„Keine Sorge, alles bleibt so wie es ist.“ Diesen Satz nehmen manche Führungskräfte gerne dann in den Mund, wenn eigentlich genau das Gegenteil nötig wäre. Warum tun sich Menschen mit Veränderung eigentlich so schwer? Und wie kann sie besonders in gesellschaftlich wichtigen Feldern wie dem Gesundheitswesen sinnvoll gestaltet werden? Pia Drauschke und Dr. med. Stefan Drauschke haben Veränderung zu ihrem Thema gemacht: Sie begleiten Kliniken und Unternehmen im Changemanagement.
Mal ganz generell: Warum ist Veränderung für Menschen eigentlich so schwierig?
Das hat unter anderem neurophysiologische Gründe. Das Gehirn ist daran gewöhnt, effizient zu arbeiten – alleine schon, um Energie zu sparen. Das ist einer der Gründe, warum wir dazu neigen, Dinge immer auf ähnliche Weise zu tun und Gewohnheiten oder Rituale zu entwickeln. Und wenn Veränderung irgendwann unumgänglich ist, gibt es erst einmal inneren Widerstand. Der entsteht übrigens immer – auch, wenn die Veränderung rational als sinnvoll erkannt wurde. Man kann zwar trainieren, Veränderung sozusagen in die eigene Komfortzone zu integrieren, doch feste Routinen werden jedem Menschen immer leichter fallen als ständiger Wechsel.
Wenn Sie diese Erkenntnis auf das Gesundheitssystem beziehen: Gibt es hier besondere Herausforderungen, wie etwa den oft beklagten Standesdünkel?
In diesem Zusammenhang spielen im Gesundheitswesen mehrere Dinge eine Rolle. Zum einen gibt es in jeder Branche berufsgruppenspezifisches Denken: Sei es unter Ingenieuren, Verkäufern, Produktionsverantwortlichen oder Kaufleuten. Einem Stück Standesdünkel begegnet man also immer – und insofern kommt dieser auch im Gesundheitswesen vor. Zwei Aspekte aber sind sehr spezifisch: Zum einen gibt es tatsächlich sehr weit zurückreichende Standeswurzeln: Die Berufsgruppen der Ärzte und der Pflege gehen auf jahrtausendealte Traditionen zurück. Dabei entspringt der Ärztestand zunächst vor allem dem klerikalen Bereich und hat immer Privilegien genossen. Das ist ein Umstand, der auch heute durchaus noch eine Rolle spielt. Tief verwurzelte Stände, die zu Rängen führen und tradierte Ansichten mit sich bringen – sozusagen im kollektiven Gedächtnis der Standesmitglieder. Darüber hinaus sind Ärzte die einzige Berufsgruppe die wir kennen, die beruflich völlig legal Körperverletzungen begehen dürfen, was ihnen ein ganz anderes Selbstbild erlaubt. Schließlich gibt es gerade im Gesundheitswesen eine Polarität zwischen Ethik und Wirtschaft. Allen edlen Ansprüchen zum Trotz ist das Krankenhaus letztendlich auch „nur“ ein Unternehmen, das darauf angewiesen ist, nur so viel oder wenig Geld auszugeben, wie es einnimmt. Das kann sich natürlich in Grenzsituationen beißen.
Und die Krankenhäuser befinden sich ja schon seit geraumer Zeit in einer schwierigen Situation. Wie erleben Sie das, haben Insolvenzgefahr und Übernahmen Einfluss auf die Unternehmenskultur? Und wenn ja, wie muss sich die Führungskultur ändern, damit das Personal auch solche Krisen meistern kann?
Die sich ständig ändernden und strengen regulativen Richtlinien machen die Führungskräfte manchmal richtig mürbe. Weil es einfach schwierig ist, auf lange Sicht eine Strategie aufzubauen. Auf der anderen Seite ist trotz vieler Herausforderungen schon sehr viel geschehen: Wir glauben, dass erfolgreiche Krankenhäuser heutzutage in jeder Trägerschaft vorhanden sind. Krankenhäuser, die sich am Gesundheitsmarkt behaupten, tun ähnliche Dinge. Hierzu gehören klare Strategien, konsequente Umsetzung und eine ausgesprochene Leistungskultur bei hoher Arbeitgeberattraktivität. Hier kommt das Thema Führung ins Spiel: Das heißt, dort, wo in den Prozessen schon sehr viel optimiert wurde, ist es der Faktor Mensch, auf den es wirklich ankommt. Arbeiten die Menschen, wie und was sie sollen? Tun sie, was sie können? Entscheiden sie sich für Hochleistung oder freizeitorientierte Schonhaltung? Hier wird das Führungsverständnis wichtig: Wie führen wir die Menschen so, dass sie sich freiwillig dazu entscheiden, optimale Beiträge für den Unternehmenserfolg zu leisten – egal ob sie schon lange dabei sind oder erst seit kurzem. Hier ist insbesondere in Krankenhäusern noch viel zu tun.
