Am 30. Oktober will die homofeindliche „Demo für alle“ gegen den hessischen Lehrplan für Sexualerziehung auf die Straße gehen. Ein breites Bündnis ruft zur Gegendemo auf.
Im schwarz-grün regierten Hessen ist die Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans* und inter* Menschen offiziell Unterrichtsziel. Die Schulen sind verpflichtet, fächerübergreifend über zum Beispiel gleichgeschlechtliche Partnerschaften, verschiedene sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten aufzuklären. Das legt ein Lehrplan fest, den die hessischen Grünen maßgeblich vorangetrieben hatten und der im September dieses Jahres ohne Widerstand der Union per Ministerentscheid in Kraft getreten ist.
„Lieber spät als nie“ dachte sich wohl die homofeindliche, anti-emanzipatorische Protestbewegung „Demo für alle“ und kündigte hinterher an, gegen die neuen Richtlinien auf die Straße gehen zu wollen. An diesem Sonntag, dem 30. Oktober, soll nun in der Hauptstadt Wiesbaden die erste „Demo für alle“ Hessens stattfinden.
Akzeptanz von LGBT als Unterrichtsziel
Dass die Losungen und Ansichten dieser rechtskonservativen Initiative ganz und gar nicht denen „aller“ entsprechen, will das „Bündnis für Akzeptanz und Vielfalt – gegen Diskriminierung und Ausgrenzung“ zeigen. Unter dem Motto „Ihr seid nicht Alle“ ruft der Zusammenschluss einer Vielzahl von Aufklärungs- und Jugendprojekten, Aidshilfen, LGBT*-Einrichtungen und politischen Gruppen zu einer Gegendemonstration auf. Zwei Vertreter des Bündnisses – Manuel Wüst (MW), Vorsitzender des Vereins Warmes Wiesbaden, und Alexander Arnold (AA), hauptamtlicher Mitarbeiter der AIDS-Hilfe Wiesbaden – hat Hannes Richter zu der Aktion sowie der Beteiligung der Aidshilfe befragt.
Alexander, warum engagiert sich die AIDS-Hilfe Wiesbaden gegen die sogenannte Demo für alle?
AA: Die Aidshilfe arbeitet schon ganz lange in der Community mit dem Verein Warmes Wiesbaden zusammen, der das Bündnis angestoßen hat, unter anderem zum Beispiel im Antidiskriminierungsprojekt „SchLAu“, das an Schulen über sexuelle Orientierung und geschlechtliche Vielfalt aufklärt. Wir machen also Präventionsarbeit direkt vor Ort und begrüßen deswegen den neuen Lehrplan sehr. Wir lehnen die Positionen der „Demo für alle“ ab, weil wir uns als Teil der Community betrachten und es wichtig finden, Stellung für eine offene Stadtgesellschaft zu beziehen.
Für Prävention braucht es eine offene Gesellschaft
Was hat HIV-Prävention mit Vielfalt an Schulen zu tun?
AA: Prävention hat ja mehrere Ebenen. Es geht einerseits um die Frage, wie Menschen ihre Sexualität leben sollten, um Ansteckungsrisiken zu vermeiden. Zu fragen ist aber auch, in was für einer Gesellschaft und in welchen Verhältnissen sie leben. In einer offenen Gesellschaft, in der Sexualität, sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität offen thematisiert werden können, finden Menschen auch Zugang zu den richtigen Informationen, zu Präventionsmaterialien und so weiter.
Muss man aber schon 8-jährigen Kindern erklären, wie Kondome funktionieren?
AA: Nein, so wird aber auch nicht gearbeitet. Natürlich muss man Schülern altersgemäß begegnen. Dass es auch Schwule, Lesben, Bisxuelle und Trans* gibt, ist allerdings nicht erst ein Thema für 14- und 16-Jährige, das sehen auch schon kleine Kinder. Außerdem haben Aufklärungsprojekte wie SchLAu Qualitätsstandards, da muss man sich keine Sorgen machen. Ich denke eher, dass es von Vorteil ist, Kindern einen frühen Zugang zu Sexualität und Körperlichkeit zu vermitteln – und zu der Vielfalt, die es hier gibt. Und das passiert nicht erst in der Pubertät, wo ganz andere Dinge eine Rolle spielen.
Vielfalt begreifbar machen
MW: Das sieht man ja auch an dem jetzt vorliegenden Lehrplan. Für die Sechsjährigen zum Beispiel sind eher Themen wie Partnerschaften und verschiedene Familienmodelle vorgesehen. Es geht um das Begreifen von Vielfalt, darum, dass Vorurteile gar nicht erst entstehen und zum Beispiel homosexuelle Kinder das Gefühl bekommen, „Ich bin hier nicht erwünscht“ oder „die denken komisch über mich“. Von Anfang an soll klar sein: Sie gehören zu unserer Gesellschaft dazu.
