Und täglich grüßt das Murmeltier: Morgenbesprechung. Momentan für mich in der Chirurgie. Pünktlich um acht Uhr legt Docteur Etienne los, obwohl noch nicht alle eingetrudelt sind, die erwartet werden: Oberärzte, Pflegeteam, Assistenzärzte, Studenten, Chef. Trotz einer kurzen Nacht rattert er in gewohnt schnellem Tempo runter, womit er sich in den letzten Stunden beschäftigt hat: Blinddarm, Perforation eines Magenulkus, akuter Darmverschluss.
Dann sind die Assistenzärzte dran. Sie haben schon um sieben Uhr mit der Arbeit angefangen und ihren Patienten einen morgendlichen Besuch abgestattet. Zehn betreut jeder von ihnen, kurz stellen die jungen Ärzte vor, in welchem Zustand sich ihre Patienten befinden. Monsieur M. geht es gut, die Verdauung ist wieder wie gewohnt angelaufen, er ist fieberfrei. Madame P. hat weiterhin epidurale Schmerzen, der Scanner hat aber keine Auffälligkeiten gezeigt. Monsieur T. soll heute nach Hause entlassen werden, die Nachbetreuung ist aber noch nicht abschließend geklärt; nachher kommt sein Sohn vorbei, dann wird hoffentlich alles geregelt werden können. Wir Studenten schreiben fleißig mit: Unsere Aufgabe wird es sein, alles im System zu notieren, um den Assistenten etwas Arbeit abzunehmen und der Dokumentationspflicht im Krankenhaus genüge zu tun. Der Chef drängt wie immer darauf, Patienten zu entlassen. Oberärztin Colline verdreht die Augen. Deutlich ist der Konflikt spürbar zwischen dem Versuch des Chefs, wirtschaftlich zu handeln und dem Wunsch der Ärztin, ihre Patienten bestmöglich zu betreuen.
Guten Appetit!
Dann wird unterbrochen und unser Chef winkt einen Mann in schickem Anzug heran, der bislang geduldig vor der offenen Tür gewartet hat. Nun bringt er – so diskret wie möglich und unweigerlich trotzdem sehr viel Aufmerksamkeit auf sich ziehend – vier Tabletts mit Croissants, Schokocroissants und Rosinenschnecken herein, dazu Kaffee und Orangensaft. Auch an Zucker, Becher und Servietten hat er gedacht. Doch die Besprechung ist noch längst nicht zu Ende, insofern traut sich kaum jemand, sich zu bedienen. Nur Docteur Etienne fängt nach einigen Minuten an, Kaffee auszuschenken und schiebt eins der Tabletts in die Studentenecke. Als sich der Chefarzt bedankt, ‚Das Frühstück wurde uns übrigens freundlicherweise von Sanofi gestiftet‘, setzt unser Gast hoffnungsvoll an, um ein paar bedeutsame, gar festliche Worte an uns zu richten. ‚Die Idee ist ganz einfach, dass wir gemeinsam einen schönen Moment erleben und Sie sich stärken können für die Herausforderungen des neuen Tages. Denn wir von Sanofi…‘, doch der gute Herr hat nicht mit Oberärztin Colline gerechnet, die ihn keines Blickes würdigt, sondern sich etwas genervt an den Chef richtet; denn noch wurde nicht für alle Patienten festgelegt, wie die weitere Versorgung aussieht. Und Arbeit geht vor Vergnügen im Krankenhaus. Da müssen sich auch die nettesten Gäste anpassen. Geduldig zieht sich Monsieur Sanofi also noch einmal zurück. Die Besprechung dauert noch etwa eine Viertelstunde, dann hat er endlich eine kurze Minute, um – diesmal mit deutlich weniger ruhiger Stimme und in ziemlichem Eiltempo – seine Botschaft zu übermitteln. Es gibt eine neues Internetportal*, das Ärzte in der Sprechstunde nutzen oder ihren Patienten empfehlen können, um sie über Thrombosen und den Zusammenhang zu einer Lungenembolie zu informieren. Das sollen wir uns mal ansehen, vielleicht finden wir es ja hilfreich. Bisher habe ich noch keinen Arzt gesehen, der damit gearbeitet hat, aber einen Versuch ist es wohl wert.
Klinken putzen im Krankenhaus
Pharma-Vertreter sind mir im Krankenhaus nun schon häufiger begegnet. Und meistens tun sie mir ein bisschen Leid, weil ich ihre Rolle als ziemlich unangenehm empfinde. Oft haben die Ärzte kaum Zeit, sprechen nur kurz und abwesend mit ihnen, während die Gesandten versuchen, so viele Vorteile wie möglich ihrer Produkte aufzuzählen. Schön stelle ich mir die Aufgabe des etwas aufdringlichen ungeladenen Gastes nicht vor. Wobei Mitleid vermutlich nicht nötig ist – verdienen sie wohl meist sehr gut und haben obendrein angenehme Arbeitszeiten. Und sich diesen Job ja schließlich ausgesucht.
Einmal allerdings war da diese Frau um die 50, die sich so angeregt und vertraut mit den Oberärzten unterhielt, dass ich sie erst für eine Kollegin hielt, die ausnahmsweise gerade keinen Kittel anhatte. Ausgestattet mit einem großen Beutel Kirschen und portugiesischen Vanilletörtchen, in schickem Kleid und auf hohen Absätzen (ganz die typische Pariserin) war sie plötzlich da, verfolgte interessiert das Vorgehen im Herzkatheterlabor und erzählte mir freundlich, dass ihr Sohn gerade für ein Erasmus-Semester in Münster sei, allerdings nicht als Medizin-, sondern als Jura-Student. Da hatte ich den Eindruck, dass man wohl doch auch ein sehr schönes Leben haben kann als Pharma-Vertreter im Krankenhaus. Zumindest, wenn man die Ärzte in etwas entspannteren Momenten erwischt, als in einer Morgenbesprechung der (zum Teil chronisch überarbeiteten und geschafften) Chirurgen.
*www.agir-thrombose.fr falls ihr mal reinschauen wollt.