„Top“ Gesundheits-Apps: Von den Besten lernen

Zu den 10 bedeutendsten Ursachen für die Krankheitslast in Deutschland zählen Herzkreislauferkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall), Rückenschmerzen, Depression und Lungenkrebs (Plass 2014). Alle diese Krankheiten lassen sich zum großen Teil auf verhaltensassoziierte Risikofaktoren (Übergewicht, Bewegungsmangel, Stressbewältigung) zurückführen. Weil es so schwierig ist, Gesundheitsverhalten dauerhaft positiv zu verändern und fördernde Impulse in vielfältige Lebensbereiche einzubringen, z. B. in der Familie, am Arbeitsplatz sowie in der Freizeit, knüpfen sich an Gesundheits-Apps große Erwartungen: Sie erreichen Menschen überall und rund um die Uhr. Sie könnten Verbrauchern und Patienten verhaltensbedingte Risiken bewusstmachen und ihnen im Alltag dabei helfen, diese zu vermeiden. Soweit die Rationale für den Einsatz von Gesundheits-Apps.

Kontrollierte Studien, die den wissenschaftlichen Nachweis erbringen, dass Apps die Prozesse der Lebensstilveränderung positiv unterstützen können, gibt es bisher nur wenige (Lucht 2015). Auch Ergebnisse zur Langzeitnutzung von Gesundheits-Apps stehen aus. Marktanalysen liefern Hinweise, dass eine durchschnittliche Nutzungsdauer von 30 Tagen von 20 bis 70 Prozent der Gesundheits-Apps erreicht wird – mit großen Unterschieden abhängig davon, wofür die App im Selbstmanagement genutzt wird (Mevvy 2015).

Die vorliegende Analyse der Initiative Präventionspartner basiert auf dem Screening von über 800 Apps (n= 878) in fünf, aus Public Health Sicht besonders relevanten Indikationen.

  • Apps für die Ernährung von Schwangeren sowie von Babys und Kleinkindern in den ersten Lebensjahren: Die Ernährung in dieser frühen Lebensphase prägt maßgeblich die Gesundheit im Erwachsenenalter (BZgA). Eine App, die Mütter beim gesunden Aufwachsen ihrer Kinder unterstützt und im besten Fall auch sozialbenachteiligte Zielgruppe erreicht, ist daher gesundheitspolitisch höchst relevant und ein sinnvoller Baustein in der Gesundheitsförderung
  • Apps für Menschen mit Angsterkrankungen: Knapp 7 Millionen sind in Deutschland Betroffen, die Krankheitskosten aufgrund von Fehlzeiten am Arbeitsplatz sind hoch, der Krankheitsverlauf häufig chronisch. Die Mehrheit der Betroffenen (56%) nimmt keine verhaltenstherapeutischen Maßnahmen in Anspruch (Wittchen & Jacobi 2013).
  • Apps zum Selbstmanagement von Bluthochdruck. Bluthochdruck gehört zu den Hauptrisikofaktoren für die Entwicklung von Herzkreislauferkrankungen, auf die die meisten Todesfälle in Deutschland zurückzuführen sind (Schlaganfall, Herzinsuffizienz und Herzinfarkt). Etwa ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung ist betroffen (RKI 2015).
  • Apps zur Vorbeugung bzw. zur Bewältigung von Rückenschmerzen. Rückenschmerzen verursachen hohe Krankheitskosten, viele Millionen Menschen sind in Deutschland betroffen, ihre Versorgung ist defizitär (Nationales Versorgungsforum Schmerz 2015), die Stärkung der Selbstaktivierung hat einen hohen Stellenwert in schmerztherapeutischen Versorgungskonzepten (Überall 2015).
  • Apps zur Unterstützung der Raucherentwöhnung. Jeder Dritte Deutsche raucht (Statisches Bundesamt 2013), 110.000 Todesfälle jährlich lassen sich auf Tabakkonsum zurückführen.

