Kritik und Protest haben das „Prostituiertenschutzgesetz“ auf seinem Weg durch die Instanzen begleitet. Jetzt ist klar: Die neuen Regeln kommen – und mit ihnen viele Probleme
Alle Einwände und Bedenken haben nichts genutzt. Vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen über Amnesty International und die Deutsche AIDS-Hilfe bis hin zum Deutschen Juristinnenbund: Sie alle hatten gegen das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) begründete Argumente, die jedoch nicht gehört wurden.
Auch der Empfehlung des Ausschusses für Frauen und Jugend, das umstrittene Gesetz doch zumindest ein halbes Jahr später in Kraft treten zu lassen, um Ländern und Kommunen mehr Zeit für die Umsetzung zu geben, ist der Bundesrat nicht gefolgt. Allerdings hatte die Länderkammer kaum eine Wahl: Da es sich um ein Einspruchsgesetz handelt und der Bundestag das Regelwerk bereits im Juli 2016 in dritter Lesung verabschiedet hatte, hätte der Bundesrat nur noch den Vermittlungsausschuss anrufen und das Gesetz verzögern können. Darauf haben die Länder aber verzichtet. Am 23. September wurden die neuen Bestimmungen für Sexarbeiter_innen und Bordelle endgültig verabschiedet. Damit tritt das Gesetz am 1. Juli 2017 in Kraft.
Für Sexarbeiter_innen gilt eine Anmelde- und Beratungspflicht
Das Prostituiertenschutzgesetz will – so sagt es der Name – Prostituierte vor Ausbeutung schützen und ihre Arbeitsbedingungen klar regeln. Doch ein Übermaß an Bürokratie wird das Gegenteil bewirken, befürchten die Kritiker_innen.
Die neuen Regelungen legen allen, die mit dem Gewerbe zu tun haben, einen Stapel Pflichten auf. In erster Linie den Sexarbeiter_innen: Sie müssen sich künftig anmelden und jedes Jahr gesundheitlich beraten lassen. Undine de Rivière vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen geht davon aus, dass ein Großteil ihrer Kolleg_innen dieser Melde- und Beratungspflicht nicht nachkommen wird: „Weil sie zum Beispiel gar keine Meldeadresse haben“, sagt sie. „Dann gibt es natürlich auch viele, die einen Hauptberuf haben oder studieren und deshalb viel Wert auf Diskretion legen, damit sie nicht gesellschaftlich stigmatisiert werden.“ Hinzu kämen noch Frauen aus Ländern, in denen Prostitution illegal ist, und die sich aus Angst, nach einer eventuellen Abschiebung in ihrer Heimat festgenommen zu werden, nicht registrieren lassen wollen.
Zahlen aus Österreich zeigen, dass die Einwände begründet sind. In Wien, wo es bereits eine Anmeldepflicht für Sexarbeiter_innen gibt, sind 3.400 Prostituierte gemeldet. Der Verein LEFÖ, der sich in der österreichischen Hauptstadt um Betroffene von Frauenhandel kümmert, geht aber davon aus, dass noch einmal genauso viele Sexworker_innen nicht angemeldet sind und damit illegal arbeiten.
