2006 gegründet, ist der Berliner Verein TrIQ heute Dreh- und Angelpunkt für alle möglichen Aktivitäten rund um die Themen Trans* und Intergeschlechtlichkeit. Leo Yannick Wild über das Wachsen und Gedeihen der letzten 10 Jahre
Als sich am 18. September 2006 in einem Neuköllner Hinterzimmer 17 Menschen zusammenfanden, um TransInterQueer e.V. (TrIQ) zu gründen – den ersten Verein von und für trans*, inter* und queere Menschen in Berlin, für den es damals auch in anderen europäischen Ländern noch kein Vorbild gab –, ahnte sicherlich niemand, was da für ein fortan ständig wachsender, dabei immer flexibel bleibender „Player“ gestartet worden war.
Inter* und trans* gemeinsam in einem Projekt, das war neu, und das „Warum“ findet sich noch heute auf der Homepage von TrIQ: um Brücken zwischen trans* und inter* Bewegungen zu bauen, denen es um Alternativen zur und Kritik an der Zweigeschlechternorm geht. Um die Lebenssituationen von inter* und trans* Menschen konkret zu verbessern. Und um die Öffentlichkeit zu informieren und aufzuklären. All das nach dem Prinzip „Nicht ohne uns über uns“. Das heißt: Vernetzen, Beraten, Empowern geht nicht ohne das Erfahrungswissen von trans* und inter* Menschen. Am Anfang geschah alles noch ohne eigene Räume und ohne einen einzigen Cent.
„Abenteuerlich und idealistisch“
Thoralf Mosel, heute 43, Gründungsmitglied und der Mensch mit der ersten Stelle, die es (erst ab 2010!) bei TrIQ gab, beschreibt die Gründungszeit als „sehr abenteuerlich und idealistisch“. Für die TrIQ-Menschen der ersten Stunde „war alles so neu und offen. Uns kam es genauso wahrscheinlich vor, dass TrIQ in wenigen Jahren die Weltherrschaft erringen würde wie dass der Verein nicht länger als ein Jahr überlebt.“
Heute treffen sich über 15 Gruppen wöchentlich in der im Jahr 2011 bezogenen Fabriketage am Berliner Landwehrkanal: zu den Themen Älterwerden, weder*noch, Trans* und Kinderwunsch, Trans* in English, Trans* mit Behinderungen, zum Herm-Café, zu Yoga, Kung-Fu, Mediation – und stets kommt Neues hinzu. Psychosoziale und Peer-to-peer-Beratung zu allen möglichen Fragen – vom Coming-out bis hin zur rechtlichen und medizinischen Geschlechtsangleichung – sind genauso im Angebot wie Sozialberatung, eine ambulante Trauma-Ambulanz oder die Beratung für trans* Sexarbeiter*innen durch eine trans* Sexarbeiterin.
Ein kleines Ladenlokal hinter dem Kreuzberger Urban-Krankenhaus bot das erste feste Dach, unter dem sich ab 2008, nach zwei Jahren ohne richtige Bleibe und immer noch ausschließlich ehrenamtlich geführt, Gruppen trafen und der Verein auf 150 Mitglieder anwuchs.
Die ersten eigenen Räume
Bei aller Freude über die ersten eigenen Räume: nicht alle trans* und inter* Menschen fühlten sich sicher auf dem Weg dorthin, durch eine dunkle, meist leere Straße, keine U-Bahnstation in der Nähe. Flugs wurde eine Raum-AG einberufen (die Arbeit in AGs hat bis heute nicht abgenommen) und im Jahr 2011 eine immer noch umschwärmte Fabriketage in der Glogauer Straße bezogen. Im Hinterhof, rollstuhlzugänglich, nicht einsehbar von der Straße aus, mitten im Kiez, von unten klingen Gesänge aus dem benachbarten Yoga-Studio. Ein Ort, an dem sich beraten, feiern und „plenieren“ lässt, der für trans* und inter* Filme ebenso eine gastliche Kulisse bietet wie für Workshops – und der ein Arbeitsplatz für inzwischen sechs angestellte Menschen ist. Zwar arbeiten sie in Teilzeit, und ihre Stellen sind projektbezogen gefördert und haben nicht immer eine langjährige Perspektive, aber im Vergleich zu den frühen Jahren ist das ein deutlicher Zugewinn.
