In Südafrika leben schätzungsweise 300.000 Kinder mit HIV. Zwar haben sie Zugang zu HIV-Medikamenten, trotzdem ist eine konsequente Therapie oft nicht möglich. Die Initiative „Giving Children a Chance for Life“ will das ändern.
Dieser Beitrag erschien zuerst im HIV-Magazin Hello gorgeous. Herzlichen Dank an Herausgeber Leo Schenk, Autorin Marleen Swenne und Fotograf Henri Blommers für die Erlaubnis zur Veröffentlichung. Übersetzung: Alexandra Kleijn
Alles fing mit Aufklebern an, die südafrikanische Kinder mit tuberkulöser Hirnhautentzündung bei der Einnahme ihrer Medikamente unterstützen. In der Behandlung von Tuberkulose und HIV gibt es viele Gemeinsamkeiten, und in beiden Fällen ist Therapietreue ein wichtiger Faktor. Professorin Marceline Tutu-van Furth (56), Kinderärztin und Infektiologin am VU University Medical Center (VUmc) in Amsterdam, hat diese Methode weiterentwickelt.
Mit den Aufklebern fällt es den Kindern leichter, ihre Medikamente zu nehmen, und es macht ihnen mehr Spaß. Sie bekommen eine große Karte und Aufkleber mit nach Hause und dürfen nach jeder Tabletten-Einnahme einen Aufkleber auf die Karte kleben. Wenn die Karte voll ist, sehen sie ein schönes Bild.
Nach jeder Tabletten-Einnahme darf ein Aufkleber auf die Karte
Die Theologin und Priesterin Mpho Tutu-van Furth (52), Leiterin der Desmond & Leah Tutu Legacy Foundation, war sofort begeistert, als sie die Methode kennenlernte. „Ich dachte, wow, das würde auch super bei Kindern mit HIV funktionieren. HIV ist nach wie vor ein großes Problem in Südafrika. Kinder mögen es meist überhaupt nicht, Medikamente zu nehmen. Wenn man sie bereits früh motivieren kann, ihre Tabletten zu schlucken, ist das ein großer Schritt nach vorn.“
In Südafrika sind religiöse Netzwerke besonders gut organisiert und zuverlässig. Mpho und Marceline haben deshalb ein Projekt entwickelt, das medizinische und religiöse Netzwerke miteinander verknüpft, um so die Therapietreue bei Kindern mit HIV zu verbessern.
Giving Children a Chance for Life, ein Projekt der Desmond & Leah Tutu Legacy Foundation in Zusammenarbeit mit der Abteilung Kinderinfektionskrankheiten des VUmc, wird seit 2014 von der Niederländischen Postleitzahlen-Lotterie mit 1,5 Millionen Euro gesponsert. Die 2011 gegründete Stiftung ist weithin bekannt und genießt hohe Anerkennung.
