Wie Selbstoptimierung die Motivation zerstört – und wie man sie zurückgewinnt

Michaela Brohm

Michaela Brohm Blog Selbstoptimierung

Diese wunderbare Botschaft: Erfolg ist simpel, planbar und messbar. Sich Ziele setzen und permanent selbst evaluieren! Am besten mit Trackern auf dem Smartphone oder am Handgelenk. To-Do-Tracker, Abnehm-Tracker, Essens-, Trink- und Sport-Tracker. Und jeden Abend einfach klicken, ob wir unsere Tagesziele auch wirklich erreicht haben. Das motiviert, so die gängige Hypothese, die recht unempirisch daher kommt. Vielmehr scheint es motivationstheoretisch umgekehrt plausibel: Motivation wird durch Tracking eher zerstört – zumindest gilt dieses wohl für intrinsisch motivierte Handlungen.

Motivationsforscher unterscheiden oft zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation. Als „intrinsisch“ wird eine Motivation bezeichnet, wenn die mit ihr verknüpfte Handlung um „ihrer selbst willen ausgeführt wird und nicht wegen (antizipierter) positiver Konsequenzen (Verstärkung). Letzteres bezeichnen wir als extrinsische Motivation“ (Rudolph 2014).

Intrinsische Motivation geht mit der Freude am jeweiligen Tun, mit Interesse an der Sache einher, sie bedarf also keinerlei „intrapsychischer Anstöße, Versprechungen oder Drohungen“ (Deci/Ryan 1993, S. 225), sie ist demnach „autotelisch“ (Csikzentmihaly 1975) und beinhaltet „Neugier, Exploration, Spontaneität und Interesse an den unmittelbaren Gegebenheiten der Umwelt. Evident wird sie im Bestreben, eine Sache voll und ganz zu beherrschen (White 1959) oder im Assimilationsprozess (vgl. Piaget 1971)“ (Deci/Ryan, 1993, S. 225). Eine Sache voll und ganz zu beherrschen – es geht demnach bei der intrinsischen Motivation primär um das Gefühl der Wirksamkeit. Die Wirksamkeit (Kompetenzerleben) ist neben der Autonomie und der sozialen Zugehörigkeit nach Deci/Ryan (1993) einer der stärksten Handlungsenergien.

Ein intrinsisch motiviertes Verhalten wird daher auch nicht mit instrumenteller Absicht durchgeführt „um eine von der Handlung separierte Konsequenz zu erlangen“ (ebd.) – letzteres gilt aber für extrinsisch motivierte Handlungen: Man tut etwas mit einem Grund, der außerhalb des eigenen Selbst liegt (Belohnung, Anerkennung, Abwendung von Nachteilen usw.).

Ich habe eine Zeit lang leidenschaftlich Cello gespielt. Hin und wieder hatte ich keine Lust zu üben und kam so auf die glorreiche Idee, einen Musiktracker zu nutzen, mit dem ich Übezeiten für Tonleitern und einzelne Stücke festhalten konnte – die Bedienung der Start- und Stoptasten durchbrach immer wieder den Übefluss (Flow-Unterbrechung). Es ergaben sich genaue Übeprofile und ich war glücklich über die farbigen Balken auf dem Handy (Belohnung). Und übte ich mal nicht, mahnte mich dieser kleine Haken an der APP: Los jetzt! (externale Kontrolle).

Und, oh Wunder: Es funktionierte, die Motivation stieg – zunächst. Die Übezeiten wurden immer wichtiger: Gestern fast 50 Minuten – gut! Heute über eine Stunde – sehr gut! Nach einigen Wochen jedoch, hatte ich immer weniger Lust, bis ich schließlich ganz aufhörte („Keine Zeit!“ „Zu viel zu tun!“).

Heute habe ich eine Ahnung davon, was passiert ist: Ich hatte meine intrinsische Motivation systematisch zerstört. Meiner Kenntnis nach gibt es zwar noch keine einzige Studie über die Effekte des Trackings auf die intrinsische Motivation, aber die Grundlagenforschung in diesem Bereich ist aufschlussreich und lässt uns plausibel annehmen, dass deren Ergebnisse in unserem Kontext brauchbar sind. „Intrinsisch motivierte Handlungen“ so Deci/Ryan, „ repräsentieren den Prototyp selbstbestimmten Verhaltens. Das Individuum fühlt sich frei in der Auswahl und Durchführung seines Tuns. Das Handeln stimmt mit der Auffassung von sich selbst überein. Die intrinsische Motivation erklärt, warum Personen frei von äußerem Druck und inneren Zwängen nach einer Tätigkeit streben, in der sie engagiert tun können, was sie interessiert“ (ebd., 1993, S. 226).

Nun ist es aber so, dass die intrinsische Motivation abnimmt, wenn der Person extrinsische Belohnungen für das geliebte Verhalten verabreicht werden. Geld, Auszeichnungen, materielle Geschenke usw. wirken kontraproduktiv: In zahlreichen Studien wurde nachgewiesen, dass die Versuchspersonen nachdem sie regelmäßig für ein Verhalten belohnt wurden, welches sie zuvor gerne und häufig gezeigt hatten, dieses Verhalten nach der Belohnungsphase viel seltener zeigen als zuvor („Korrumpierungseffekt“). Berühmt wurde eine Studie an Kindern, die zuvor gerne malten. Als man sie aber für jedes Bild mit Geld belohnte stellte sich nach dem Versuch heraus, dass ihre Lust zu malen stark nachgelassen hatte.