Und was sind die Meilensteine in der 10-jährigen TrIQ-Geschichte? Oder ist nicht die ganze Geschichte ein Puzzle aus kleinen Meilenstein-Puzzlestücken?
Mit dem Projekt „Antidiskriminierung und Empowerment für Inter*“, das im Sommer 2014 starten konnte, ist eine einmalige Struktur mit dem langfristigen Ziel geschaffen worden, ein Kompetenzzentrum für inter* Menschen, ihre Angehörigen und relevante Berufsgruppen zu realisieren. In diesem Jahr hat das Projekt die Broschüre „Inter* und Sprache“ veröffentlicht, die gut verständlich Begriffe rund um Intergeschlechtlichkeit nicht nur erläutert, sondern auch kritisch kommentiert. Die Inter*-Sparte von TrIQ ist übrigens auch mit OII Europe gut vernetzt, dem europäischen Dachverband von inter* Organisationen, die sich im Feld Menschenrechtsarbeit engagieren.
Gut vernetzt ist halb gewonnen
Überhaupt, aus der Vernetzung, ohne die die Arbeit für trans* und inter* Rechte und Menschen unmöglich wäre, sind Projekte wie der Arbeitskreis zur Reform des Transsexuellengesetzes gewachsen, für die 2011 bis 2012 zahlreiche Gruppen und Einzelpersonen aus dem ganzen Bundesgebiet unbezahlt in ihrer Freizeit gemeinsam einen Entwurf erarbeitet und vorgelegt haben.
Die Vernetzung von TrIQ in europäische trans* und inter* Strukturen hinein ist mittlerweile bemerkenswert. Angefangen hat alles 2009 mit dem ersten internationalen und EU-geförderten trans* Projekt „…and Others!“, aus dem das europaweit vertriebene Toolkit „Argumentation Training for Transgender Inclusion in Europe“ hervorgegangen ist.
Trainings für Hebammen und Journalist*innen
Es folgten weitere mehrjährige internationale Projekte, etwa zu trans* Themen in den Medien und zu Queer Health Care. Trans* Vereine aus zahlreichen europäischen Ländern, die meisten erst in den vergangenen Jahren entstanden, lernten voneinander, hospitierten beieinander und wendeten das daraus gewonnene Wissen vor Ort an, zum Beispiel in Trainings für Hebammen oder Journalist*innen, die TrIQ in Berlin durchführt.
Ein Dauerbrenner ist das Transgender-Radio, eine monatliche, 60-minütige Sendung, produziert von einem kleinen Team, das Themen wie die kritische Diskussion des Transsexuellengesetzes, Neuerscheinungen zu trans* und inter* Themen, internationale und regionale trans* Konferenzen beleuchtet, prominente trans* und inter* Menschen porträtiert, sich Kulturtipps und aktuellen Nachrichten widmet. Zu jeder Erstausstrahlung tischt das Team des Transgender-Radios in den TrIQ-Räumen auf, während live die Sendung läuft, mit interessierten Zuhörer*innen direkt vor Ort.
Kochprojekt für trans* Sexarbeiter*innen
Mit dem im vergangenen Jahr gestarteten TrIQ-Projekt Trans* Visible werden gezielt trans*, inter* und queere Menschen angesprochen, die innerhalb von trans* und inter* Communities häufig wenig sichtbar sind oder sich nicht notwendigerweise an Community-Orten willkommen und sicher fühlen: So führt das Projekt zum Beispiel unter trans* Sexarbeiter*innen eine Befragung durch, um herauszufinden, was deren Bedarfe in Bezug auf ein niedrigschwelliges Vor-Ort-Angebot sind. Demnächst startet TrIQ auch ein Koch-Projekt von und mit trans* Sexarbeiter*innen.
