Ein bisschen gemein, oder? So ein Thema kurz nach den Sommerferien. Da hatten viele von uns tolles Essen, Cocktails und All You Can Eat-Buffet. Und dann schreibe ich über Gewicht. Wie fies.
Aber keine Sorge, es geht nicht um dein Gewicht, sondern um das unserer Kinder .
Mal ganz spontan: wie schwer ist dein Kind?
Als ich diese Frage zuletzt ohne zu zögern beantworten konnte, waren meine Kinder im Säuglingsalter (da wusste ich das anfangs sogar jeden Tag auf’s Gramm genau). Jetzt kann ich das nur noch eventuell kurz nach einer Vorsorge.
Ich bin nämlich kein Zahlenmensch. Ich speichere die Information ab unter „Alles Ok“, und das war’s dann. Wenig später ist die Zahl vergessen.
Das liegt daran, dass mir in dem Moment, in dem alles in Ordnung ist, die Zahl nicht wichtig ist.
„Alles in Ordnung“ bedeutet für mich: mein Kind ist gesund, braucht keine Medikamente, wiegt nicht zu viel, nicht zu wenig, und hat auch nicht außergewöhnlich zu- oder abgenommen.
Woher weiß ich, was „zu viel“ oder „zu wenig“ ist und wie viel mein Kind zu- oder abnehmen kann, ohne dass man da einmal genauer hinschauen sollte?
Im Vorsorgeheft gibt es dafür hinten die sogenannten „Perzentilen“. Das sind Tabellen, in die bei den Vorsorgen Größe und Gewicht eingetragen werden. In diesen Tabellen findest du Kurven, die dazu dienen, das Gewicht und die Größe deines Kindes mit denen anderer Kinder zu vergleichen.
Die Kurven werden am Rand mit P 97, P 90, P 75, P 50, P 25, P 10 und P 3 bezeichnet.
Man sagt dann zum Beispiel zu P 75: das ist die „75. Perzentile“. Und das bedeutet, dass ein Kind, das mit seinem Gewicht auf der 75. Perzentile liegt, im Vergleich schwerer als 75% der anderen Kinder und leichter als 25% der anderen Kinder ist.
Ein Kind mit Gewicht auf der 50. Perzentile liegt genau in der Mitte: die Hälfte der Kinder ist schwerer, die Hälfte der Kinder leichter.
Schauen wir uns ein Kind an, das ein Gewicht auf der 75. Perzentile hat. Wenn es mit anderen Kindern spielt, die mit ihrem Gewicht auf der 25. Perzentile liegen, fällt seiner Mutter möglicherweise auf, dass ihr Kind „mehr auf den Rippen“ hat, als die anderen. Sie könnte auf die Idee kommen, dass ihr Kind zu dick ist, obwohl das Gewicht völlig normal ist.
Aber: erst oberhalb der 97. oder unterhalb der 3. Perzentile ist das Gewicht nicht mehr im „normalen“ Bereich.
Und das ist nicht alles. Es gibt da noch einiges mehr zu beachten:
- Nicht nur das Gewicht allein, sondern auch die Größe im Verhältnis zum Gewicht spielt eine Rolle (der sogenannte „Body Mass Index“; dafür gibt es noch einmal extra Tabellen).
- Zu beachten ist: Entwickelt sich das Gewicht gleichmäßig im Verhältnis zu den Perzentilen? Beispiel: ein Gewicht knapp oberhalb der 75. Perzentile ist normal, genau wie ein Gewicht auf der 25. Perzentile. Wenn aber ein Kind zuerst in dem einen Bereich lag und bei der nächsten Vorsorge im anderen Bereich, spricht man davon, dass es die Perzentilen „gekreuzt“ hat. Werden 2 Perzentilen oder mehr gekreuzt, sollte nach der Ursache geschaut werden.
- Wie bereits gesagt handelt es sich bei den Kurven um Vergleichswerte. Um an die Werte zu kommen, wurde eine große Anzahl Kinder gemessen und gewogen, um daraus festzulegen, was normal und was auffällig ist. Dabei ist zu beachten, dass man nicht alle Kinder bedingungslos miteinander vergleichen kann.
