In „Théo & Hugo“ erzählen Olivier Ducastel und Jacques Martineau mitten aus dem schwulen Großstadtleben. Ein Gespräch mit dem Filmemacherpaar über echten Sex vor der Kamera, die PEP und das Leben mit HIV im Kino
Olivier und Jacques, wir müssen zunächst über die Einstiegssequenz reden: 20 Minuten lang schauen wir den beiden Filmhelden inmitten einer Orgie beim Sex zu. Wie findet man dafür die passenden Darsteller? Habt ihr gezielt unter Pornostars gesucht oder Schauspieler zum Sex vor der Kamera überredet?
Jacques Martineau (J. M.): Wir hatten tatsächlich zunächst die Idee, Pornodarsteller zu casten, aber es ist verdammt schwer, einen zu finden, der auch wirklich schauspielen kann. Das andere Problem: Die französischen Pornodarsteller möchten so weit als möglich anonym bleiben und nicht bei einem breiteren Publikum bekannt werden. Wir haben dann den üblichen Weg beschritten, mit Castings und Probeaufnahmen, bei denen die Darsteller paarweise einen Dialog aus dem Skript spielten.
Olivier Ducastel (O. D.): Und sich küssen mussten.
J. M.: Ja, Küssen war wichtig. Ich finde mit Geoffrey Couët und François Nambot haben wir echt einen Glückgriff getan. Als Paar haben sie von Anfang an überzeugt. Da war diese entscheidende Energie zwischen den beiden. Das war der berühmte magische Moment.
O. D.: Wir mussten die beiden auch zu nichts überreden, und sie wussten auch schon vor den Probeaufnahmen, was wir vorhaben. Wir hatten dazu das Drehbuch so konkret wie möglich geschrieben, damit sie vom ersten Moment an im Detail wussten, was wir filmen möchten und was wir erwarten.
J. M.: Für die beiden Darsteller war es das erste Mal, dass sie Sexszenen gedreht haben. Und für uns übrigens auch.
Verlieben mal anders herum
Diese Sequenz im Sexclub ist außergewöhnlich, in vielerlei Hinsicht. Was war eure Absicht? Wolltet ihr damit (schwule) Filmgeschichte schreiben? Euch war sicherlich klar, dass dieser Film deshalb niemals zur Hauptsendezeit im Fernsehen laufen und auch manche_n Zuschauer_in vom Kinobesuch abhalten wird. Kommerziell gesehen also eine schlechte Entscheidung, oder?
J. M.: Wenn sich stattdessen alle Schwulen den Film anschauen, wären wir sehr zufrieden! (lacht) Wir haben mit diesem Projekt allerdings weder darauf spekuliert, schwule Filmgeschichte zu schreiben, noch hatten wir das Ziel, ein konservatives Publikum zu provozieren. Wir wollten allerdings uns selbst herausfordern: Gelingt es uns tatsächlich, eine solche Szene so umsetzen, wie wir uns das beim Drehbuchschreiben vorgestellt haben? Also Sex zu zeigen, ohne auf die Bildsprache von Pornografie zurückzugreifen? Die Intimität zwischen zwei Menschen spürbar zu machen und den Sex so natürlich wie möglich abzubilden? Wir waren uns da nicht wirklich sicher. Das hätte auch ganz langweilig werden können. Nur weil es „echter“ Sex ist, muss es noch lange nicht interessant, spannend oder schön sein.
Warum lasst ihr die beiden Männer sich eigentlich ausgerechnet in einem Sexclub kennenlernen.
J. M.: Wir wollten Liebe und Verlieben mal auf eine sinnliche, aber auch sehr physische Weise zeigen, also gerade nicht die sonst gewohnte romantische Variante. Sonst ist es ja üblicherweise so: Zwei lernen sich kennen, und als Zuschauer warten wir dann darauf, wann sie wohl endlich Sex haben werden. Hier machen wir es anders herum. Sie haben gleich zu Anfang Sex – und können sich dann auf die anderen wichtigen Dinge konzentrieren.
O. D.: Uns war es wichtig, zu zeigen, dass selbst an einem Ort, wo sich Männer zunächst einmal nur zum Sex treffen, eine Liebe entstehen kann.
J. M.: Wir wollten aber auch zeigen, dass es beim Sex – gerade bei einer Orgie, wie sie in diesem Sexclub stattfindet – durchaus Risiken geben kann. Und wir wollten zeigen, wie man mit dieser Art Unfall umgehen kann.
Die PEP als Filmstoff
Der Film ist deshalb auch in anderer Hinsicht ein Novum. Es dürfte der erste Spielfilm überhaupt sein, der die Post-Expositions-Prophylaxe – kurz PEP – thematisiert, also die vorsorgliche HIV-Therapie nach einem Infektionsrisiko. War dieser Part von Anfang an zentral für eure Geschichte?