Die Zuständigkeiten sind noch völlig unklar
Auch Paula Riedemann von der Koordinations- und Beratungsstelle gegen Menschenhandel Ban Ying ist skeptisch, ob die Anmeldepflicht das erklärte Ziel erreicht, die illegale Prostitution zu bekämpfen. Selbst diejenigen, die sich ordnungsgemäß bei einer Behörde melden, würden dort wohl kaum ein Abhängigkeitsverhältnis offenbaren. „Unsere jahrelange Erfahrung zeigt, dass Betroffene von Menschenhandel oft einen längeren Zeitraum und ein Vertrauensverhältnis brauchen, um sich gegenüber Dritten zu offenbaren“, so Riedemann in einer von Amnesty International initiierten Stellungnahme zum ProstSchG. „Gespräche, die im Rahmen der zwingenden Anmeldung stattfinden, werden diese Voraussetzungen nicht erfüllen.“
Bei wem sich Sexarbeiter_innen künftig melden müssen und wer die Gesundheitsberatung übernimmt, ist dabei noch völlig unklar. Das Gesetz lässt offen, wer die „zuständigen Behörden“ sein sollen, und überlässt die Umsetzung der Vorschriften den Ländern und Kommunen. „Das wird jetzt in den einzelnen Bundesländern diskutiert“, sagt Undine de Rivière. Ihren Berufsverband sieht sie in der Zwickmühle: Konsequente Ablehnung oder Schadenbegrenzung? „Wir überlegen, ob wir uns bei der Umsetzung einmischen sollen, um diese Regelungen für die Betroffenen möglichst wenig schwierig zu gestalten“, erklärt sie, „aber eine gute Lösung gibt es nicht“. Mit Sorge beobachtet de Rivière auch, dass Organisationen, die der Prostitution ablehnend gegenüber stehen, sich nun als künftige Pflichtberatungsstellen anbieten: „Die schießen jetzt wie Pilze aus dem Boden.“
Es bleibt nicht mehr viel Zeit, die offenen Fragen zu klären. In zehn Monaten muss das Gesetz in die Praxis umgesetzt werden. Nordrhein-Westfalen als schärfster Kritiker des ProstSchG unter den Ländervertretungen im Bundesrat hat bereits kurz nach der Verabschiedung die vielen Umsetzungsprobleme bemängelt. Vor allem die viel zu weit gefassten Definitionen seien ein Problem, so NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens: „Wenn eine gelegentliche Tätigkeit genügt, noch nicht einmal mehrere Kunden erforderlich sind und sogar kein Geld fließen muss – wie soll da eine Behörde erkennen, dass es sich hier um bezahlte sexuelle Dienstleistungen handelt?“
Auch die HIV-Prävention ist gefährdet
Das Gesetz wird immense Kosten für Länder und Kommunen produzieren. Die erforderliche Beratung, die Prüfung der Anmeldevoraussetzungen, eventuelle Kosten für Sprachmittler_innen – der Deutsche Juristinnenbund geht davon aus, dass der erhebliche Verwaltungsaufwand durch Gebühren für die Anmeldung kompensiert wird, die voraussichtlich im dreistelligen Bereich liegen. Mittellose Prostituierte müssten sich dann verschulden, was wiederum die Gefahr erhöhe, von Schlepper_innen und Zuhälter_innen abhängig zu werden. Zudem wird die Gebühr noch mehr Sexworker_innen davon abhalten, sich überhaupt anzumelden.
Tausende illegale Sexarbeiter_innen in Deutschland – die Folgen wären prekär. „Bei Übergriffen wird die Polizei aus Angst, selbst belangt zu werden, nicht gerufen. Die Mittel des Rechtsstaats können illegale Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter nicht in Anspruch nehmen“, sagt Undine de Rivière. „Das erhöht die Gefahr, Opfer von Verbrechen oder Ausbeutung zu werden“. Das Gesetz bewirke also genau das Gegenteil dessen, was es behauptet, bewirken zu wollen. Auch die HIV-Präventionsarbeit ist gefährdet: „Kontrolle und Repression führen dazu, dass viele illegal arbeitende Frauen von den Hilfsangeboten nicht mehr erreicht werden“, warnt Marianne Rademacher, Frauenreferentin der Deutschen AIDS-Hilfe.
Folgen werden auch die neuen Regeln für die Konzessionierung von Bordellen haben. Das ProstSchG spricht bereits dann von einem Gewerbe, wenn sich zwei Sexarbeiter_innen zusammen eine Wohnung für die Ausübung ihres Berufs anmieten. Sie brauchen damit eine behördliche Erlaubnis, die sie nur bekommen, wenn sie ein Betriebskonzept vorlegen und bauliche Anforderungen wie Pausenräume und ausreichende sanitäre Anlagen nachweisen können.
Undine de Rivière sieht durch diese Bestimmungen Kleinbordelle und selbstorganisierte Arbeitsgemeinschaften in Gefahr: „Das wird uns in die Isolation treiben, was die Arbeit nicht sicherer macht.“ Ihr Berufsverband prüft nun, ob einzelne Mitglieder eine Verfassungsklage einreichen können. „Aber das dauert Jahre“, befürchtet sie, „bis dahin sind die jetzigen Strukturen zerstört“.