Da drängt sich die Frage auf, was denn genau zu tun ist.
Sowohl in unseren Projekten als auch in unserem neuen Buch legen wir den Fokus darauf, dass Führung etwas ist, das zwischen Menschen und nicht zwischen Berufsgruppen passiert. Das heißt, dass die Führungskulturmodelle, die wir entwickeln, berufsgruppenübergreifend sind. Die Methoden und Vorgehensweisen sind der Führung egal: Ob ein Arzt einen anderen Arzt oder eine Pflegekraft führt, oder ein Geschäftsführer einen Arzt leitet. Es geht immer um die Führung von Menschen. Während unserer systemisch ausgerichteten Projektarbeit beginnen die Menschen zu verstehen, dass beispielsweise der beste Chirurg nicht automatisch die beste Führungskraft ist, sondern dass es dafür eigene Qualitäten und Verhaltensweisen gibt und dass die Führungsrolle mit Fertigkeiten ausgefüllt werden muss, die nicht im Medizinstudium vermittelt werden und mit dem sonstigen Expertenstatus auch nichts zu tun haben. Das ist der Ansatz: Führung als eigene Rolle und Aufgabe zu verstehen, um mit mehr Leichtigkeit mit anderen Menschen bessere Ergebnisse zu erzielen, und zwar unabhängig von der Expertise in der eigenen Berufsgruppe, deren Bedeutung im Expertensystem von Krankenhäusern ja sehr ausgeprägt ist.
Können Sie basierend auf Ihrer Arbeit konkret beschreiben, wie ein erfolgreicher Veränderungsprozess im Führungskulturkontext aussehen könnte?
Sehr gerne. Zunächst entwickeln wir mit einer großen Gruppe an Führungskräften ein gemeinsames Verständnis von guter Führung im Sinne eines spezifischen „Konstruktes“ aus dem Verständnis der Teilnehmer. Das können je nach Klinikgröße 80 oder 150 Personen sein, die in den Prozess direkt involviert sind. Es kommen natürlich sehr viele Antworten, die wir anschließend nach verschiedenen Kategorien sortieren, um zu verstehen, was in diesem Haus mit seiner Kultur und seinen Zielen „gute Führung“ im Kopf der Beteiligten überhaupt bedeutet. Es geht uns also nicht um ein lehrbuchartiges Konzept, das auf ewig festgeschrieben ist. Wenn das dann klar ist, arbeiten wir mit einer kleineren Gruppe von 15 – 20 Personen im Rahmen von vier bis fünf Workshops heraus, was gute Führung auf der Werte-Ebene, der Fähigkeits-Ebene und der Verhaltensebene bedeutet. Am Ende ist wichtig, dass Werte, Fähigkeiten und Verhalten zueinander passen und sich stimmig ergänzen. Genauso wie ein Prisma das Licht in Spektralfarben teilt, zerlegen wir gute Führung in die genannten Bestandteile. In einem letzten Schritt spiegeln wir die Ergebnisse wieder zurück in der Großgruppe und entwickeln dann ein Umsetzungskonzept für die Führungskulturentwicklung, das sich über mehrere Jahre erstreckt. Das ist ein klassischer systemischer Prozess, top-down, bottom-up, konstruktivistisch und mit viel Partizipation.
In Ihrem neuen Buch „Changemanagement und Führung im Gesundheitswesen“ nennen Sie sieben Thesen für erfolgreiche Veränderung. Nennen Sie zum Abschluss doch mal die erste These.
Diese lautet: „Schaffen Sie eine Veränderungskoalition.“ Wenn Sie etwas verändern möchten, brauchen Sie im Hause Verbündete, mit denen Sie gemeinsam Entscheidungen treffen und auch umsetzen können. Widerstand wird es immer geben, doch um damit adäquat umzugehen, müssen Sie sich im Führungsbereich einig sein über das wohin und wie. Die beste Metastrategie für erfolgreiche Veränderung ist Transparenz, Konsequenz und Mitwirkung. Je transparenter Sie sind, auch bei eventuellen Ergebnisunterschieden, und je konsequenter Sie, im positiven wie im negativen Sinne, führen und die Mitarbeiter in den Veränderungsprozess einbinden (indem Sie beispielsweise gute Ideen berücksichtigen und Mitgestaltung im gegebenen Rahmen fördern), desto erfolgreicher werden Sie gemeinsam sein können.