Weibliche Sexualstörungen

Weibliche Sexualstörungen

Jeder Mensch erlebt Phasen, in denen die Sexualität nicht in gewohnter Form verläuft. Das gehört zum Leben. Trotzdem kann es sehr verunsichern. In solchen Phasen ist es enorm wichtig, nachzuforschen, was sich verändert hat und was wir jetzt brauchen würden, damit unsere Sexualität wieder in ein befriedigendes Gleichgewicht kommt. Die Natur hat viele Lösungsmöglichkeiten vorgesehen, wir müssen nur die passende finden. Besonders in Übergangsphasen sind wir gefährdet, Sexualprobleme zu entwickeln.
Weibliche Sexualstörungen

Typische Übergangsphasen:

• Verliebtheit wird zur Liebesbeziehung
• Wochenendbeziehung wird zur Alltagsbeziehung
• aus Zweisamkeit wird Familie
• Einstieg ins Berufsleben
• Wechsel
• Erkrankungen
• Älterwerden
• Medikamenteneinnahme
• nach Operationen oder Unfällen
• nach schweren Verlusten
• bei starken Belastungen

Im Artikel geht es nur um die Sexualprobleme, die mit der Störung einer der Phasen der Sexualreaktion zu tun haben. Offiziell fällt das unter den Begriff »sexuelle Funktionsstörung«. Von einer Sexualstörung sprechen wir erst dann,
wenn eine Frau unter diesem Problem persönlich leidet.

Lustlosigkeit oder vermindertes sexuelles Verlangen

Typischerweise berichten Frauen mit diesem Problem, dass sie zeitweise oder über eine sehr lange Zeit kaum oder gar nicht mehr an Sex denken und kaum noch sexuelle Fantasien haben. Sie haben auch kein Verlangen nach Sexualität.
Wie im Modell von Rosemary Basson zeigt sich, dass sexuelles Verlangen eng mit körperlicher und psychischer Erregung zusammenhängt. Wenn auf der Erregungsseite ein Problem vorliegt, kann das Bedürfnis nach sexueller Nähe
eingeschränkt sein.

Vorsicht!
Keine Lust haben heißt nicht, lustlos zu sein. Viele Paare kommen zu mir, weil es den Mann verletzt, dass nur er spontan Lust auf Sex hat. Die Partnerin beschreibt sich eher in der sexuell neutralen Startposition. Für die Frau wird zur Belastung, wenn der Partner den Eindruck hat, dass sie ihn nicht mehr begehrt, wenn sie nicht – wie in der Anfangsphase der Verliebtheit – öfter sexuelle Nähe sucht. Diese
Frauen haben keine Sexualstörung. Als Paar müssen sie gemeinsam einen Weg finden, wie sie wieder sexuell ansprechende Situationen erzeugen können.

Widerwillen gegen Sexualität (Sexuelle Aversion)

Bei dieser eher seltenen Erscheinungsform empfinden Betroffene einen starken Widerwillen gegen Sexualität. Sie tun alles, um sexuelle Kontakte zu vermeiden und berichten auch über heftige Körperreaktionen, wenn sie das Gefühl haben, dass ihr Partner gerne Sex mit ihnen haben will. Sie können Herzrasen, Schweißausbrüche und Ekelgefühle bis hin zu Schlafstörungen entwickeln.

Erregungsstörungen

Genitale sexuelle Erregungsstörung

Manche Frauen beschreiben, dass sie selbst bei passender Stimulation keine oder nur wenig genitale Erregung empfinden. Wenn sie etwas spüren, dann in »gedämpfter Form«. Es kann das Anschwellen der äußeren und inneren Genitalien
ausbleiben oder nur minimal stattfinden, in der Folge auch das Feuchtwerden (die Lubrikation) der Vagina. Gleichzeitig können sie aber berichten, dass sie sich innerlich durch andere Einflüsse erregt fühlen, etwa durch Berührungen des gesamten Körpers, durch Küssen oder durch sinnliche Worte und das Gefühl großer emotionaler Nähe.

