Ein Mann muss seiner ehemaligen Partnerin 71.000 Euro Schmerzensgeld zahlen, nachdem es beim ungeschützten Geschlechtsverkehr zu einer HIV-Übertragung gekommen war. So entschied gestern das Münchner Oberlandesgericht.
Zusätzlich zu den 71.000 Euro Schmerzensgeld (plus Zinsen) muss der Beklagte für eventuelle materielle und immaterielle Schäden, die der Frau künftig entstehen, zu zwei Dritteln aufkommen.
Die Klägerin hatte 2012 Medienberichten zufolge von ihrem neuen Partner vor dem ersten Geschlechtsverkehr einen HIV-Test verlangt, weil dessen frühere Lebensgefährtin an einer Immunschwächekrankheit gestorben war. Der Mann unterzog sich daraufhin einem Gesundheitscheck, machte jedoch keinen HIV-Test. Seiner Partnerin teilte er mit, dass alles in Ordnung sei. Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung über einer frühere Verhandlung in dieser Sache händigte er ihr auch einen Arztbericht aus.
Vor Gericht ließ der Beklagte außerdem eine dubiose Erklärung einer Ärztin verlesen, wonach HIV nicht existiere beziehungsweise nicht für die Krankheit Aids verantwortlich sei. Theorien, in denen HIV und Aids geleugnet werden, kursieren schon seit Jahrzehnten. Möglicherweise glaubte der Beklagte daran.
„Eigenverantworliche Selbstgefährdung“
Die Frau hatte in dem Zivilprozess 160.000 Euro Schmerzensgeld verlangt. Das Gericht entschied aber, dass das Verhalten der Frau möglicherweise eine „eigenverantwortliche Selbstgefährdung“ dargestellt habe: Nach Einschätzung eines sachverständigen Arztes sei es wahrscheinlich nicht gleich beim ersten Geschlechtsverkehr zur HIV-Übertragung gekommen, sondern erst später.
Der Klägerin hätten zwischenzeitlich Zweifel an der Auskunft des Mannes kommen können, so die Ansicht des Gerichts, daher sei ihr Anspruch auf Schmerzensgeld gemindert.
Trotzdem ist der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) kein Fall bekannt, in dem eine so hohe Summe Schmerzensgeld zuzüglich Entschädigungszahlungen verhängt wurde.
„Bei aller Tragik gehören Fälle wie dieser nicht vor Gericht“, kommentiert DAH-Sprecher Holger Wicht. „Lügen und die zugrunde liegenden Verwicklungen in Beziehungen sind auch sonst nicht Gegenstand von Gerichtsverhandlungen. Wenn zum Beispiel eine Frau behauptet, die Pille zu nehmen, dies aber nicht tut, ist der Mann gegebenenfalls trotzdem unterhaltspflichtig.“
Rechtliche Sanktionierung der HIV-Übertragung ist kontraproduktiv
Nach Auffassung der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) sind die Strafbarkeit der HIV-Übertragung sowie die Möglichkeit von Schadensersatzklagen generell kontraproduktiv. Sie bürden HIV-positiven Menschen die alleinige Verantwortung auf und konterkarieren die wichtige Botschaft, dass jeder Mensch selbst für seinen Schutz verantwortlich ist.
„Vor diesem Hintergrund ist das Urteil ein fatales Signal“, betont Wicht.
(Christina Laußmann/howi)