„Ich dachte, wir wären schon weiter“

Hohe Hepatitis-C-Raten, geringe Impfquoten: Eine Studie bei über 2.000 Drogenkonsument_innen zeigt Lücken in der Prävention und Versorgung.

Vier Jahre lang hat das Robert-Koch-Institut (RKI) gemeinsam mit Einrichtungen der Drogen- und Aidshilfe an der DRUCK-Studie gearbeitet. Die jetzt vorliegenden Ergebnisse der umfangreichen Untersuchung bieten detaillierte Informationen zu Infektionsrisiken und Verhaltensweisen von intravenös Drogengebrauchenden.

2.077 Drogenkonsument_innen in acht Großstädten wurden unter anderem zu ihrem Wissen und Schutzverhalten befragt. Darüber hinaus wurde die Häufigkeit von HIV- und Hepatitis-Infektionen in der Studienpopulation bestimmt. „Auf so eine Untersuchung haben wir lange gewartet“, stellt Dirk Schäffer, Referent für Drogen und Strafvollzug der Deutschen AIDS-Hilfe, den besonderen Stellenwert der Studie heraus. „Viele Jahre hatten wir überhaupt keine zielgruppenspezifischen Daten.“

Überraschende Ergebnisse beim Schutzverhalten

Das ist nun anders. 154 Seiten stark ist der Abschlussbericht, der nicht nur die Studienergebnisse zusammenfasst, sondern auch ganz konkrete Handlungsempfehlungen gibt. Einige der Ergebnisse hatte die Studienleiterin Dr. Ruth Zimmermann so nicht erwartet: „Uns hat überrascht, dass ‚unsafe Use‘ auch aktuell noch verbreitet ist, obwohl die meisten Teilnehmenden schon einen sehr langen Konsum haben“, sagt sie. „Wir hätten erwartet, dass ein besseres Wissen zu den Schutzmöglichkeiten vorhanden ist.“

So gaben 9 Prozent der Teilnehmenden an, in den vergangenen 30 Tagen von anderen gebrauchte Spritzen und Nadeln benutzt zu haben. Genauso viele gaben gebrauchte Spritzen und Nadeln an andere weiter. Jede_r Fünfte hatte bereits benutzte Filter oder Löffel weitergegeben.

Während das Teilen von Spritzen und Nadeln möglicherweise auf eine unzureichende Versorgung mit diesen Utensilien zurückzuführen sei, habe das gemeinsame Benutzen anderer Konsumutensilien vor allem mit einem Informationsdefizit zu tun, vermuten die Forscher_innen. „Das Wissen, dass beim Teilen von Utensilien wie Filtern, Löffeln und Wasser Hepatitis C übertragen werden kann, war nicht sehr verbreitet“, berichtet Dr. Ruth Zimmermann. „Dazu sollte gezielt Beratung stattfinden, gepaart mit der konsumorientierten Ausgabe dieser Utensilien.“

Mit der Konsumdauer steigt die Wahrscheinlichkeit einer HCV-Infektion

Die DRUCK-Studie stellt fest, dass in einzelnen Städten bis zu 54 Prozent der Teilnehmer_innen eine aktive, behandlungsbedürftige Hepatitis-C-Infektion haben. Und: Je länger jemand Drogen spritzt, desto wahrscheinlicher ist, dass er_sie von HCV betroffen ist. Von den Studienteilnehmer_innen, die erst seit höchstens zwei Jahren Drogen spritzen, waren 29 Prozent HCV-positiv. Bei einer Konsumdauer von zwei bis zehn Jahren erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Hepatitis-C-Infektion bereits erheblich: Jede_r Zweite ist positiv. Und bei den Befragten mit einem intravenösen Konsum von mehr als zehn Jahren sind sieben von zehn infiziert.