Subjektive sexuelle Erregungsstörung

Manche Frauen berichten, dass sie zwar genital erregt und leicht feucht werden können, wenn sie passend stimuliert werden, es fehlt ihnen aber die innere Erregtheit oder sie empfinden diese nur minimal.

Gemischte Form der Erregungsstörung

Typischerweise erzählen diese Frauen verzweifelt, dass sie (oder ihre Partner) alle möglichen Versuche unternommen haben, damit sie sich erregt fühlen, doch sprechen sie weder genital noch innerlich darauf an.

Orgasmusstörung

Trotz ausreichender Stimulation und starkem Erregungsgefühl erreichen die betroffenen Frauen keinen Orgasmus oder sie erreichen ihn erst nach sehr langer Zeit. Dann jedoch kann es sein, dass sie ihn weitaus weniger intensiv erleben.

Schmerzhafter Geschlechtsverkehr

Manche Frauen erleben ständig Schmerzen beim Einführen des Penis in die Scheide oder beim Geschlechtsverkehr oder auch danach. Diese Schmerzen können stundenlang anhalten.

Vaginismus

Schmerzhafter Geschlechtsverkehr wird häufig mit dem sogenannten »Scheidenkrampf« oder »Vaginismus« verwechselt, weil Frauen, die beim Sexualkontakt Schmerzen empfinden, sich irgendwann automatisch verkrampfen aus Angst vor erneuten Schmerzen. Scheide einzuführen, automatisch eine Verkrampfung des äußeren Drittels der
Scheiden- und Beckenbodenmuskulatur auslöst und so einen Geschlechtsverkehr unmöglich macht. Manche Frauen schaffen es nicht einmal, den Finger oder z. B. einen Tampon in die Vagina einzuführen. Wie alle Frauen, die Schmerzen bei
Sexualkontakten empfinden, können sie Angst vor einem möglichen Geschlechtsverkehr entwickeln.

Sehr seltene Sexualstörungen

Persistierende (andauernde) genitale Erregungsstörung (persistent genital
arousal disorder)

Die Betroffenen berichten, dass sie ohne sexuelles Bedürfnis und Interesse, unerwartet, ungewollt, aufdringlich erregt werden. Dabei schwellen ihre Genitalien für Stunden oder sogar Tage an und werden feucht. Orgasmen bringen keine
Erleichterung.

Persistierende (andauernde) Orgasmusstörung (persistent orgasmic disorder)

Manche Frauen erleben auch immer wieder, ohne sexuelles Bedürfnis und Interesse, unfreiwillig, unerwartet und in den unmöglichsten Situationen Orgasmen, was sie in sehr beschämende Situationen bringt. Schon kleinste Vibrationen können diese Orgasmen auslösen. Für die Betroffenen können sich erhebliche persönliche, partnerschaftliche und soziale Belastungen aus dieser unberechenbaren Symptomatik ergeben.

Wechselwirkung von Sexualstörungen

Sexualstörungen können einander auch beeinflussen. Frauen, die Probleme mit dem Aufbau der Erregung haben, die kein Bedürfnis nach sexueller Nähe
verspüren oder die über Schmerzen beim Geschlechtsverkehr klagen, können Probleme haben, einen Orgasmus zu erreichen. Andererseits können Frauen, die keinen Orgasmus erreichen, wenig Verlangen nach Sexualität verspüren, dadurch Erregungs- und Lubrikationsstörungen entwickeln und in der Folge Schmerzen beim Geschlechtsverkehr haben.

Weiterführender Artikel

Körperliche Ursachen von Sexualstörungen bei der Frau

Quellenangabe

Dieser Text ist, mit freundlicher Genehmigung des Verlages, dem Buch Weiblich, sinnlich, lustvoll von Dr. Elia Bragagna, 2010 erschienen im Ueberreuter Verlag, entnommen.