Das Besuchsprojekt für ältere trans*, inter* und queere Menschen ist ebenfalls aus „Trans* Visible“ hervorgegangen und trägt der Tatsache Rechnung, dass nicht alle Menschen, für die TrIQ ein Ort der Begegnung sein könnte, diesen auch aufsuchen können. Inspiriert durch einen Besuchsdienst für lesbische Frauen in Berlin-Neukölln, der auch die entsprechenden Trainings durchgeführt hat, werden demnächst die ersten Senior*innen kontaktiert und das Besuchsprojekt dort bekannt gemacht, wo sich ältere Menschen aufhalten: bei Ärzt*innen, in Pflegezentren oder Kirchengemeinden.
Flashmobs, Lobbyarbeit, Picknick: Viele Formen von Aktivismus an einem Ort
Wer sich bei TrIQ engagiert, ob bezahlt oder ehrenamtlich, weiß das Wort „flexibel“ zu buchstabieren. Dass TrIQ e.V. seit frühester Zeit ein Möglichkeitsraum für viele unterschiedliche Formen von Aktivismus ist, angefangen von Flashmobs und Demos bis hin zu politischer Lobbyarbeit und der Beratung politischer Parteien, ändert sich auch nicht angesichts einer wachsenden Zahl von (temporären) Stellen.
Startete im vergangenen Jahr ein Projekt zu Gewalterfahrungen von trans* Menschen ursprünglich mit dem Ziel, eine Datenbank für die Erfassung solcher Fälle zu betreiben, stellte sich schnell heraus: Daten erfassen allein stärkt die Betreffenden nicht, und nicht alle trans* Menschen sind in gleichem Maß von Gewalt betroffen. Heute werden in dem Projekt Workshops für geflüchtete trans* Menschen konzipiert, die meist nicht nur Trans*feindlichkeit erleben, sondern gleichzeitig rassistische oder islamfeindliche Gewalterfahrungen machen. Hier werden auch gemeinsame Kochabende veranstaltet und Selbstverteidigungstechniken ausgetauscht.
„Die Ideale sind noch dieselben“
Den Bogen von 2006 bis 2016 spannt Thoralf Mosel wie folgt: „Die Ideale sind noch dieselben, aber die Bandbreite dessen, was und wen wir mittlerweile erreichen, und die Vielschichtigkeit unserer Arbeit gehen weit über alles hinaus, was ich mir am Anfang hätte träumen lassen.“ Heute sei es daher mindestens so abenteuerlich wie zu Gründungszeiten, meint Thoralf.
Wenn der Mietvertrag für die Räume in der Glogauer Straße im Juli 2017 endet, heißt es, ein gleichwertiges Domizil zu finden, das TrIQ genauso wie heute einen Ort sein lässt für politische Arbeit, Beratung, Freizeit- und Kulturangebote, für Gruppen und selbstorganisierte Treffen. Die Suche wird nicht leicht werden, aber das bewährte Prinzip aus einer Dosis charmanten Chaos’, gespickt mit der Energie und unbändigen Lust, den Verein immer wieder als Dreh- und Angelpunkt für eine Vielzahl von Aktivitäten für trans*, inter* und queere Menschen zu gestalten, lassen auch die nächsten Jahre vielversprechend aussehen. Auch wenn die Arbeit immer wieder Herausforderungen mit sich bringt, so resümiert Thoralf Mosel dennoch: „Langsam vertraue ich darauf, dass TrIQ tatsächlich stark genug ist, daran immer weiter zu wachsen.“
Leo Yannick Wild ist Journalist und Politikwissenschaftler und arbeeitet bei TransInterQueer e.V. und der Schwulenberatung Berlin.
Vom 16.–18. September feiert TrIQ sein Zehnjähriges mit einem Geburtstagswochenende, das komplette Programm findet sich auf der Facebook-Seite von TransInterQueer.
Kontakt: TransInterQueer e.V., Glogauer Str. 19, 10999 Berlin, Tel. (030) 61 67 529-16, www.transinterqueer.org, www.facebook.com/triqberlin
Wer TrIQ e.V. mit einer Spende unterstützen möchte: TransInterQueer e.V., IBAN: DE91100205000001004700, BIC: BFSWDE33BER, Bank für Sozialwirtschaft