Julian Mars erzählt in seinem Romandebüt „Jetzt sind wir jung“ virtuos, unterhaltsam und authentisch vom Schwulsein und Erwachsenwerden im Zeitalter von Planetromeo und Grindr.
Das Leben kann manchmal wirklich nerven. Ständig soll man sich entscheiden, Pläne und Ziele haben und wissen, wohin mit sich.
„Aber was sollte ich dann machen? Der einzige Berufswunsch, den ich als Kind jemals gehabt hatte, war Crêpes-Verkäufer gewesen, weil ich mir damals ausgemalt hatte, dass man nach Feierabend die ganzen Löffel aus den Nutella- und Marmeladengläsern ablecken durfte.“
Und dann die Sache mit dem Sex. Nur weil man schwul ist, soll man sich ständig erklären. Und dieser unausgesprochene Zwang, Liebe und Trieb unter einen Hut bringen zu müssen!
Felix, der tragische wie komische Antiheld in „Jetzt sind wir jung“, ist vom Leben manchmal ganz schön überfordert.
Schlimm genug, dass die depressive Mutter, was Selbstmitleid und Dramatik angeht, sogar Anna Karenina zu überbieten vermag, dem Vater ist selbst das Coming-out des Sohnes recht, um die eigene Medienkarriere voranzutreiben. Aber auch der Freundeskreis des Twentysomethings ist gut bestückt mit exzentrischen Partyqueens, Nerds und Sonderlingen.
In der Familienhölle
Beste Voraussetzungen also für einen leichtfüßigen Coming-of-Age-Roman, der mit schrillem Personal, schrägen Episoden und pointierten Dialogen das Erwachsenwerden zur Comedy werden lässt.
Mit dieser Einschätzung allein allerdings täte man Julian Mars unrecht. Denn sein Debütroman ist zwar zweifellos flott und witzig geschrieben und daher lässiges Lesefutter. Doch dem Wahlberliner gelingt noch viel mehr: eine selbstironische und doch in jeder Hinsicht sehr authentische Darstellung, wie sich Coming-out, schwuler Sex und schwules Leben im 21. Jahrhundert so anfühlen. Er zeigt, wie schwierig es bisweilen ist, für sich in der Welt einen eigenen Platz zu finden.
Und wie schnell einem die Geilheit das Gehirn auszuschalten vermag und man sich so wider besseres Wissens auf Männer und sexuelle Situationen einlässt, die man bei klarem Verstand gemieden hätte.
„ ‚Machst du das öfter, Kerle ficken ohne Gummi‘“, fragte ich ihn.
‚Und du, wie oft lässt du einen drüberrutschen?‘
‚Das war das erste Mal‘, sagte ich mit fester Stimme.
Er schnaubte verächtlich ‚Ist klar‘ (…) ‚Ich bin sauber, ok? Mach dir keine Sorgen.‘ “
Felix’ Ex ist wieder in der Stadt. Nur wenige Tage, bis sie sich auf einer Party zwangsläufig über den Weg laufen werden. Woran die Beziehung zerbrochen ist, ob sie wieder zu kitten ist?
Anonymer Sex als Lebenskonstante
Diese simple Rahmenhandlung genügt Julian Mars, um einen Spannungsbogen aufzubauen und Felix’ Leben zwischen seiner Hamburger Familienhölle und dem ausschweifenden Inferno der Darkrooms und Klappen Revue passieren zu lassen. Denn Sex ist eine wichtige Konstante in seinem Leben; wo man ihn schnell und einfach kriegen kann, weiß er bereits seit seinen Teenagertagen.
Julian Mars schildert die sexuellen Eskapaden unverkrampft und direkt, vergisst dabei aber nicht die inneren Konflikte, mit denen sich Felix herumschlägt und die er in einem schlichten Satz zusammenfasst: „Scheiß Sex. Scheiß Liebe. Scheiß Leben.“
Warum nervt dieser ganze Homo-Community-Kram samt schwulen Sportverein und Christopher-Street-Day-Paraden? Weil er womöglich seine Homosexualität in Wahrheit noch gar nicht akzeptiert hat? Ist Monogamie die Grundvoraussetzung für Beziehungsfähigkeit?
Sich zur inneren Schlampe zu bekennen, das gelingt Felix wiederum lediglich vor seiner besten Freundin. Doch ganz verdrängen lässt sich diese Scham nie, sie lässt sich allenfalls mit einer sarkastischen Bemerkung beiseite wischen. Umso mehr, wenn man sich unversehens in einen Mann verliebt.
Die Scham der Schlampe
Mit dem Psychologiestudenten Martin hat er zum ersten Mal so richtig Sex im eigenen Bett und nicht in irgendwelchen dunklen Ecken, sondern auch mit Herzflattern und Sehnsuchtsgefühlen. Eigentlich wollte er nur einen Freund zum HIV-Schnelltest bei der Aidshilfe drängen und mit gutem Beispiel vorangehen. Doch dann trifft er bei der Beratung auf den ehrenamtlichen Helfer namens Martin, der ihm Schmetterlinge in den Bauch setzt, – und bereut auch gleich, dass er zuvor beim Ausfüllen des Fragebogen so ehrlich geantwortet hatte:
„Wie viele Geschlechtspartner hatte ich in den letzten zwölf Monaten? Weiß nicht genau, aber viele. Wie viele Risikosituationen? Interpretationssache … So krank hatte ich mich in meinem ganzen Leben noch nicht gefühlt. Plötzlich war ich mir sehr sicher, Aids und Syphilis und noch zwanzig andere schlimme Sachen zu haben.“
Es plagt ihn aber auch noch eine ganz andere Sorge:
„Was, wenn die meinen Bogen nachher auf eine Infotafel kleben und zur Abschreckung ins Schaufenster hängen?“
Julian Mars hat seinen Ich-Erzähler zweifellos mit reichlich Ironie und Sarkasmus ausgestattet, aber er weiß auch, wann er den Ton wechseln muss. Den romantischen Teil der Liebe zwischen Martin und Felix schildert er mit passender Emotionalität, die anonymen Sexabenteuer ohne rumzudrucksen. Mutti könnte bei der Lektüre deshalb durchaus rote Ohren bekommen – aber eben auch einen ziemlich unterhaltsamen Crashkurs in Sachen „Schwules Leben im Zeitalter von Planetromeo und Grindr“.
Julian Mars: „Jetzt sind wir jung“. Roman, 246 Seiten, Klappbroschur, Albino Verlag Berlin 2015, 14.99 Euro