Astrid Leicht, Leiterin der Berliner Drogenberatungsstelle Fixpunkt, macht Fehler in der Präventionsarbeit für diese Zahlen verantwortlich. „Weil Hepatitis immer im Kielwasser von HIV mitschwimmt, hat sich eine Unschärfe eingeschlichen“, sagt sie und berichtet aus ihrer langjährigen Erfahrung mit Drogengebrauchenden: „Viele Leute wissen nicht, woher sie ihre Hepatits-C-Infektion haben und dass es mehr Infektionsanlässe gibt, als sie denken.“

Als ein weiteres auffallendes Ergebnis der DRUCK-Studie nennt Astrid Leicht die niedrige Zahl derer, die gegen Hepatitis B geimpft sind. Von den Teilnehmer_innen gaben nur 45 Prozent an, jemals gegen HBV geimpft worden zu sein. Bei den Blutuntersuchungen zeigte sich aber, dass von diesen 45 Prozent auch noch knapp die Hälfte falsch lag und gar nicht geimpft war, obwohl sie es dachte. „Das ist schon bemerkenswert“, meint Astrid Leicht, „dass eine verfügbare, kostengünstige Möglichkeit, eine Infektion zu vermeiden, nicht angeboten wird. Das bemängele ich schon seit Jahren, aber jetzt ist es wissenschaftlich bewiesen.“

„Ich hätte gedacht, wir wären schon weiter“, zeigt sich Dirk Schäffer von der DAH erstaunt über den Wissensstand der Drogengebrauchenden – auch bezüglich HIV. „Was Spritzen und Nadeln angeht, sitzen die Botschaften. Aber wenn es um Detailwissen wie HCV-Infektionsrisiken durch Konsumutensilien oder die positiven Effekte der antiretroviralen HIV-Therapie geht, sinkt das Wissen rapide ab.“

Niedrigschwellige Test- und Beratungsangebote ausbauen

Nur etwa jede_r Zweite mit einem positiven HIV-Status erhält eine antiretrovirale Therapie. „Das liegt aber primär nicht an den Drogengebrauchenden“, meint Dirk Schäffer. Vielmehr sei es gerade für diese Menschen nicht hilfreich, wenn das Angebot von Test und Beratung in Sachen Infektionskrankheiten vorwiegend bei Ärzt_innen und Gesundheitsämtern liege. „Drogenkonsumenten kommen einfach nicht für einen HIV- oder HCV-Test ins Gesundheitsamt und warten mehrere Tage auf das Ergebnis“, weiß Dirk Schäffer. „Wir müssen dahin kommen, dass Test und Beratung in Form von zielgerichteten Kurzinterventionen niedrigschwellig angeboten werden, um so die Wissensstände zu erhöhen und die Leute dazu zu bewegen, sich testen und bei positivem Testergebnis behandeln zu lassen.“

Schon im DAH-Projekt „TEST IT“ hatte sich gezeigt, dass Angebote, die sich an den Lebensweisen und Tagesstrukturen von Drogenkonsument_innen orientieren, auch genutzt werden. Die DRUCK-Studie kann das nur bestätigen: In sieben Städten wurden zusätzlich zu den Labor-Tests auch HIV-Schnelltests angeboten. „Wenn dieser Test sofort verfügbar war und es geeignete Räumlichkeiten für die Beratung gab, dann wurde das sehr gut angenommen“, berichtet Dr. Ruth Zimmermann. Daher empfehlen die Autor_innen der Studie, dass Drogenberatungsstellen neben der bedarfsgerechten Ausgabe von Konsumutensilien auch regelmäßig HIV- und HCV-Tests anbieten.

„Dafür muss Personal qualifiziert werden, um auch therapeutisch intervenieren zu können“, sagt Astrid Leicht von Fixpunkt. „Und wir müssen Leute gewinnen, die sich berufen fühlen und die Arbeit mit Herzblut machen.“ Die Deutsche AIDS-Hilfe hat bereits auf diese Empfehlung reagiert. „Wir werden Fortbildungen zu Kurzberatungen anbieten, damit es gut geschulte Leute gibt, die auf niedrigschwelliger Ebene zu HIV und Hepatitis beraten können“, verspricht Dirk Schäffer.