Kinder mit bestimmten Erkrankungen, Syndromen oder auch ganz gesunde Kinder, die einfach nur aus einem anderen Land kommen, können ein anderes Wachstum haben, das für sie ganz normal ist, aber nicht mit den Standard-Kurven aus unseren Vorsorgeheften verglichen werden kann. Für einige gibt es daher auch gesonderte Perzentilenkurven.
Und schließlich noch zu beachten: die Perzentilenkurven beruhen zum Teil auf Werten, die schon recht alt sind. Die Menschen werden größer und damit auch schwerer, und somit benötigt man auch immer wieder aktualisierte Vergleichsdaten.
Du siehst: so ganz trivial ist die Sache mit dem Gewicht nicht.
Trotzdem: Ich habe schon so manche Situation erlebt, in der ein Blick auf die Perzentilenkurven ein großes Aha-Erlebnis für eine besorgte Mutter war, die der Meinung war, dass ihr Kind viel zu wenig (oder zu viel) isst. Anhand der Werte, die im Laufe der Jahre in die Tabelle eingetragen werden, konnte ich wunderbar anschaulich zeigen, dass das Kind sich ganz normal und gleichmäßig entwickelt.
Im umgekehrten Fall gibt es Eltern, die selbst nicht sehen können, dass ihr Kind vielleicht schon gesundheitsgefährdend über- oder untergewichtig ist. Oft weil es ihnen selbst auch so ergeht, und sie ihr Kind mit anderen Augen betrachten als Außenstehende.
Wenn sie aber anhand einer Tabelle sehen, dass ihr Kind zum Beispiel 10 kg schwerer ist als 97% der anderen Kinder, kann das ganz schön wachrütteln (daran etwas zu ändern ist dann noch eine große Aufgabe – aber Erkenntnis oder Einsicht ist immer der erste Schritt…).
Was möchte ich dir nun in Bezug auf das Gewicht mit auf den Weg geben?
- Kinder sind unterschiedlich. Und zwar meistens unterschiedlich normal. Das bedeutet: auch wenn alle anderen „dicker“ oder „dünner“ sind, heißt das noch lange nicht, dass bei deinem Kind etwas nicht stimmt.
- Wenn du Sorge hast, dass dein Kind zu viel oder zu wenig wiegt oder auffällig zu- oder abnimmt, sprich mit deinem Kinderarzt darüber. Bei jeder Vorsorge ist das ein Thema, aber auch zwischendurch kann jederzeit darüber gesprochen werden.
- Wenn sich dein Kind im normalen Bereich entwickelt, mach bitte nicht zu viel aus dem Thema „Essen“ und „Gewicht“. Das sind ganz sensible Themen, bei denen es leider viel zu häufig Störungen gibt. Geh so entspannt wie möglich damit um, ohne Druck auszuüben.
- Geht es dir so wie mir, dass du das Gewicht deines Kindes fast sofort vergisst, wenn sonst alles in Ordnung ist?
Dann hier noch ein Tipp:
Es gibt Situationen, in denen es sehr wichtig ist, das Gewicht deines Kindes zu wissen. Zum Beispiel wenn es Medikamente braucht. Zum Beispiel wenn es einen Unfall hatte und operiert werden muss.
Verständlich, wenn man in so einer Situation nicht sofort die Frage nach dem Gewicht beantworten kann.
Daher mache ich es so: ich bewahre die Vorsorgehefte meiner Kinder immer griffbereit dort auf, wo ich auch Medikamente lagere. So kann ich das letzte Gewicht schnell nachschauen. Wenn die letzte Vorsorge schon länger her ist, wiege ich auch selbst mal nach, schreibe das Gewicht auf und bewahre den Zettel so griffbereit auf, dass ich im Notfall nicht lange nachdenken muss.
Und noch ein Nachsatz dazu, dass hier das Wort „Vergleich“ so oft vorkommt. Wir (Kinderärzte) verwenden Vergleiche, um herauszufinden, ab wann ein Kind gesundheitlich gefährdet ist und bei bestimmten Dingen Hilfe benötigt.
Ansonsten bin ich immer sehr dafür, ganz bei sich bzw. seinen Kindern zu bleiben und sich daran zu erfreuen, wie sie sich entwickeln, ohne ständig mit anderen Kindern zu vergleichen (siehe auch Artikel: Was du vom Yoga lernen kannst, ohne dich zu verbiegen… ). Das „Normalsein“ hat einfach eine riesige Breite!
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