„Mein Kind bekommt eine Narkose“
Ich freue mich, dass heute Dr. Juraj Havran, niedergelassener Anästhesist (Narkosearzt) und mit mir verheirateter Vater von zwei Kindern, in einem Interview mit mir ausführlich über dieses Thema spricht.
Wichtig ist uns die Perspektive aus Elternsicht: Analog zu meinem Blog-Thema „Mama ist Kinderärztin“ steht dieses Interview also unter dem Motto: „Papa ist Narkosearzt“.
Um mal mit einem Klischee anzufangen: Was macht ein Narkosearzt eigentlich den ganzen Tag, wenn er nicht gerade Kaffee trinkt oder Zeitung liest?
Ja, gut, dass man jetzt mein Augenrollen nicht sehen kann. Hahaha. Um hier aber sachlich anzuschließen bin ich über jeden „langweiligen Tag“ froh und weiß, dass alles gut, gewohnt und normal verlaufen ist.
Der Beruf des Narkosearztes – oder in Medizinersprache Anästhesisten – lässt sich vereinfachend in vier große Aufgabenbereiche unterteilen:
Narkose, Schmerztherapie, Notfallmedizin und Intensivmedizin.
Nach dem Medizinstudium dauert die Facharztausbildung noch mindestens weitere fünf Jahre. In dieser Zeit bekommt man einen guten Überblick über diese vier Bereiche, wobei aber das Durchführen von Narkosen einen Schwerpunkt bildet.
Und Narkosen machen bedeutet ja auch nicht, den ganzen Tag nur neben schlafenden Patienten zu sitzen. Ich begleite die Patienten vom Narkosevorgespräch an und später nach der OP noch mit der Schmerztherapie.
Meine Priorität ist natürlich die Sicherheit des Patienten. Aber richtig schön ist es erst, wenn meine Patienten sich richtig gut aufgehoben fühlen.
Mein Leitspruch ist „Wir passen auf Sie auf!“. Und wenn der Patient – und im Falle eines kleinen Patienten auch die Eltern – das bei der Entlassung nach Hause genau so empfunden haben, dann habe ich mein Ziel erreicht.
Es gibt ja unterschiedliche Begriffe wie Sedierung oder Vollnarkose. Was passiert da eigentlich?
Es kommt ganz darauf an, was für ein Eingriff geplant ist.
Es gibt zum Beispiel Untersuchungen oder ganz kleine Eingriffe, bei denen man uns Erwachsenen einfach sagen kann: „Jetzt bitte mal kurz ganz stillhalten“. Das funktioniert gerade bei kleineren Kindern leider nicht.
Hier kann man Medikamente geben, die „schläfrig“ machen, also das Bewusstsein reduzieren. Die Patienten können aber noch selbst atmen und gegebenenfalls auch auf Ansprechen reagieren. Das nennt man auch Sedierung. Falls es ein schmerzhafter Eingriff ist, muss natürlich auch noch extra ein Schmerzmedikament gegeben werden.
Wichtig für die Eltern zu wissen ist auch, dass auch nach einer „kleinen“ Sedierung ihr Kind hinterher für kurze Zeit ein für sie vielleicht schläfriges, verlangsamtes, ja merkwürdiges oder auch aufgedrehtes Verhalten haben kann. Das liegt am Medikament und verschwindet wieder, und das Kind erinnert sich auch nicht daran. Dieser Zustand kann Eltern erschrecken oder verunsichern. Wenn sie vorgewarnt sind hilft es ihnen aber, damit besser umzugehen.
Wenn ein größerer Eingriff ansteht, eine Operation, und der kleine Patient muß dabei komplett ruhig liegen, reicht eine Sedierung nicht aus. Dann muss der Patient so tief schlafen, dass er dann auch nicht selbständig atmen kann. Daher muss er auch in so einem Fall beatmet werden. Wir sprechen dann auch von einer Vollnarkose, wobei zwischen einer oberflächlichen Sedierung und so einer Vollnarkose die Übergänge fließend sind.
Vor einem Eingriff wird der Narkosearzt mit den Eltern besprechen, welche Methode er jeweils für die beste hält. Das kommt wie gesagt auf den Eingriff an, auf den Patienten und seinen Gesundheitszustand und muss ganz individuell besprochen werden.
Was ist für einen Narkosearzt das Besondere an einer Kindernarkose? Gehört das zur Routine?
In der Facharztausbildung sind Kenntnisse der Kinderanästhesie vorgeschrieben. Wie oft man dann mit Kindern zu tun hat, kommt darauf an, in welchem Bereich man arbeitet. Ich selbst arbeite als Anästhesist im ambulanten Bereich, wo Kindernarkosen häufig vorkommen.