Das klingt komplizierter als die Losungen der sogenannten „Demo für alle“. Wie wollt ihr am 30. Oktober das Thema rüberbringen?
MW: Natürlich ist das ein vielschichtiges Thema, und darüber muss man reden. Das kann man nicht allein mit einer Demonstration verhandeln. Unsere Demo soll zeigen, dass sich die breite Gesellschaft nicht durch die einfachen Losungen der „Demo für alle“ radikalisieren und beeinflussen lässt.
AA: Es ist natürlich einfacher für die „Demo für alle“, weil sie immer simple Antworten hat und wir von der Aidshilfe aber wissen, wie sensibel alles ist, was mit Sexualität zu tun hat. Am 30. Oktober geht es jedoch nicht darum, Antworten zu geben, sondern Gesicht zu zeigen – gegen die einfachen Antworten und Schwarz-Weiß-Denken. Und vieles wird nicht nur vereinfacht, sondern ist falsch. Ich frage mich, welches Papier die Leute von der „Demo für alle“ eigentlich gelesen haben? Der Lehrplan, den ich kenne, gibt das, was sie behaupten, nicht her. Sie versuchen einfach nur, die Zeit in die 50er-Jahre zurückzudrehen und sind gegen jeden Fortschritt, der hart erarbeitet wurde, auch von den Aidshilfen, und das wollen wir nicht.
Michael, wie wichtig ist die Arbeit der Aidshilfe in dem Bündnis?
MW: Die ist extrem wichtig. Im Prinzip haben wir von Warmes Wiesbaden ja mit der Aidshilfe zusammen das Bündnis gegründet. Wir arbeiten ausschließlich ehrenamtlich und haben gar keine Ressourcen. Eine Organisation wie die Aidshilfe kann hier natürlich sehr gut unterstützen, ideell sowieso – wir sind auf einer Linie und arbeiten schon seit Jahren zusammen –, aber auch mit hauptamtlicher Arbeit, zum Beispiel mit der von Alexander.
Auch die Aidshilfen sind in der Verantwortung
An welchen Projekten wird diese Zusammenarbeit noch deutlich?
MW: Inzwischen gibt es einige gemeinsame Projekte. Mit SchLAu fing es an. Natürlich ist die Aidshilfe bei den CSDs dabei und auch in die Vorbereitung involviert. Inzwischen gibt es auch das Coming-Out-Beratungstelefon, die „bunte Nummer“. Es gibt eine Transgruppe, und gerade gründet sich auch eine Jugendgruppe. Ein Verein wie Warmes Wiesbaden kann das nicht alleine schaffen, wir haben derzeit noch nicht mal Räume. Das geht nur zusammen mit der Aidshilfe.
Sieht sich die Aidshilfe da in einer gewissen Verantwortung der Community gegenüber?
AA: Die AIDS-Hilfe Wiesbaden ist dieses Jahr 30 Jahre alt geworden. Sie ist eine der ältesten noch existierenden Akteurinnen in der Community und ist sich dieser Verantwortung bewusst. Wir kommen aus der Selbsthilfe und haben in den 30 Jahren einen Professionalisierungsprozess durchlaufen. Die Erfahrung daraus können wir weitergeben. In vielen Städten werden Projekte innerhalb der Community ehrenamtlich getragen, und gerade die Aidshilfen haben mit ihren Hauptamtlichen und ihrem guten Ruf die Möglichkeit, Türen zu öffnen und Ansprechpartnerinnen zu sein – auch, wenn es zum Beispiel nur um die Frage geht, wo sich die Bündnismitglieder ihre Flyer für die Demo am 30. Oktober abholen können.
Wie haben andere Aidshilfen eure Arbeit für das Bündnis aufgenommen?
AA: Sehr positiv. Die Kolleginnen und Kollegen aus Darmstadt und Frankfurt sind auch Mitglied im Bündnis. Das landesweite Präventionsprojekt „Hessen ist geil“ ebenfalls. Da ist eine große Offenheit, wir bekommen Anfragen von Aidshilfen deutschlandweit.
Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Hannes Richter
Die Demonstration des Bündnisses für Akzeptanz und Vielfalt beginnt am 30.10.2016 um 11 Uhr. Sie geht vom Wiesbadener Hauptbahnhof zum Dernschen Gelände, wo eine Kundgebung stattfinden wird. Neben Redebeiträgen wird es ab 12 Uhr auch ein buntes musikalisches Rahmenprogramm geben.
Weitere Informationen:
„Ihr seid nicht Alle“ – Website zur Demo des Bündnisses für Akzeptanz und Vielfalt
„Siegeszug der Populist_innen?“ – Beitrag auf magazin.hiv zum aktuellen Rechtsruck in Deutschland