Das Projekt „Deine Gesundheit, Dein Glaube“ macht in afrikanischen Kirchengemeinden HIV-Prävention zum Thema – in enger Zusammenarbeit mit den Pastoren und mithilfe der Bibel.
Eines Tages kam eine Frau in die Essener Kirchengemeinde, die offensichtlich sehr krank war. Sie war unsicher – und befand sich in einer Zwickmühle: Soll sie sich an die Schulmedizin wenden oder auf Gott vertrauen?
„Ich habe mit der Frau gebetet und ihr gesagt, sie solle zum Arzt gehen“, erzählt Paul Kazadi. Mit diesem scheinbar kleinen Rat habe er große Dankbarkeit geerntet, erinnert sich der Pastor, dessen Gemeindemitglieder vor allem aus der Essener afrikanischen Community stammen. Er weiß, dass viele von ihnen in einem Dilemma stecken, wenn sie krank werden: „Sie denken, Tabletten sind nichts für sie, weil sie Christen sind.“
Paul Kazadi, der ebenso wie die Frau aus der Republik Kongo kommt, sieht darin jedoch keinen Widerspruch: „Gott hat den Menschen Weisheit gegeben“, sagt er. Wer Gelehrten wie Biolog_innen, Mediziner_innen oder Physiker_innen vertraue, tue also nichts Unrechtes.
Kirchengemeinden bieten gute Möglichkeiten, Menschen zu erreichen
Als die Anfrage kam, gemeinsam mit der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) Veranstaltungen in seiner Kirche durchzuführen, war er sofort einverstanden: „Es geht darum, Menschen zu helfen. Und das ist toll.“ Er weiß aber auch, dass das nicht alle Pastor_innen so sehen. Gerade, wenn es um HIV und sexuell übertragbare Krankheiten gehe, werde es schwierig.
„HIV ist ein Tabu-Thema. Viele denken, es hat mit Sex zu tun. Deswegen ist es nicht so einfach, in Kirchengemeinden darüber zu sprechen“, sagt Clement Matweta vom Projekt African Rainbow der Essener Caritas. Er arbeitet seit vielen Jahren mit der DAH zusammen und hat die Koordination des Projekts in seiner Stadt übernommen.
Kirchengemeinden können zwar ein heikler Ort sein, um über Themen zu reden, die mit Sexualität zu tun haben. Sie sind aber auch wichtige Säulen im Leben von afrikanischen Communities und bieten besonders gute Möglichkeiten, Menschen zu erreichen. Die Deutsche AIDS-Hilfe hat deswegen in enger Kooperation mit den beiden Netzwerken AfroLebenPlus und dem Afrikanischen Gesundheits- & HIV-Netzwerk in Deutschland (AGHNiD) das Projekt „Deine Gesundheit, Dein Glaube“ entwickelt. 2014 fanden die ersten Konzepttreffen statt, 2015 Beratungstreffen mit weiteren Vertreter_innen afrikanischer Communities. Im Mai 2016 wurden dann die ersten Veranstaltungen in Kirchen durchgeführt – in fünf Städten: Saarbrücken, Bremen, Essen, Köln und Berlin.
Die Angst vor Medikamenten nehmen
Wie wichtig es ist, in der HIV-Prävention afrikanische Communities zu adressieren, zeigen Zahlen des Robert-Koch-Instituts. Demnach betrifft jede dritte bis vierte HIV-Neuinfektion in Deutschland Migrant_innen. Ein Großteil der Betroffenen kommt aus Ländern Subsahara-Afrikas. Ziel von „Deine Gesundheit, Dein Glaube“ sei deshalb auch, die Angst vor Medikamenten zu nehmen, berichtet Tanja Gangarova, die das Projekt vonseiten der Deutschen AIDS-Hilfe leitet. Da sich rund 40 Prozent der betroffenen Migrant_innen erst in Deutschland infizierten, sei zudem die Prävention von Infektionen ein wichtiges Thema. Ein besonderes Problem sei aber auch, dass sich viele Infizierte erst sehr spät testen ließen – „ein Zeichen dafür, dass Testangebote bekannter gemacht werden müssen“.
Die Idee, Menschen aus migrantischen Communities über die Kirchen zu erreichen, sei nicht neu, sagt Tanja Gangarova. Bei einer Fachtagung in Chicago vor vier Jahren habe sie viele Ideen für so ein Projekt bekommen. Zum Beispiel die, Gesundheitsthemen in Theaterstücken anzusprechen, die in Gotteshäusern aufgeführt werden. Auch in England werde das schon gemacht.
Grundsätzlich hänge aber alles von der Kooperationsbereitschaft der Kirchengemeinden ab. „Wir können so ein Projekt nicht ohne die Pastoren starten“, so die DAH-Referentin. Einer der ersten Schritte war also, mit den Kirchenvertreter_innen aus verschiedenen Städten darüber zu sprechen, was aus ihrer Sicht angemessen ist und was nicht.