Das besondere an Kindern ist, dass Kinder eben keine kleinen Erwachsenen sind. Und je jünger die Kinder sind, desto mehr gilt dieser Leitspruch der Kinderanästhesie.
Das betrifft die mentalen und emotionalen Aspekte, aber auch die rein körperlichen. Kinder sind eine ganz „besondere Patientengruppe“, auf die wir uns speziell einstellen müssen…
Grundsätzlich gilt aber: Ist es ein gesundes Kind, und hat einen „kleineren“ operativen Eingriff vor sich?!? In der heutigen Zeit kann man dann guten Gewissens sagen: Narkose ist sehr, sehr sicher. Punkt.
Mit „sicher“ meine ich übrigens: Sicherheit vor größeren Komplikationen, also Komplikationen die zu ernsthaften Gesundheitsschäden oder lebensbedrohlichen Situationen führen. Die sind in der Konstellation sehr selten.
Was sagst du Eltern, die besorgt sind, dass eine Narkose Spätfolgen haben könnte, zum Beispiel Verzögerungen in der Entwicklung oder Lernstörungen?
Es gibt Medikamente, die für eine Narkose benötigt werden, bei denen solche Spätfolgen diskutiert werden. Diese Fragestellung ist schon seit langem Gegenstand von diversen Studien. Die Datenlage hierzu ist aber nicht eindeutig.
Sicher sollte eine Operation nicht leichtfertig entschieden werden – gerade bei kleineren Kindern. Aber eine notwendige OP bleibt eine notwendige OP, und man sollte sich meiner Meinung nach vor Narkosenebenwirkungen nicht fürchten.
Manche Eltern sprechen von einem Narkosetrauma…?
Auch dazu gibt es keine eindeutigen Untersuchungen. Die Frage ist ja auch: was ist damit gemeint?
Hat das Kind eine schlimme Erinnerung an die Narkose, oder war es die Operation, die Verletzung, hat es die Gesamtsituation nicht gut verkraftet?
Hier kann ich nur wiederholen, was ich eben schon sagte: Jede Operation will gut überlegt sein. Und wenn eine Operation notwendig ist, dann hilft eine möglichst gute Vorbereitung von Seiten der Ärzte, aber auch der Eltern.
Du bist Vater von 2 Kindern. Wenn du nun eines deiner Kinder eine Operation braucht – auch wenn es nur ein ganz kleiner Eingriff ist – und du weißt, dass Narkose grundsätzlich sicher ist: Ist dir dann trotzdem mulmig?
Ich denke jede Mutter, jeder Vater kennt das mulmige Gefühl, das entsteht, wenn man sein Kind in irgendeiner Form „abgibt“. Gerade im Sinne von „Kontrolle abgeben“. Das kommt vor, wenn wir unsere Kinder das erste Mal in die Kita schicken, unser Kind seinen ersten Schultag hat oder seinen ersten Klassenausflug – oder eben auch eine Narkose bekommt.
All diesen Situationen ist gemeinsam, dass sie von uns Eltern eine Form des Vertrauens und des Loslassens verlangen. Das fällt manchen Eltern leichter als anderen und hat sicher auch mit dem Hintergrund, also eigenen Erfahrungen, und mit dem Vertrauen in die „Gegenseite“ zu tun.
Ein Beispiel, das ich dazu immer gerne gebe, ist das Fliegen. Flugzeuge gehören in der heutigen Zeit zu den sichersten Transportmitteln. Das ist eine statistisch nachgewiesene Tatsache und ist fast jedem, der in ein Flugzeug steigt, auch auf der Vernunftebene bewusst.
Trotzdem zeigen Studien – vielleicht auch die eigenen Erfahrungen -, dass beim Fliegen häufig zumindest ein „mulmiges“ Gefühl einfach da ist. All das Wissen um die objektive Sicherheit hilft uns dann nicht. Wir haben trotzdem ein mulmiges Gefühl.
Was glaubst du, woran das liegt, dass Gefühl und Verstand so auseinanderklaffen?
Es gibt dazu eine Reihe von Untersuchungen, und die dahinter befindliche Psychologie ist, wie ich finde, sehr interessant.
Einen wesentlichen Punkt kann man sich wie folgt vorstellen:
Unser Gehirn verhält sich für (gewohnte-) positive Erlebnisse wie etwas, was mit Teflon beschichtet ist: Es bleibt einfach nicht so leicht haften.
Es bleibt eben nicht „tief in uns“ haften, dass Flugzeuge fliegen und statistisch gesehen so gut wie immer auch heil ankommen. Und genau so verhält es sich mit Narkosen. Es bleibt eben nicht haften, dass Narkosen sicher sind.
