Am Welt-Aids-Tag wird in Amsterdam das HIV/AIDSmonument enthüllt – ein Memorial nicht nur zum Gedenken der an Aids Verstorbenen, sondern für alle Menschen mit HIV und deren Unterstützer_innen.
Noch immer sind letzte Details am Bauwerk zu erledigen – und ein Festakt sowie eine Ausstellungseröffnung vorzubereiten.
Doch das sind Kleinigkeiten im Vergleich zu den Kraftanstrengungen, die Jörn Wolters und das kleine Team seiner Mitstreiter_innen von der Stiftung NAMENproject Nederland bereits hinter sich haben: Fünf Jahre mit aufwendigen Planungen, Einwerben von Spendengeldern, Verhandlungen mit Behörden und Verwaltungen.
All die Mühen sind nun vergessen. „Wir haben es tatsächlich geschafft!“, sagt Wolters stolz und beglückt. Am 1. Dezember, dem Welt-Aids-Tag, wird Amsterdams Bürgermeister Eberhard van der Laan am Morgen zunächst eine nationale Aids-Tagung eröffnen und gleich im Anschluss daran das HIV/AIDSmonument offiziell enthüllen.
Und wenn das Wetter mitspielt, wird die Vormittagssonne die roten Muranoglaskugeln des Monuments zum Strahlen bringen. Entworfen wurde die beeindruckende Installation vom Pariser Künstler Jean-Michel Othoniel.
Leuchtendes Glas am Himmel
In sieben Metern Höhe – und damit auch für Rowdies und übermütige Tourist_innen schwer erreichbar – sind die Kugeln aufgereiht und erinnern an die mechanische Rechenhilfe Abakus. Was wird hier gezählt? Helferzellen? Tote, Infizierte? Oder stellen die leuchtend roten, zerbrechlichen Kugeln Blutkörperchen dar?
Mit dem HIV/AIDSmonument sollte in mehrfacher Hinsicht etwas Besonderes geschaffen werden: Ein Denkmal, das als Ort dienen kann, um all jener zu gedenken, die an den Folgen von Aids verstorben sind, das aber dennoch „Schönheit und Leichtigkeit verströmt, trotz des schweren Themas“, wie Jörn Wolters erklärt. „Wir wollen ein Monument, das Mitten im Leben steht und das auch in 50 Jahren noch einen Sinn hat.“
Deshalb steht das Denkmal auch nicht nur für die Aidstoten, sondern auch für alle Menschen, die mit HIV leben. Und zugleich ist es eine Würdigung all jener, die sie unterstützen: Ärzt_innen, Wissenschaftler_innen, Aktvist_innen – und ganz besonders Buddys. „Diese völlig neue Form des sozialen Engagements, bei dem Freiwillige bis dahin unbekannten Menschen zur Seite stehen, gab es vor der Aidskrise noch nicht und wurde zu einem Vorbild in vielen anderen Bereichen“, betont Jörn Wolters.
Ein Monument, das Mitten im Leben steht
Die Stiftung NAMENproject Nederland, bei der Wolters schon seit vielen Jahren mitarbeitet, hatte 1988 als Quilt-Projekt begonnen. Wie The NAMESproject in den USA initiierte man auch in den Niederlanden Gedenktücher zur Erinnerung an Menschen, die an Aids verstorben waren.
2007 wurde die Idee des individuellen Erinnerns in Form der offenen Gedenkseite aidsmemorial.nl im Internet ins digitale Zeitalter übersetzt. 2011 folgte mit aidsmemorial.info eine weitere Webseite, auf der sämtliche bekannte Denkmäler und Erinnerungsstätten im öffentlichen Raum, auf Friedhöfen, aber auch im Word Wide Web zusammengetragen sind.
„Uns lag vor allem daran, jene Gedenkstätten zu dokumentieren, deren Initiatoren keine Möglichkeit haben, sich mit einer eigenen Webseite zu präsentieren“, erklärt Wolters. Denn Aids-Memorials gibt es nicht nur in Berlin und San Francisco, New York und Manchester, sondern auch in Durban, Hongkong, Kasachstan und in der Ukraine.
