Truvada ist nun auch in Deutschland als PrEP-Medikament zugelassen und verschreibungsfähig. Doch noch sind viele Fragen offen, wie sich beim Berliner Fachkongress „HIV im Fokus“ zeigte.
Ein Fachkongress wie „HIV im Fokus“ wird von langer Hand geplant, doch die diesjährige Veranstaltung unter dem Motto „Gib PrEP eine Chance“ hätte zu keinem passenderen Termin stattfinden können.
Just am Tag zuvor, am 7. Oktober, hatte das Pharamaunternehmen Gilead mit der Zustellung der Schulungsunterlagen für Ärzt_innen und Anwender_innen die Zulassungsauflagen der Europäischen Kommission erfüllt. Truvada kann seither auch von deutschen Ärzt_innen zur Prä-Expositions-Prophylaxe verschrieben werden, allerdings nur auf Privatrezept. Wer sich mit den blauen Pillen vor einer HIV-Infektion schützen möchte, muss sie bis auf Weiteres selbst bezahlen.
Die gute Nachricht ist: Ärzt_innen, die die PrEP bislang „off label“ verschrieben haben, also außerhalb der eigentlichen Zulassung, müssen sich nun nicht mehr durch eigens erstellte Verträge gegen mögliche Haftungsrisiken absichern.
PrEP-User_innen müssen die Medikamente selbst bezahlen
Solange aber die Kassen die Kosten nicht übernehmen – die Frage der Kostenübernahme wäre im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zu klären –, müssen PrEP-User_innen für diese Form der HIV-Prävention tief in die Tasche greifen: Der Preis für eine Truvada-Monatsration liegt derzeit bei gut 800 Euro.
Wenig verwunderlich also, dass bislang selbst die großen HIV-Schwerpunktpraxen der schwulen Metropole Berlin nur jeweils eine Handvoll gutbetuchter Klienten mit entsprechenden Rezepten versorgen und ärztlich betreuen.
Denn mit dem Einwerfen von Pillen ist es nicht getan: Zum PrEP-Standard gehören die regelmäßige Kontrolle der Nierenfunktion sowie quartalsweise Tests auf HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen.
Die Realität aber sieht offenbar häufig anders aus: Patienten (oder besser Klienten) kommen in die Praxis, holen sich ihr Truvada-Rezept und tauchen nie wieder auf, erzählt eine Berliner Ärztin in der Kaffeepause.
Grauer Markt für Truvada-Nachahmerprodukte
Höchstwahrscheinlich wird ein solches Rezept auch nicht in einer Berliner Apotheke eingereicht, sondern in einer Online-Apotheke mit Sitz im Ausland. Die nämlich haben wesentlich preiswertere Generika im Programm, die statt gut 800 nur etwa 50 Euro kosten. Auf welchen mehr oder weniger legalen Pfaden und mit welchen findigen Tricks diese eigentlich für die ärmeren Länder im globalen Süden bestimmten Generika dann den Weg nach Deutschland finden, schilderte einer der anwesenden PrEP-Aktivisten und -User – nach England zum Beispiel kann man sich solche Präparate legal liefern lassen, und zwar jeweils drei Monatsrationen.
Dass sich neben diesem grauen aber auch bereits ein Schwarzmarkt für Truvada oder seiner Nachahmerprodukte gebildet hat, konnte oder wollte niemand so recht bestätigen. Und noch seien auch keine Fälschungen aufgetaucht, erklärte Will Nutland von der London School of Hygiene & Tropical Medicine.
Doch bei den verschiedenen Podiumsrunden war man sich einig: Dass Menschen sich genötigt sehen, sich auf diese Weise das für Normalbürger_innen ansonsten kaum zu finanzierende Medikament zu besorgen, ist beschämend für ein so reiches Land wie Deutschland – und auch für einen Pharmakonzern wie Gilead und dessen Preispolitik.
Die anwesende Gilead-Firmenvertreterin konnte einem angesichts der Kritik fast schon leidtun. Sie hatte – im Gegensatz zu den eingeladenen Krankenkassen-Vertreter_innen – nicht kurzfristig gekniffen und signalisierte zuletzt sogar so etwas wie Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft des Unternehmens. So seien beispielsweise unterschiedliche Preise je nach Einsatzbereich – im Falle von Truvada für die HIV-Behandlung bzw. zur Prävention – durchaus möglich, wie eine Apothekerin im Publikum am vergleichbaren Beispiel eines Krebs-Medikamentes verdeutlichte.
