Wearables sind mehr als Spielzeug: Die Daten, die heute schon viele Fitnessarmbänder oder Pulsuhren erheben, sind insbesondere für die präventive Herz-Kreislauf-Medizin eine wichtige Ressource. Der Kardiologe Prof. Dr. Friedrich Köhler, Leiter des Zentrums für kardiovaskuläre Telemedizin an der Charité, untersucht, wie die Technologie die medizinische Praxis verbessern kann. Auf dem „Innovators Summit – Digital Health“ von Technology Review spricht er über seine Forschungen. Der Digital-Health-Gipfel, unterstützt von SAP sowie Boehringer Ingelheim und in Partnerschaft mit der Stiftung Gesundheit, dem Medizin-Management-Verband sowie den Healthcare Shapers, führt am 30. November Experten und Entscheider aus Gesundheit und IT in Berlin zusammen.
Herr Prof. Köhler, sind Wearables für Sie mehr als Spielzeug?
Sowieso. Als Arzt arbeite ich nicht mit Spielzeug. Der Punkt ist, dass man die technologischen Möglichkeiten in sinnvolle klinische Fragestellungen umsetzen muss. Es liegt nicht an der Technologie, sondern an der Art und Weise der Anwendung, ob sie sinnvoll ist.
Dann können Sie sicher ein Beispiel für den sinnvollen Einsatz von Wearables nennen?
Ich nenne mal das sehr populäre Aktivitätsmonitoring, mit dem man die körperliche Leistungsfähigkeit im Sinne einer Primärprävention erhöhen kann. Blödsinnig wird es natürlich, wenn man als Patient deswegen nur noch für irgendwelche Messwerte lebt.
Sie sind Teilprojektleiter im Projekt „NexGen – Next Generation of Body Monitoring“, das Technologien und Komponenten für portable Gesundheitssysteme entwickelt. Wie kann ich mir Ihre Arbeit dort vorstellen?
Ähnlich wie in der Device-Entwicklung, zum Beispiel von Implantaten, gibt es im Innovationszyklus ja verschiedene Stufen: Grundlagenforschung, Erstanwendung bei Gesunden, Erstanwendung bei der Zielgruppe, danach Zulassung – das sind die vier wesentlichen Stufen. Und genauso kann man sich das auch für die Entwicklung von Wearables vorstellen. Erst einmal müssen technologische Lösungen her, aber diese Lösungen ergeben nur dann Sinn, wenn sie von Medizinern schon früh mit den klinischen Anforderungen konfrontiert werden. Das gefällt mir sehr am Projekt, dass ich als Kliniker, der mit Patienten zu tun hat, ein besseres Verständnis bekomme, was technisch geht. Und umgekehrt: Dass frühzeitige Entscheidungen in der technologischen Entwicklung aus der Medizin heraus kommen und so immer zweckgeprägt sind. Das ist also ein im besten Sinne des Wortes interdisziplinärer Austausch zwischen Technikern und Ärzten.
Auch Ihr Vortrag auf dem Innovators Summit wird sich um die Frage drehen, was die klinischen Studien in Bezug auf Wearables für die ärztliche Praxis bedeuten. Wie genau wird sich die ärztliche Praxis dadurch verändern?
Also erst mal ganz klar: Wenn wir über klinische Studien reden, reden wir über randomisierte quantifizierte Phase-III-Studien. Innerhalb des Innovationszyklus sind das die Studien, die eine Erstanwendung in der Zielgruppe beschreiben. Und wenn diese die Studienziele erfüllen, werden sie auch für die Leitlinien jeder Erkrankung relevant, die ja die ärztliche Kunst zu einem bestimmten Zeitraum beschreiben und für Ärzte Maß des Handelns sind.
Wird sich also bald jeder Hausarzt unweigerlich mit Wearables auseinandersetzen müssen?
Ja, alleine schon, weil deren Kinder irgendwelche Bänder am Arm tragen. Aus medizinischer Sicht spätestens dann, wenn die Datenlage sagt, dass sie damit bessere Medizin machen können. Das ist aber noch ein weiter Weg.
Was muss denn noch bis dahin geschehen?
Wir sind gerade noch ganz vorn am Innovationszyklus. Damit Sie einfach mal eine zeitliche Vorstellung bekommen: In der Schrittmachertechnologie sind die heute verfügbaren Features vor zehn Jahren entwickelt worden, dabei das ein evolutionärer, kein revolutionärer Prozess. Ein Innovationszyklus dauerte in diesem Fall also rund zehn Jahre. Wir haben also noch eine ziemlich weite Strecke vor uns.
Und wir sprechen jetzt hauptsächlich von Herz-Kreislauf-Monitoring?
Das gilt auch für alles andere. Herz-Kreislauf-Monitoring ist in Bezug auf Wearables aber der Bereich mit der weitesten Verbreitung. Das hat damit zu tun, dass in der Herz-Kreislauf-Medizin messbare Größen eine ganz große Rolle spielen, was zum Beispiel in der Rheumatologie ja anders ist. Aber prinzipiell ist das schon ein Modell, das auch auf andere, mehrheitlich chronische Erkrankungsgruppen übertragen werden kann.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Unser Nachbarfach ist ja die Lungenheilkunde oder die Diabetologie. Der Weg, mit Sensorik frühzeitig an Informationen zu kommen, die wir sonst nur aus der Sprechstunde generieren können, ist auch hier umsetzbar. Von Juristen und Patienten mit Skepsis betrachtet wird bei der Telemedizin immer wieder der Datenschutz. Völlig unbegründet. Ich sage das mal so: Datenschutz ist ein ganz hohes Gut in der Medizin. Wir haben eine ärztliche Schweigepflicht und die ist ja keine Empfindung der letzten Tage. Stattdessen ist sie ein Grundprinzip des Vertrauensschutzes beim Arzt-Patienten-Verhältnis seit Jahrhunderten. Diese Basis der Kommunikation muss auch bei der Telemedizin gewahrt bleiben. Und wenn man sich diesen hohen Anspruch frühzeitig in die Systementwicklung einbringt, sehe ich da keine Probleme. Der Datenschutz ist in manchen Diskussion ein für mich teilweise vorgeschobenes Argument. Weil man immer abwägen muss zwischen dem medizinischen Nutzen, der auch immer klar aufgezeigt werden muss, und dem hohen Gut des Datenschutzes. Extrempositionen sind hier also nicht akzeptabel. Das gilt für diejenigen, die sagen, dass Datenschutz grundsätzlich keine Rolle spielt. Aber auch für jene, die gar keine Informationen digital übertragen würden.