Nur in Amsterdam gab es nichts Vergleichbares. „Unter den Schwulen hatte das Homomonument diese Funktion eingenommen“, erklärt sich Jörg Wolters diesen Umstand. Wer seiner verstorbenen Freunde gedenken wollte, etwa am Welt-Aids-Tag, legte dort seine Blumen nieder.
Doch das Homomonument ist nun primär eben doch eine Gedenkstätte für Opfer homofeindlicher Verfolgung. Aids aber betrifft viele weitere Gruppen in der Gesellschaft. Brauchte es also eine besondere Erinnerungsstätte? „Wir waren uns der Sache nicht sicher“, erzählt Wolters. Seine Stiftung arbeitete deshalb ein Konzept aus, produzierte dazu einen detaillierten Prospekt und verschickte ihn an alle wichtigen HIV/Aids-Institutionen und -Organisationen des Landes.
Braucht es eine eigene Erinnerungsstätte für HIV/Aids?
„Wir wollten keine Lippenbekenntnisse, sondern verbindliche Zusagen.“ Und so sicherte man ab einer Spende von 1.000 Euro einen Namenseintrag auf einer Stifter_innenplakette zu. Die Initator_innen waren vom Feedback überwältigt. Die 10.000 Euro, die man für die Ausschreibung eines künstlerischen Wettbewerbs veranschlagt hatte, kamen schneller zusammen, als erhofft.
Eine Fachjury wählte den Gewinnentwurf schließlich aus drei Vorschlägen aus. Parallel hatte man acht passende Standorte im Stadtgebiet ausfindig gemacht und zur Abstimmung gestellt. Das Rennen machte schließlich nicht die abgelegene ruhige Ecke eines Parks, sondern das belebte Kanalufer am Oosterdokseiland direkt am Amsterdamer Hauptbahnhof.
„Kein besonders besinnlicher Ort“, gibt Wolters zu. „Doch wenn am Abend die Kreuzfahrtschiff-Tourist_innen die Stadt wieder verlassen haben, hat man von hier aus einen weiten Blick über das Wasser und kann in Richtung Westen den Sonnenuntergang betrachten. Dann kann man auch hier kontemplative Momente erleben.“
100.000 Euro Eigenmittel musste die Stiftung für die Realisierung des Monuments selbst einwerben, damit der Amsterdams Fonds voor de Kunst die gleiche Summe noch einmal obendrauf packte. „Wir hätten es fast geschafft“, berichtet Jörn Wolters. Doch ausgerechnet die Pharmafirmen, mit deren Spenden man fest gerechnet hatte, sagten ab. Ein Memorial war ihnen zu „rückwärtsgewandt“. Mit Unterstützung eines professionellen Fundraisung-Büros kamen die notwendigen Gelder dann aber doch noch zusammen.
Am Abend des 1. Dezembers wird der Welt-Aids-Tag nun erstmals am HIV/AIDSmonument begangen, und auch an anderen Tagen des Jahres – wie etwa zum Gay Pride, zum Aids-Memorial-Day im Mai oder auch zum Gedenktag der verstorbenen Drogengebraucher_innen – wird dies ein Ort für Gedenkfeierlichkeiten sein.
Weit mehr Menschen aber werden an den anderen Tagen des Jahres eher zufällig vorbeikommen, werden neugierig, vielleicht auch erstaunt das Kunstwerk in Augenschein nehmen und erst durch die Informationstafel erfahren, was es mit diesem Denkmal auf sich hat – und sich so ganz unerwartet mit dem Thema HIV/Aids auseinandersetzen.
Eine Ausstellung zum HIV/AIDSmonument Amsterdam und zu über 35 Jahren Leben mit HIV/Aids ist bis 10. Februar 2017 in der Amsterdamer Stadtbibliothek Centrale OBA in unmittelbarer Nähe des Memorials (Oosterdokskade 143, 6e verdiepin) zu sehen.
Webseite zum HIV/AIDSmonument Amsterdam
Weiterführende Beiträge auf magazin.hiv:
„Orte des Gedenkens und kollektiven Trauerns“
„Zwölf Hektar Gedenken“ – 25 Jahre The NAMESproject