Krankenkassen entziehen sich der Diskussion
Hängt der Erfolg der PrEP in Deutschland also letztlich am Marktpreis, den Gilead hierzulande für das Präparat fordert? Und sieht die Lage in einem knappen Jahr vielleicht schon ganz anders aus, wenn der europäische Patentschutz für die Wirkstoffkombination gefallen ist und auch bei uns Generika auf den Markt kommen dürfen?
In der Tat haben einige Firmen bereits entsprechende Vorbereitungen getroffen. Doch deren Preise liegen, wenn man sich an den bisherigen Erfahrungen orientiert, vermutlich bei etwa 500 Euro pro Monatsration – und damit definitiv über dem Handelspreis jener Generika, die auf welchen Wegen auch immer aus Indien, Südafrika oder Thailand den Weg nach Deutschland finden. Der graue Markt dürfte daher so lange existieren, wie die PrEP nicht von den Krankenkassen übernommen wird oder wie kein erschwingliches Generikum erhältlich ist.
In Frankreich und den USA wird die PrEP schon jetzt kostenfrei abgegeben. Dennoch ist die Zahl jener, die das Angebot wahrnehmen, überraschend gering. In Frankreich seien es bislang rund 1.500, in den USA bisher 80.000, und langfristig sollten es 500.000 werden, berichtete der US-PrEP-Aktivist Eric-Paul Leue. Dadurch könne nicht nur die Zahl der HIV-Neuinfektionen, sondern auch die anderer sexuell übertragbarer Infektionen (STIs) gesenkt werden.
Unsicherheit auch bei der Kostenübernahme der Kontrolluntersuchungen
PrEP-User seien die einzige Gruppe, die alle drei Monate auf STIs gecheckt würden, betonte der Berliner HIV-Mediziner Dr. Ingo Ochlast. „STIs werden daher frühzeitig erkannt und behandelt, die Ansteckungsketten also frühzeitig unterbrochen“, so Ochlast. Seine Prognose: „PrEP-User werden auf lange Sicht die wenigsten STI-Erkrankungen haben.“
Dies setzt allerdings voraus, dass sie tatsächlich auch die ärztliche Betreuung wahrnehmen. Gewährleistet wäre dies aber erst dann, wenn nicht nur die vom Arzt oder der Ärztin verschriebenen PrEP-Medikamente, sondern auch die Kosten der notwendigen Untersuchungen wie die Kontrolle der Nierenwerte, HIV- und STI-Tests (inklusive der nicht ganz so preiswerten Abstriche) von den Krankenkassen übernommen würden. Derzeit sind diese Untersuchungen aber eigentlich nur dann abrechnungsfähig, wenn entsprechende Symptome vorliegen. Damit gehen Ärzt_innen theoretisch das Risiko ein, dass die turnusmäßigen Untersuchungen von den Kassen nicht erstattet werden.
Es ist noch viel zu tun …
Ines Perea, die im Bundesgesundheitsministerium für HIV und Aids zuständige Referatsleiterin, erklärte, sie habe viele neue Anregungen aus den lebhaften Diskussionen und Vorträgen für sich mitgenommen. Vor allem eine strategische Argumentation in Sachen PrEP-Finanzierung durch die Krankenkassen wolle sie weiterverfolgen. Außerdem können man die PrEP möglicherweise wie Schutzimpfungen bewerten. Die bestehenden Richtlinien ließen diese Interpretation durchaus zu, so Perea; der G-BA könne hier vom Gesetzgeber eine Klarstellung einfordern.
Bis die PrEP für alle, die sie benötigen, auch zugänglich ist, bleibt noch viel zu tun. Parallel dazu muss gewährleistet werden, dass all jene, die sich über die PrEP informieren oder sie verschrieben bekommen möchten, dafür auch kompetente Arztpraxen aufsuchen können, bei denen sie sicher sein können, nicht auf Unverständnis und Vorbehalte oder fachliche Unkenntnis zu treffen. Gerade abseits der Metropolen, wo es keine oder kaum HIV-Schwerpunktpraxen gibt, könnte dies problematisch werden. Herausgefordert sind hier nicht nur PrEP- und HIV-Aktivist_innen, sondern auch HIV-Organisationen bis hin zu den im HIV-Bereich tätigen Ärzt_innen.
Um der PrEP in Deutschland den Weg zu ebnen, sind also Aktivitäten auf vielen Ebenen erforderlich. Ideen dazu wurden in kleinen Arbeitsgruppen bei HIV im Fokus gesammelt – es bleibt spannend, was daraus wird.