgendwie andauernd Bestandteil von Reformen. Auf jeden Fall ist es in Deutschland relativ üblich und auch für viele machbar, nach der Geburt eines Kindes für eine ganze Weile aus dem Beruf auszusteigen, erkläre ich. Meine junge Kollegin Anne staunt. Und Docteur Jean nickt. Ja, noch ist seine Frau zu Hause. Insgesamt hat sie aber nur vier Monate frei, sechs Wochen vor der Geburt und zehn Wochen danach. Dann fängt sie wieder an zu arbeiten. ‚Aber sag mal, dafür ist das bei euch in Deutschland nicht so gern gesehen zum Teil, dass Frauen wieder früh anfangen, oder?‘. Ja genau, in Deutschland gibt es dafür sogar den Begriff Rabenmutter. Darüber staunt Anne noch einmal. Diesmal aber nicht unbedingt neidisch, sondern eher etwas beruhigt – also hat alles irgendwie auch wieder seine Kehrseite.
Von Quoten und Konditionen
Die Franzosen bekommen mehr Kinder als die Deutschen. Und bei einer kurzen Recherche im Internet bin ich nicht überrascht zu lesen, dass die Erwerbstätigkeitsrate von Frauen, gute Kinderbetreuungsmöglichkeiten und die Geburtenrate positiv korrelieren. Während in Frankreich Frauen im Schnitt 2,00 Kinder bekommen, bekommen wir in Deutschland nur 1,38. Und eine weitere Zahl lässt mich aufhorchen: Die Kinderbetreuungsrate der Kleinkinder bis zu drei Jahren beträgt bei uns nur 13,9%, in Frankreich dagegen 42,9%.* Das ist doch wirklich ein gravierender Unterschied.
Vor ein paar Tagen habe ich in der Zeit einen Artikel zu dem Thema gelesen. ‚Kinderwunsch: Gute Gründe gegen Kinder’**. Kurz gesagt hat eine Studie ergeben, dass Frauen in Deutschland recht unterschiedliche Vorstellungen von ihrer Lebensgestaltung haben. Was Kinder betrifft, sind sie sich jedoch relativ einig, dass flexible Betreuungsmöglichkeiten ihnen den Alltag um einiges erleichtern würden. Dazu kommt natürlich noch die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen, die geschlossen gehört und – wenn man schon mal nach seinen Wünschen gefragt wird – möglichst auch ein Arbeitgeber, der eine flexible Arbeitszeitgestaltung möglich macht.
Das ist eine ganze Menge und alles auf einmal nicht zu schaffen. Und obwohl ich es in Frankreich bemerkenswert finde, wie leicht es den Frauen hier gemacht wird, ohne große Pause im Beruf weiter ihre Karriere zu gestalten, hat auch das natürlich eine Kehrseite – sich hier einige Zeit gänzlich der Kindererziehung zu widmen, ist wiederum in unserem Nachbarland unüblich und stößt gesellschaftlich auf Verwunderung. Und für die meisten Familien in Paris wäre es wohl obendrein aus rein finanziellen Gründen auch gar nicht vorstellbar.
Kein einfaches Thema
Aber es gefällt mir noch etwas in Frankreich: Und zwar habe ich den Eindruck, dass Kinder haben in Frankreich nicht bedeutet, dass sich die Welt der Erwachsenen fortan nur um sie dreht. Sondern dass sie eher nebenbei mitlaufen und die Erwachsenen sie zwar mit offenen Armen willkommen heißen, aber trotzdem ihren Weg (und ihre Karriere) weitergehen. Das kann auch zu weit gehen: neulich erzählte mir mein Mitbewohner, er habe eine Freundin, die selbst während ihrer Schwangerschaft nicht aufgehört habe zu rauchen. ‚Sie wollte einfach nicht.‘ Dafür Verständnis aufzubringen, bei aller Freiheitsliebe, fällt mir als Medizinstudentin dann doch sehr schwer. Aber gut gefallen hat mir zum Beispiel die Mutter, die ich bei einem Ausflug in eines der schönen Schlösser im Pariser Umland auf dem Spielplatz mit ihren Kindern beobachtet habe. Auf ihr ausgesprochen unpraktisches Outfit hatte ich erstmal nur mit einem Kopfschütteln reagiert: ein schickes Kleid und Pumps. Doch entgegen meines voreiligen Schlusses, dass diese Schuhe sie davon abhalten würden, mit ihren Kindern zu spielen, half sie ihnen durch den Sand und beim Erklimmen des Klettergerüsts. Und so beobachtete ich eine Frau, die Lust darauf hat, schicke Pariserin und Mutter zugleich zu sein. Und hatte das Gefühl, dass es in Frankreich etwas einfacher ist, solcherlei Wünsche übereinander zu legen.
*vgl. Broschüre des BMFSFJ ‚Wohlfahrtsstaatliche Einflussfaktoren auf die Geburtenrate in europäischen Ländern‘, Seite 17
**Bei Interesse anbei der Link zum Nachlesen (auch wenn ich den Artikel nicht sonderlich erhellend fand) auf Zeit-Online.