„Die Religionsgemeinschaften sind für unsere Arbeit unverzichtbar“
„Unser Projekt hat eine außergewöhnliche Grundlage“, erklärt Mpho. „Wir bringen die Religionsgemeinschaften und die Medizinwissenschaftler zusammen. Wenn wir ein Seminar veranstalten, sitzen Pastoren, Ärzte, Pflegepersonal und Religionsführer zusammen am Tisch. Statt Konkurrenz gibt es eine Kooperation, bei der alle ihre Kompetenzen und ihren Hintergrund einbringen. Die Religionsgemeinschaften in Südafrika sind für unsere Arbeit unverzichtbar und was sie für uns leisten, ist unbezahlbar. Es gibt sie im ganzen Land, es sind sehr viele, viel mehr, als es Kliniken gibt. Wenn man also Medizin und Religion zu einer Zusammenarbeit bewegen kann, lässt sich im Bereich HIV und Aids enorm viel erreichen.“
„Wir haben oft sehr rege Diskussionen“ sagt Marceline. „Dabei geht es eigentlich nie um das Ziel, sondern vielmehr um die Herangehensweise. Zum Beispiel haben wir vorher kaum darüber nachgedacht, wie man für eine gute Zusammenarbeit der Universität und der Stiftung sorgen kann.“
Laut Mpho gibt es in den religiösen Organisationen noch viel Stigmatisierung. „Wir veranstalten daher Seminare mit Religionsführern, in denen es nicht nur um die Herangehensweise geht, sondern auch um die Frage, wie man HIV und HIV-Therapie enttabuisiert. Ein immer wiederkehrendes Gesprächsthema ist, wie man über HIV spricht. Dass sich Geistliche darüber Gedanken machen, ist sehr wichtig. Schließlich sind sie es, die ihre Gemeinde von der Kanzel aus aufklären können. In den Kirchengemeinden gibt es viele Menschen, die selbst HIV-positiv sind oder mit HIV zu tun haben. Und es wird unter ihnen auch Ärzte und Pflegekräfte geben, die Vorurteile haben.“
Ohne die Mitarbeit der Religionsgemeinschaften hätte das Projekt viel weniger Erfolg, meint Mpho. Aber letztlich gehe es darum, dass die Kinder ihre Medikamente einnehmen. „Wenn sie mit den Aufklebern arbeiten, klappt das wunderbar.“
Die Methode hilft auch Eltern, ihre eigene Therapie durchzuhalten
„So eine Karte reicht für sechs Monate“, erläutert Marceline. „Die Klinikmitarbeiter können an den Karten sehen, wie die Situation zu Hause ist. Manchmal sind die Aufkleber sehr ungenau aufgeklebt. Dann gibt es in der Familie vermutlich viel Unruhe. Es kommt auch vor, dass die Methode den Eltern hilft, ihre eigene Therapie konsequent durchzuhalten. Ein HIV-positiver Vater erzählte einmal, er hänge die Karte ins Badezimmer, das sei gut für ihn.
An mehreren Schulen im ganzen Land läuft gerade ein Wettbewerb. Die Kinder können selbst ein Blatt mit Aufklebern entwerfen, und die schönsten Entwürfe werden gedruckt und in den Kliniken verteilt. „Sie finden es toll, dass ihr Kunstwerk dazu genutzt wird, andere Kinder zu unterstützen“, sagt Mpho. „Und für uns bietet sich ein guter Anknüpfungspunkt, um über HIV und die Behandlungsmöglichkeiten zu informieren. So wird die HIV-Infektion zu einem Gesprächsthema: Das ist einfach nur ‚eine Krankheit‘, die mit einem Wettbewerb verbunden ist. Auch das verringert das Stigma.“
Ein kleines, erfolgreiches Projekt, „in dem ein Haufen Geld steckt“
Nach nunmehr anderthalb Jahren läuft das Projekt so, wie die beiden es sich vorgestellt hatten. Inzwischen arbeiten vier Doktoranden mit. Sie sind keine Mediziner, sondern Gesundheitswissenschaftler, und drei von ihnen kommen aus Südafrika. „Sie überprüfen die ganze Zeit, ob das, was wir tun, auch wirklich das gewünschte Ergebnis hat“, erklärt Mpho. „Wichtig ist, dass sie gut mit den Religionsgemeinschaften zusammenarbeiten. Man muss wissen, was die Menschen brauchen und was man selbst braucht, um das Projekt wachsen zu lassen. So etwas braucht Zeit. Jetzt, wo das Projekt gut läuft, wirkt es positiv für alle Beteiligten. Es ist ein kleines Projekt, in dem ein Haufen Geld steckt, und ich hoffe, dass wir es irgendwann weltweit einsetzen können.“
Kurzprofile
Mpho, 52, und Marceline Tutu-van Furth, 56
Beruf: Marceline ist Professorin für Kinderheilkunde und auf Infektionskrankheiten spezialisiert. Sie arbeitet im VUmc in Amsterdam. Mpho ist Theologin und Priesterin.
Beziehung: Marceline und Mpho haben 2016 geheiratet. „Aber das war nach Beginn unserer Zusammenarbeit“, so die beiden fast einstimmig.