Schreckliche Bilder dagegen – meistens von den Medien vermittelt – bleiben dagegen sehr gut im Gehirn haften. Zum Beispiel Bilder von Unglücken. Sowohl beim Fliegen als auch bei den Narkosen wird ja genau das eine Unglück raus gehoben. Die vielen Hundertausend völlig problemlosen Flüge und Narkosen werden nicht erwähnt… Jeder von uns macht sich also das positive, das normale, somit nicht ausreichend bewusst.
Wenn eine Operation bei deinem Kind geplant ist: worauf achtest du vorher besonders?
In allererster Linie suche ich einen operierenden Arzt, dem ich wirklich vertrauen kann.
Jeder muss seine eigene Strategie hierfür entwickeln. Vielleicht höre ich mich im Bekanntenkreis um. Vielleicht recherchiere ich im Internet? Vielleicht rufe ich bei der KV an und lasse mich beraten? Vielleicht gehe ich auch genau da hin, wo ich selbst schon gute Erfahrungen gemacht habe- vorausgesetzt, dass der Arzt auch den Umgang mit Kindern gewohnt ist.
Besonders wichtig wäre mir einfach, dass ich mir ein persönliches Bild machen kann. Ich muss selber einfach ein gutes Gefühl haben. Und ich möchte mir sicher sein, das bestmögliche von meiner Seite im Vorfeld einer OP getan zu haben.
Und wie bereitest du dein Kind vor?
Mit meinem Kind spreche ich altersentsprechend über die Situation. Als Eltern wissen wir selber am besten wie viel Verständnis bereits vorhanden ist. Ich vertrete sehr klar die Meinung, dass wir vor allem ehrlich mit unseren Kindern sein sollten.
Eltern neigen vielleicht bewusst oder unbewusst dazu, hier vielleicht schon im Vorfeld etwas zu flunkern. Das halte ich für grundsätzlich problematisch.
Ich bin der Meinung, dass selbstverständlich ein fünf- und erst recht ein achtjähriges Kind wissen sollte, dass erstens die OP absolut notwendig ist und es hieraus auch keinen „Ausweg“ gibt, aber auch dass es an dem OP-Tag einen kleinen „Piek“ oder etwas Wundschmerz geben wird.
Wenn wir bei solchen Sachen unsere Kinder anflunkern, dann kann es im allerbesten Fall sein, dass wir zwar unser Kind bei der ersten OP übertölpelt bekommen… Aber Kinder vergessen sowas natürlich nicht und spätestens bei einer weiteren OP oder beim nächsten Arztbesuch sehen wir die Auswirkung des Vertrauensverlustes. Wir haben also sicher nichts gewonnen, und meiner Meinung nach viel verloren…
Wichtig ist zu erkennen, dass ich als Vater oder Mutter mein Kind authentisch durch diese ungewohnte Situation leite. Wir wissen doch allzu gut, wie aufmerksam unsere Kinder sind, und mit welchem Gespür sie mitbekommen, wenn etwas „nicht stimmt“.
Könnte man sagen, dass die Vorbereitung auf eine OP zum großen Teil im Kopf bei uns Eltern selbst liegt?
Wenn unsere Kinder unsere eigene Unsicherheit oder gar Angst mitbekommen, sollten wir nicht wirklich erwarten, dass sie ganz entspannt und mit Wohlwollen an die Situation ran gehen.
Hilfreich ist also, wenn wir uns im Voraus unsere eigene Unsicherheit und Ängste bewusst machen und daran arbeiten. Einige Dinge können wir beeinflussen. Und wenn wir alles getan haben, was wir tun können, dann aber auch entschlossen und positiv an die Situation herangehen. Ein bisschen eigene vorgelebte Tapferkeit ist vielleicht auch hier notwendig.
Ein ganz praktischer Tipp noch: ich bereite mich als Elternteil im Kopf auf den Operationstag vor, indem ich selber mir schon einmal vorstelle wie dieser Tag ablaufen könnte. Und dann im Voraus dafür sorgen, dass der Tag gut organisiert ist und keine „ansteckende“ Hektik entsteht.
Was sind aus Deiner Sicht als Narkosearzt die wichtigsten Punkte für einen gelungenen Ablauf des Operationstages?
Das Vorgespräch mit dem Anästhesisten ist eine sehr gute Gelegenheit seine Fragen anzubringen, den Anästhesisten als Person und auch die anstehenden Abläufe kennenzulernen.
Ist man als Elternteil besonders besorgt und möchte man besonders viel aus so einem Gespräch für sich gewinnen, so macht es Sinn sich damit schon VOR dem Gespräch zu beschäftigen und sich vielleicht die eine oder andere Notiz zu machen. So geht dann nichts verloren, wenn man die Möglichkeit hat Fragen zu stellen.