Deci und Ryan (vgl. ebd.) erklären den Korrumpierungseffekt dadurch, dass die extrinsische Belohnung das Gefühl der Selbstbestimmung unterminiere und sich die Person somit kontrolliert fühle. Und Kontrolle wiederum nimmt der Person das für die Motivation so wichtige Gefühl der Selbstbestimmung, der Autonomie also. Menschen haben ein starkes Bedürfnis nach Freiheit – diese ist Grundbedingung der intrinsischen Motivation und je stärker die Freiheit eingeschränkt wird, desto geringer die Motivation.

Dieses gilt aber nur dann, wenn die kontrollierenden Maßnahmen (das Tracking in unserm Fall) von der Person selbst auch wirklich als Druck, als externe Kontrolle, erlebt werden. Rückmeldungen hingegen, die als selbstständigkeitfördernd oder die Wahlfreiheit fördernd erlebt werden, zeigen diese Korrumpierungseffekte nicht oder in geringerem Maße. Zu den Zerstörern zählen insbesondere materielle Belohnungen, Bewertungen (insbes. negative Bewertungen), aufgezwungene Ziele und besonders Auszeichnungen, da sie als eher kontrollierend wahrgenommen werden (Deci/Ryan S. 230). Ist die Belohnung hingegen unerwartet und unregelmäßig, stellen sich auch keine negativen Effekte ein, da man ja nicht um der Belohnung willen gehandelt hat – aber welche APP kann das schon, uns spontan mit Lob überraschen?

Das Angebot von Wahlmöglichkeiten und die Äußerung anerkennender Gefühle (positives Feedback) steigern hingegen die intrinsische Motivation eher, da sie als autonomiefördernd erlebt werden.

Was bedeutet das für unsere trackingbasierten Selbstoptimierung? Also zunächst: Tun wir etwas nicht gerne, ist es also nicht intrinsisch motiviert, schaden Tracker wohl nicht. Tendenziell können sie sogar eher das eigene Verhalten tatsächlich aufrechterhalten oder sogar vorübergehend steigern. Wer ungern seinen Schreibtischstapel abarbeitet findet beim tracken einzelner Arbeitsvorgänge vielleicht Unterstützung.

Mögen wir aber eine Tätigkeit wirklich sehr, lieben wir es tatsächlich zu arbeiten, zu joggen, zu musizieren, Akten zu bearbeiten oder sonstwas, spricht vieles dafür, dass die Sache gefährlich werden könnte, denn das Tracken kann von uns als extrinsische Selbstbelohnung interpretiert werden, die uns durch den Druck, den die Apps aufbauen dazu bringt, nicht mehr das eigentliche Tun zu lieben, sondern uns auf die extrinsischen Belohnungen (Sternchen, Pfeile, Herzchen, statistische Erledigungswerte, geschlossene Kreise usw.) zu fixieren. Und das wäre das Ende des autotelischen Handelns und das Ende des Interesses und der Freude daran.

Plausibilitätsannahmen folgend können wir also festhalten, dass Sport-Watches oder ähnliches gut sind für denjenigen, der NICHT gerne rennt, rudert oder schwimmt. Aber für leidenschaftliche Sportler sind sie ab dem Moment eine Gefahr, ab dem sie als selbstbelohnendes Kontrollinstrumente empfunden werden. („Oh je, der Bewegungskreis ist heute noch nicht geschlossen, und gestanden habe ich auch nicht genug“). Und das Ding fliegt nach einigen Monaten samt unserer Restmotivation in die Ecke. Das Gleiche gilt für alle anderen Tracker wohl auch: Auch wenn dringend empirische Forschung in diesem Bereich notwendig ist, so können wir doch aus  heutigem Kenntnisstand ganz klar ableiten: Selbst das zarteste Pflänzchen intrinsischer Motivation nimmt Schaden, wenn wir daran ziehen. Selbstoptimierungsinstrumente sollten keinesfalls bei Tätigkeiten eingesetzt werden, die wir mögen, die wir lieben, für die wir brennen. 

Irgendwann hatte ich kaum noch Lust zum Celloüben. Ich habe dann damit aufgehört, mein Cellospiel zu vermessen. Vollkommen damit aufgehört. Irgendwann spiele ich heute einfach los. Einfach so. Und ganz allmählich kommt meine Lust am Üben zurück und ich liebe es wieder zunehmend, um der Entwicklungsgefühle und der Klänge selbst willen. Als der große Cellist Pablo Casals im Alter von 93 Jahren gefragt wurde, warum er noch immer drei Stunden am Tag Cello übe, antwortete er schlicht: „I’m beginning to notice some improvement.“ – was für eine Fokussierung auf Wirksamkeit!

Wie schön es ist, ohne Tracker am Arm einfach frei in Sonne und Wind durch die Felder zu laufen und ohne To-Do-Tracker einfach so selbstbestimmt und im Rausch zu arbeiten, das wissen wir noch aus einer anderen Zeit. Es geht darum, uns Zonen der puren Freude zu erhalten und sie vor übergriffigen Selbstoptimierungszwängen standhaft zu verteidigen. Zumindest bei Tätigkeiten, die uns wirklich Freude bereiten. Zumindest das.

Foto: © tashatuvango/Shotshop.com

Literatur

Csikzentmihaly, M.: Beyond boredom and anxiety. San Francisco 1975

Deci, E. /Ryan R.: Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. In: Z.f.Päd, 39. Jg. 1993, Nr. 2., S. 223-238.

Piaget, J.: Biology and knowledge. Chicago 1971.

Rudolph, U. (2014): Intrinsische Motivation. In: Wirtz, M. A. (Hrsg.): Dorsch – Lexikon der Psychologie. 16., vollst. überarb. Auflage. Bern: Hans Huber.

White, R. W.: Motivation reconsidered: The concept of competence. Psychological Review 66 (1959), S. 297-333.