Die über die Stichwortsuche in Google im April 2016 ermittelten Treffer (englisch- und deutschsprachig, kostenlose & kostenpflichtige Apps, Kategorien Gesundheit & Fitness und Medizin) wurden nach ihrer Beliebtheit aus Nutzersicht sortiert. Als Maß für die Beliebtheit wurde das Produkt aus durchschnittlicher Nutzerbewertung (Skala 1 bis 5 Sterne) und Anzahl der Nutzerbewertungen herangezogen. Apps mit weniger als 5.000 bzw. 1.000 Downloads wurden nicht weiter untersucht. Insgesamt wurden in den fünf Indikationsgebieten 198 Apps identifiziert:

  • Blutdruck-Apps, n = 49 (> 5.000 Downloads)
  • Ernährungs-Apps, Schwangere/Baby, n= 44 (> 1.000 Downloads)
  • Rückenschmerz-Apps, n= 40 (> 5.000 Downloads);  n= 56 (> 1.000 Downloads)
  • Angst-Apps, n= 38 (> 1.000 Downloads)
  • Raucher-Apps, n= 27 (> 1.000 Downloads)

Um das Angebot aus Sicht deutschsprachiger Verbraucher einzuschätzen, wurde im Mai 2016 eine Subgruppenanalyse der Top-Apps durchgeführt, bei der nur die deutschsprachigen und kostenlos verfügbaren Apps berücksichtigt wurden. In keinem Indikationsgebiet mit Ausnahme von Bluthochdruck konnten 10 Top-Apps identifiziert werden, weshalb in diesen Indikationen auch Apps mit weniger als 1.000 Downloads (s. Methodik) herangezogen wurden.

Wie viele Nutzer erreichen die Top-Apps?

Blutdruck-Apps verzeichnen mit großem Abstand die meisten Downloads gefolgt von Raucher-Apps und Rückenschmerz-Apps. Die mittleren Downloads deutschsprachiger Apps für Ernährung von Schwangeren und Babys sowie der Apps zur Bewältigung von Angststörungen liegen deutlich darunter. Hier die mittleren Downloads (Summe der Downloads durch Anzahl der Apps) nach Anwendungsgebieten:

  • Bluthochdruck [n= 10; ): 400.000
  • Raucherentwöhnung (n=8; ): 168.000
  • Rückenschmerz (n= 9): 88.333
  • Ernährung Schwangere/Baby (n=10): 34.000
  • Angststörungen (n= 7): 4.000

Wie erklären sich die Unterschiede der mittleren Downloads pro App?

  • Zum einen könnte der Leidensdruck durch krankheitsbedingte Einschränkungen das Interesse der Nutzer an Apps zur Selbsthilfe erhöhen. Beispiel Blutdruck
  • Auch die sog. Selbstwirksamkeitserwartung könnte Unterschiede erklären. Bei Menschen mit Angststörungen ist sie möglicherweise geringer ausgeprägt, als bei Bluthochdruckpatienten, die sich eher zutrauen, durch eigenes Zutun ihre Krankheit positiv beeinflussen zu können.
  • Ein weiterer Grund könnten Unterschiede in der Ausgereiftheit der App-Konzepte sein: Tagebuch-Apps zum Datenmanagement sind schon länger im Markt und möglicherweise schon besser auf die Bedürfnisse der Nutzer angepasst, als Apps für Menschen mit Angststörungen.

Fazit: Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass das Angebot an Gesundheits- und Medizin-Apps in aus Public Health Sicht relevanten Anwendungsgebieten für deutsche Verbraucher und Patienten längst nicht so riesig ist, wie das gemeinhin bei rein quantitativer Betrachtung des Angebotes vermutet wird. Die Mehrzahl der Apps – auch der Gesundheits- und Medizin-Apps – liegt weitgehend ungenutzt in den Stores (Healthon Dashboard 6/2016).

Um vorhandene Ressourcen effektiv zu nutzen, sollten gesundheitspolitisch verantwortliche Akteure sich vor der Entwicklung eines App-Angebotes

  • an sog. “Leuchtturm-Apps” und „Best Practise“ Beispielen orientieren, um von diesen zu lernen, was eine gute, relevante, bei Nutzern beliebte Gesundheits-App auszeichnet.
  • das Angebot sorgfältig anschauen:  Wo gibt es bisher noch zu wenige, qualitätsgesicherte Angebote, wo herrscht bereits ein Überangebot aus Patienten- und aus Versorgungssicht?
  • bereits überlegen, welche Methoden erforderlich sind, um den Nutzen von Gesundheits- und Medizin-Apps zu evaluieren, um diese dann auch als Bausteine in die Regelversorgung integrieren zu können?

Details zur Methodik Top App Screening 5/2016: Alle Top-Apps wurden außerdem im Hinblick auf ihre Unterstützungsfunktionen sowie die Erfüllung von Qualitäts- und Transparenzkriterien (healthOn Ehrenkodex) untersucht.

Quellen