Ohne die Pastoren geht es nicht
Deutlich wurde, dass zum Beispiel die Akzeptanz von HIV-Positiven eine Botschaft ist, die sich gut in den christlichen Kontext einfügen lässt. Auch der Ratschlag, Tabletten zu nehmen, war für die befragten Pastoren kein Problem. Klare Grenzen habe es allerdings bei den Themen Verhütung und Homosexualität gegeben, Kondome zum Beispiel seien erst mal ein Tabu gewesen. „Man muss Kompromisse eingehen und Vertrauen aufbauen“, sagt Tanja Gangarova.
Die Zusammenarbeit der afrikanischen Kirchengemeinden mit der DAH ist nicht selbstverständlich. „Es hat lange gedauert, bis wir die Pastoren gefunden haben.“ Für diese ist so ein Projekt eine Gratwanderung, schließlich sind sie auf die finanzielle Unterstützung ihrer Gemeindemitglieder angewiesen. Schneiden sie zu viele schwierige Themen an, riskieren sie, dass diese sich eine andere Kirche suchen.
An dem Projekt beteiligt sind neben AGHNiD, AfroLebenPlus und den Kirchengemeinden auch lokale Aidshilfen und Gesundheitszentren. Die Deutsche AIDS-Hilfe koordiniert die Arbeit auf Bundesebene und führt die Ergebnisse zusammen. Bis Ende 2016 läuft die Pilotphase.
Theateraufführungen in der Kirche
In allen fünf Städten wurden bisher jeweils zwei Veranstaltungen durchgeführt. Diese bestehen aus einer Predigt des Pastors und einem Vortrag, einem Film oder einer Vorführung der mobilen Theatergruppe von AfroLebenPlus, die Geschichten von Migrant_innen erzählt und dabei auch Probleme von HIV-Positiven thematisiert. Mit ihren Fragen könnten sich die Gemeindemitglieder dann einfach auf das Theaterstück beziehen, erklärt Tanja Gangarova. Das baue Hemmungen ab. Niemand muss sagen: „Ich habe folgendes Problem.“
Die Pastoren übernehmen den geistlichen Part. „Wenn die Zusammenarbeit mit dem Pastor gut ist, dann wird es richtig gut“, erzählt Clement Matweta. Für 2017 ist geplant, ein Video mit den Kirchenvertretern zu drehen, in dem sie sich vor der Kamera für die Gesundheit der Gemeindemitglieder einsetzen.
Matweta betont, wie wichtig es bei den Veranstaltungen ist, nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Das bedeutet zum Beispiel, erst einmal allgemeine Gesundheitsthemen in den Mittelpunkt zu stellen, zum Beispiel über Ernährung zu sprechen – und später über sexuelle Gesundheit und Schwangerschaft.
Zitate aus der Bibel untermauern die Botschaften
Essentiell sei zudem, dass die Pastoren und auch die Koordinator_innen vor Ort die Sprachen der Gemeindemitglieder sprechen. In Essen finden die Predigten auf Französisch, Lingala oder Englisch statt. So gebe es viele Bibelzitate, die die Botschaften zum Thema Gesundheit untermauern, erzählt der Pastor Paul Kazadi. „Mein Lieber, ich wünsche in allen Stücken, dass dir’s wohl gehe und du gesund seist, wie es denn deiner Seele wohl geht“ (3 Johannes 1:2) lautet nur eines von vielen Beispielen, die die Projektbeteiligten im Laufe der Zeit zusammengetragen haben.
Bei den Veranstaltungen in Essen wurde außerdem mit einem Video und einer persönlichen Geschichte gearbeitet. Danach kamen Fragen – auch zum Thema HIV: „Kann ich mich infizieren, wenn ich die gleiche Haarschneidemaschine benutze?“, habe eine Frau wissen wollen, erzählt Clement Matweta. Einige andere hätten die Ansicht geäußert, dass die Infektion nur eine Erfindung sei.
Die vielen Gespräche und Fragen zeigen jedoch, dass sich etwas tut. Das Erlebnis mit der kongolesischen Frau, die so dankbar war für den Rat, zum Arzt zu gehen, sieht Paul Kazedi als Bestätigung. Er will das Projekt auf jeden Fall fortführen und auch anderen Geistlichen davon berichten.
Die Deutsche AIDS-Hilfe plant, im kommenden Jahr die Arbeit in den fünf Städten zu verstetigen. Bis Ende 2018 sollen die Erfahrungen in einer Handreichung zusammengetragen werden. Inzwischen gibt es schon Anfragen aus anderen Städten wie Düsseldorf und Frankfurt (Main). Das Projekt hat sich herumgesprochen. „Jetzt sind es die Kirchengemeinden, die auf uns zukommen“, sagt Tanja Gangarova.
Von Inga Dreyer
Weiter Infos zum Thema HIV und Migration gibt es auch auf www.hiv-migration.de .