Vor 30 Jahren veröffentlichte der deutsch-amerikanische Molekularbiologe Peter Duesberg erstmals seine These, dass HIV nicht Auslöser von Aids sei. Der „Aids-Leugner“ beharrt bis heute darauf, auch wenn sie längst wissenschaftlich widerlegt ist
Der Titel des 21-seitigen Aufsatzes, der am 1. März 1987 im amerikanischen Fachmagazin Cancer Research erschien, klang wenig spektakulär: „Retroviruses as Carcinogens and Pathogens: Expectations and Reality“ (auf Deutsch etwa: Retroviren als Verursacher von Krebs und als Krankheitserreger: Erwartungen und Realität). Die Schlussfolgerung des Beitrags allerdings hatte nachhaltige Sprengkraft.
Sein Autor, der renommierte Krebsforscher und Virologe Peter Duesberg, glaubte nachweisen zu können, dass Retroviren vom Typus HIV nicht der alleinige Auslöser für die Immunschwächekrankheit Aids sein könnten. HIV sei lediglich ein harmloses „Passagier-Virus“ und Aids vielmehr die Reaktion auf einen ungesunden Lebensstil, auf Drogenmissbrauch und den Konsum von „Lifestyle-Drogen“ wie den beim Sex eingesetzten Schnüffelstoff Poppers. Und nicht zuletzt hatte Duesberg HIV-Medikamente im Visier. Er war sich sicher, dass die HIV-Therapie nicht etwa den Ausbruch von Aids verhindert, sondern ihn im Gegenteil erst provoziere.
Die Entwicklung der Epidemie widerlegte Duesbergs Hypothesen
In der Tat war das Mitte der Achtzigerjahre eingesetzte, erfolgversprechende HIV-Medikament AZT (mit dem Wirkstoff Zidovudin) mangels Erfahrung zunächst in zu hoher Dosis verabreicht worden – mit gesundheitsschädigenden, oft tödlichen Nebenwirkungen. Doch die Therapien wurden weiterentwickelt, und auch die HIV-Forschung kam voran. Nicht zuletzt erledigten sich viele von Duesbergs Argumenten mit Fortschreiten der Epidemie gewissermaßen von selbst. Denn anders als von ihm angenommen, infizierten sich tatsächlich auch Ärzt_innen oder Laborangestellte versehentlich mit dem Virus. Und nicht nur Drogenabhängige und Schwule, sondern auch Kinder und Frauen erkrankten an Aids.
Duesberg aber beharrte auf seiner These, sah sich als Kämpfer gegen das „Aids-Establishment“ und wurde zu einem der wichtigsten Kronzeugen der „Aids-Leugner_innen“. Über zwei Jahrzehnte führte der 1936 in Münster geborene Wissenschaftler immer wieder neue, oft auch widersprüchliche Hypothesen zu den Ursachen von Aids ins Feld und verstieß dabei zunehmend gegen Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens.
Erkenntnisse der HIV-Forschung, die seinen Theorien widersprachen, ignorierte er und bezog nur solche Daten ein, die seine Hypothese zu stützen schienen. 2009 drohte ihm deshalb ein Verfahren wegen „wissenschaftlichen Fehlverhaltens“. Ausgelöst worden war der Konflikt durch seinen Aufsatz „HIV-Aids-Hypothese nicht im Einklang mit Aids in Südafrika – Eine neue Perspektive“.
Dass Duesbergs Ko-Autor David Rasnick zuvor auch am Handel von Vitaminpräparaten als Aids-Heilmittel beteiligt war, kam verschärfend hinzu. Die University of California, wo Duesberg seit 1973 als Professor in der Abteilung für Molekular- und Zellbiologe arbeitete, verzichtete letztlich aber auf ein Disziplinarverfahren.
Dass sich der umstrittene Aufsatz mit der Aids-Politik Südafrikas beschäftige, kam nicht von ungefähr. Der ehemalige Staatspräsident des im besonderen Maße von HIV betroffenen Landes, Thabo Mbeki, hatte den Forscher zu seinem Berater in Sachen Aids gemacht – und sich von seinen Theorien überzeugen lassen.
Südafrikas Irrweg in der HIV-Politik
1999 stoppte er zunächst die Verteilung von HIV-Medikamenten zur Verhinderung von Mutter-Kind-Übertragungen, später blockierte er den Aufbau eines landesweiten, vom Global Fund finanzierten Therapieprogramms. Seine Gesundheitsministerin Manto Tshabalala-Msimang empfahl stattdessen die Behandlung von Aidskranken mit Knoblauch, Roter Bete, Zitronen und Yamswurzeln anstelle antiretroviraler Medikamente.
Schätzungen zufolge sind durch diese Aids-Leugnung in den Jahren 2000 bis 2005 in Südafrika 330 000 Menschen unnötigerweise an den Folgen von Aids verstorben; zudem hätte bei 35 000 Babys die HIV-Übertragung verhindert werden können. Südafrikas Aidspolitik änderte sich erst unter Mbekis Nachfolger im Präsidentenamt, Jacob Zuma.
Duesbergs krude Thesen sind deshalb aber nicht verschwunden, sondern finden auch in Deutschland weiterhin Zuspruch. Immer wieder werden Fälle bekannt, bei denen HIV-Infizierte deshalb ihre Therapie abbrechen oder in denen Mütter mit nachweisbarer Viruslast entgegen ärztlichem Rat ihr Baby stillen und so das Virus weitergeben.
Sie riskieren damit nicht nur die eigne Gesundheit sondern auch den Tod. Auch Christine Maggiore, eine der Hauptprotagonistinnen der Dokumentation „House of Numbers“, ist mittlerweile an den Folgen ihrer nicht behandelten HIV-Infektion verstorben, und auch ihr Kind starb im Alter von drei Jahren an den Folgen von Aids.
Ungeachtet dessen wird der Film, den die „New York Times“ als „Pamphlet der Aidsleugner“ und „absichtlich dumm“ bezeichnete, auch in Deutschland weiter vertrieben – bezeichnenderweise von einem Verlag, der sich auf Bücher übers UFOs, Geheimbünde, Verschwörungstheorien und rechtspopulistische Manifeste spezialisiert hat.
Weiterführende Informationen
HIV-Prävention in Südafrika: Verspätete Vernunft (Beitrag auf magazin.hiv vom 15.07.2016)
Link zur Durban Declaration, mit der im Jahr 2000 über 5.000 Wissenschaftler_innen erklärten, dass HIV die Ursache von Aids ist (in englischer Sprache)