Es gilt: „Viele Wege führen nach Rom.“ Es gibt viele unterschiedliche Herangehensweisen eine Narkose zu gestalten. Bekommt das Kind einen Beruhigungssaft vorher oder nicht? Beginnt die Narkose mit einer Infusion oder mit einer Maske, über die Narkosegas eingeatmet wird?
Für viele Eltern auch ganz wichtig die Frage: An welcher Stelle im Ablauf „übergebe“ ich mein Kind dem Anästhesisten? Wann nach der OP darf ich wieder zum Kind?
Es gibt hier kein grundsätzliches richtig und falsch. Das, was in der einen Situation sinnvoll ist, muss in einer anderen Situation nicht sinnvoll sein. Der Narkosearzt vor Ort macht sich seine Gedanken, um einen guten und erfolgreichen Ablauf für alle zu gewährleisten.
Als Eltern sollten wir uns bewusst machen, dass alle im gleichen Boot sitzen: Ein möglichst angenehmer Ablauf für alle Beteiligten – insbesondere für das Kind-, der eine sichere und gute Narkose ermöglicht. Dass auch die Eltern ein möglichst gutes Gefühl dabei haben, gehört für mich zu einem gelungenen Ablauf…
Leider gibt es auch Fälle, in denen der Ablauf mal nicht so gelingt. Eltern sprechen davon, dass der Umgang wenig empathisch oder die Übergabe des Kindes als „Wegreißen“ empfunden wurde. Was sagst du Eltern, die eine schlechte Erfahrung gemacht haben?
Wir sollten hingehen und als erstes analysieren, was genau die schlechte Erfahrung war. War das eine einzelne Sache, die besonders schwer wog, oder waren es mehrere Kleinigkeiten, die sich aufsummierten? Oder war alles nur ein großer „Mist“? Lag es an der Situation, oder an einer bestimmten Person?
Ich würde den Eltern raten, erst eine Analyse für sich selbst und die erlebte Situation durchzuführen. Und dann ansprechen, was einen besonders gestört hat und was man sich anders gewünscht hätte. Ein klärendes Gespräch hilft sicherlich, die Situation besser zu verstehen und dann auch besser damit umzugehen.
Manchmal ist es auch einfach die „Chemie“, die nicht stimmt. Da würde ich dann einfach bei einer nächsten Operation den Eingriff woanders durchführen lassen.
Wie gehst du mit Patienten/Eltern um, die große Angst haben?
Das beste Gegenmittel zum Umgang mit Angst, egal ob bei sich selber oder bei seinem Gegenüber, ist EMPATHIE. Wohlwollende Empathie. Ich gehe hin und sage: „Ja, Sie als Eltern haben Angst um ihr Kind oder ein mulmiges Gefühl?! Das ist absolut ok, vielen geht es so.“ Das zeigt uns doch: uns ist das, was da passiert, wirklich wichtig und wir kümmern uns…
Anschließend bleiben wir aber nicht hier stehen, sondern arbeiten uns durch unsere Sorgen. Bei fast allen Eltern reicht ein gutes Gespräch, um ihnen einige Werkzeuge oder Ideen gegen die eigenen Ängste an die Hand zu geben.
So etwas muss individuell geschehen, an die jeweilige Situation angepasst. Daher ist es schwierig hier allgemein etwas zu sagen.
Möchtest Du abschließend Eltern noch etwas auf den Weg geben?
Ich bin jetzt im vierzehnten Berufsjahr und hatte in dieser Zeit auch Einblick in viele verschiedene Krankenhäuser und auch Praxen.
Klar habe ich hin und wieder Sachen gesehen, die mir persönlich nicht so gefallen haben. Aber in all den Jahren kann ich eines sicher sagen:
Kindernarkosen werden mit besonderer Aufmerksamkeit durchgeführt. Wir als Ärzte strengen uns besonders an, geben uns besonders Mühe, für diese besondere Patientengruppe.
Sollte man als Mutter oder Vater jemals das Gefühl im Vorfeld schon haben, dass es nicht so ist, dann sollte man sich besser jemanden suchen, bei dem es anders ist.
Das sollte nicht allzu schwer sein, denn ich meine so gut wie alle meine Kolleginnen und Kollegen passen besonders gut auf unsere Kinderpatienten auf.
Und sich genau dieses als Eltern bewusst zu machen kann schon helfen, entspannter und positiver mit einer anstehenden Narkose beim eigenen Kind umzugehen.
Danke, dass du dir die Zeit für dieses Gespräch genommen hast!
….Sag mal, wo stecken eigentlich die Kinder… ?!?!
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