J. M.: Das kam erst später dazu. Wir wollten zunächst eine besondere Liebesgeschichte zweier Männer erzählen. Und wie das beim Drehbuchschreiben so ist, haben sich die Charaktere im Lauf der Zeit und mit den verschiedenen Versionen immer wieder verändert.
O. D.: Der Ausgangspunkt aber war von Anfang an ein serodifferentes Paar – der eine HIV-positiv, der andere nicht.
J. M.: Wann wir auf die PEP kamen, kann ich gar nicht mehr so genau sagen. Interessant war, dass Freunde und Kollegen, mit denen wir über das Drehbuch sprachen, sich ganz besonders für diesen Aspekt interessierten. Sehr viele wussten überhaupt nichts davon, andere wiederum hatten bereits eigene Erfahrungen mit der PEP und haben tatsächlich sonntagmorgens in der Notaufnahme eines Krankenhauses gesessen und sich die Tabletten geholt. Es kommt also gar nicht so selten vor, wie manche vielleicht denken.
Was für HIV-Expert_innen aus Deutschland vielleicht etwas überraschend ist: Hugo ist zwar HIV-positiv, aber in Behandlung und unter der Nachweisgrenze. Obwohl beim Sex das Gummi weggelassen wurde, bestand für Théo eigentlich keine Infektionsgefahr. In einer deutschen Klinik hätte man ihm deshalb wohl keine PEP verordnet beziehungsweise zunächst einen HIV-Schnelltest gemacht, um abzuklären, ob er bereits infiziert ist.
O. D.: Wir haben exakt die Vorgehensweise abgebildet, wie sie im französischen Gesundheitssystem für solche Fälle vorgesehen ist. Weil es mitten in der Nacht ist, können Théo und Hugo nicht zu einem speziellen Aids-Zentrum gehen, sondern ihnen bleibt nur die Notfallklinik, wo die entsprechenden Untersuchungen nicht gemacht werden können.
Dazu muss Théo am nächsten Tag einen Spezialisten aufsuchen. Weil die HIV-Medikamente nach einem möglichen Infektionsrisiko desto besser wirken, je früher man sie einnimmt, bekommen Patienten wie Théo deshalb sicherheitshalber die Tablettenration für drei Tage ausgehändigt. Der Spezialist muss dann entscheiden, ob eine Weiterführung der PEP notwendig ist oder nicht.
J. M.: Bei diesen Szenen im Krankenhaus haben wir übrigens zum ersten Mal mit Schauspiellaien gearbeitet. Die Ärztin im Krankenhaus ist eine echte Ärztin, und wir hatten enormes Glück mit ihr. Sie konnte völlig ausblenden, dass wir einen Film drehen und sie einen Schauspieler vor sich hat. Sie hat ihn genauso einfühlsam aufgeklärt und behandelt, wie sie es in ihrem Klinikalltag in solchen Situationen tut.
Leben mit HIV in Zeiten von PEP, PrEP und Nichtinfektiosität
Es gibt inzwischen sehr viele Filme über HIV/Aids, insbesondere über das Sterben infolge der Immunschwäche. Geschichten also, die zumeist in der Hochphase der Aidskrise Ende der 80er-Jahre spielen. Es gibt hingegen kaum Filme oder Fernsehserien, in denen das Leben mit HIV in Zeiten der antiretroviralen Therapie, geschweige denn der PEP, PrEP und Nichtinfektiosität abgebildet wird.
J. M.: Wir sind daran aber nicht schuld! Wir tun unser Bestes! (Lacht)
O. D.: In dieser Hinsicht waren wir schon einmal Vorreiter. „Felix“ war der erste französische Kinofilm mit einer HIV-positiven Hauptfigur, die in Behandlung ist und trotz seiner Infektion ein ganz normales Leben lebt.
Warum sind eurer Ansicht nach solche Filme so selten?
O. D.: Weil’s keinen interessiert. Das ist offenbar kein dramatischer Filmstoff für ein breiteres Publikum.
War es für euch deshalb schwer, Geldgeber_innen für euren neuen Film zu finden?
J. M.: Wir haben den Film ohne jegliche staatliche Filmförderung oder Beteiligung eines Fernsehsenders finanziert. Nach der ersten Absage haben wir entschieden, nicht unnötig Zeit zu verschwenden. Das Geld kam ausschließlich vom Produzenten und dem französischen Verleiher. Diese sind dadurch ein hohes Risiko eingegangen, und wir hatten wiederum nur ein bescheidenes Budget zur Verfügung, dafür aber uneingeschränkte künstlerische Freiheit.
Vielen Dank für das Gespräch!
„Théo & Hugo“ startet am 20. Oktober in den deutschen Kinos. Eine Filmbesprechung gibt’s ebenfalls auf magazin.hiv.
Trailer zum Film: www.theo-hugo.de