Kürzlich hat sich Blog-Kollege Lars Fischer im Fischblog heldenhaft in die Bresche geworfen, um im Rahmen des Blog-Gewitters zur EM das faszinierende, aber auch recht abstrakte Thema der Kristallographie gewohnt anschaulich zu erklären. Er geht auch auf die Thematik der Quasikristalle ein, und da gibt es eine interessante planetologische Verbindung. Aber erst mal alles von Anfang an.
Ich habe noch ganz klassisch Mineralogie studiert, gab es damals in den 90ern noch als separates Studienfach (heute ist alles Geologie). Und da lernt man gleich im Grundstudium in Min 1, beim Drehen von uralten Pappmodellen, dass eigentlich nur 1-, 2-, 3-, 4-, und 6-zählige Symmetrien in Kristallen möglich sind. Fünfzählige Symmetrien (und solche über 6) sind erstmal nicht möglich, da man mit einer solchen Symmetrie den Raum nicht periodisch zukacheln kann. Anfang der 60er Jahre wurden dann Quasikristalle erst mal theoretisch begründet, und Anfang der 80er dann in Legierungen erstmals festgestellt. 2011 gabs dafür sogar den Nobelpreis.
In der Natur wurden lange keine Quasikristalle gesichtet. Bis dann 2009 Bindi, Steinhardt et al. ein Paper über 30 Mikron (0.03 mm) große Quasikristalle in aus dem Koryak-Gebirge in Kamtschatka in Science veröffentlichten. Es handelt sich um eine Legierung aus Aluminium, Kupfer und Eisen. Benannt wurde es als Icosahedrit, Al63Cu24Fe13. Die 5-zählige Struktur erinnert ein wenig an einen Fußball.
Dummerweise war die Herkunft der Proben damals noch etwas schwammig – sie stammten aus tonhaltigen Flusssedimenten, konnten also aus irgendeinem obskuren Winkel in dem sibirischen Gebirge stammen. Also wurde Material vor Ort eingesammelt, und tatsächlich noch weitere Proben entdeckt, nachdem größere Mengen Material durchgesiebt wurden. Eine genauere Studie der mit dem Icosahedrit verwachsenen Minerale deutete dann 2012 darauf hin, dass es sich möglicherweise sogar um Brösel aus einem Meteoriten handelte. Zentral war hier die gute, alte Sauerstoffisotopie der angelagerten Silikate und Oxide, die klar auf eine extraterrestrische Herkunft hindeutete. Sie ist ähnlich derer in den kohligen Chondriten. Noch besser, es kam auch Stishovit vor, ein Mineral, das nur unter hohen Drücken wie bei Impakten oder Kollisionen entsteht. Weitere Untersuchungen zeigten auch generelle petrologische Ähnlichkeit zu kohligen Meteoriten (z.B. Fragmente von Chondren) hin. Genug, um die ~0.1 Gramm Brösel als den Khatyrka CV3 Meteoriten offiziell anzuerkennen (Eintrag in der Meteoritcal Bulletin Database). Es ging Schlag auf Schlag weiter. 2013 wurde ein weiteres natürliches, quasikristallines Mineral in dem Material entdeckt: Decagonit (Al71Ni24Fe5), der Name kommt von der 10-zähligen Symmetrie.
Dann aber fiel mir Anfang dieses Jahr auf der Lunar and Planetary Science Conference in Houston ein unbemanntes Poster auf. Es stammte von der Gruppe um Steinhardt, inzwischen verbündet mit Glenn MacPherson, einem rennomierten Meteoritenforscher vom Smithsonian. Man muß nicht zwischen den Zeilen lesen, dass es hier hinter den Kulissen ordentlich gekracht hat. Es scheint sogar der Vorwurf eines ‚Hoax‘, also einer Täuschung oder Fälschung gefallen zu sein, oder zufälliger Kontamination z.B. durch industrielle Schlacke (und das Zeug findet man irgendwie überall auf unserem Planeten). Ein Schlag ins Kontor, starker Tobak also.
Dann ein Gegenstoß. Es wurde sprichwörtlich schweres Geschütz aufgefahren. Die bedrängte Forschergruppe beschloss, in die Offensive zu gehen, und die Minerale künstlich herzustellen, und zwar unter realistischen Bedingungen. Man wollte also die Kollision auf dem Asteroiden nachstellen, in der die Quasikristalle entstanden. Ein zentraler Hinweis war das Vorkommen von Stishovit, was eine Bestimmung des Drucks erlaubte. Angeführt von Paul Asimow (Caltech), wurden Minerale, die als Ausgangsmaterial in Frage kamen, in einen Stahlzylinder eingeschraubt. Dann wurde die hilflose Probe in einem vier Meter langen Geschütz mit einem Projektil beschossen. Diese Sample Recovery-Technik erlaubt hohe Drücke mit relativen niedrigen Projektilgeschwindigkeiten zu erzeugen. Das waren immerhin noch 1 Kilometer pro Sekunde, und das ist immer noch ein ordentlicher Wumms (weiß ich aus eigener Erfahrung mit solchen Experimenten). Die in der Regel völlig zerbeulte Stahlkapsel muss dann aufgesägt werden, um wieder an das Material zu kommen.
Veröffentlicht wurde das Ganze kürzlich von Asimow et al. unter dem Titel Shock synthesis of quasicrystals with implications for their origin in asteroid collisions in den Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS). Das Blatt hat sich in den letzten Jahren ziemlich gemausert, hat zwar nicht den (meiner Meinung nach überhypten) Impaktfaktor von Nature oder gar Science, spielt aber schon vorne mit.
So ergaben die Untersuchungen der Ergebnisse mit Röntgenbeugung und Transmissionselektronenmikroskop, dass sich in der Tat winzige, aber identifizierbare Quasikristalle gebildet hatten. So macht ergibt das Alles eben doch Sinn – auch wenn ein ‚richtiger‘ Meteorit im Komplettzustand mit Quasikristallen noch besser wäre. Und das ist natürlich schon faszinierend, dass sich die Quasikristalle in einer sich von irdischen Gegebenheiten doch sehr unterscheidenden Umgebung gebildet haben. Wobei primitive Meteorite dann eigentlich schon der Ort wäre, wo man so abgefahrene Minerale erwarten würde. Aber selten sind die Teile, die Gefahr dass die Minerale schlichtweg bisher übersehen wurden ist gering – metallische Aluminiumlegierungen wie die von Icosahedrit und Decagonit würden ziemlich schnell bei den üblichen chemischen Untersuchungen mit EDX oder Mikrosonde ins Auge springen. Eine Schlussfolgerung erlaubt das Vorkommen der Quasikristalle in den sehr alten CV3 Chondriten – nämlich das sie über lange, geologische Zeiträume stabil sind. Dadurch kann eine Hypothese über die Entstehung der Quasikristalle, die ‚Entropische Theorie‘ wohl ausgeschlossen werden, nach der es sich bei den Quasikristallen um in zufälligen Prozessen entstandene, instabile Objekte handelt.