Wenn Trans*-Menschen ihre gewünschte Geschlechtszuordnung anerkennen lassen wollen, dürfen sie nicht zur Sterilisation oder einer medizinischen Behandlung gezwungen werden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Unfruchtbarkeit führt.
Ein solcher Zwang verstößt gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und der Korrespondenz). Dies entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) heute mit sechs zu einer Stimme.
Verhandelt worden waren die Fälle dreier Mann-zu-Frau-Trans*-Personen. Ihnen war von französischen Gerichten bislang untersagt worden, in den Geburtsurkunden den Vornamen sowie die Geschlechtszuordung zu ändern, solange nicht die geforderten operativen Eingriffe bzw. entsprechende medizinische Behandlungen vorgenommen worden sind.
Das Gericht urteilte, die Klägerinnen könnten nicht dazu gezwungen werden, ihre „körperliche Integrität“ aufzugeben, um als Frau anerkannt zu werden.
Die Interessenvertretung Transgender Europe (TGEU) wertet das Urteil als Präzedenzfall. „Dies ist ein Sieg für Trans*-Menschen und Menschenrechte in Europa. Mit dieser Entscheidung endet das dunkle Kapitel der staatlich verordneten Sterilisation“, so TGEU-Geschäftsführerin Julia Ehrt.
Die Organisation bedauert aber, dass das Gericht den Zwang zur psychologischen oder psychiatrischen Begutachtung nicht kritisiert hat. „Wir werden auch weiterhin auf die Menschenrechtsverletzungen aufmerksam machen, denen trans* Personen im medizinischen Bereich systematisch ausgesetzt sind“, erklärte TGEU-Mitarbeiter Richard Köhler.
Die 22 europäischen Länder, welche die vom EGMR verurteilte Praxis der erzwungenen Sterilisation noch beibehalten, müssten ihre Gesetze nun ändern, so TGEU. Dazu gehören unter anderem die Türkei, Griechenland, Finnland, Belgien, die Schweiz und Russland.
In Frankreich wurde die Regelung bereits vor rund einem Jahr abgeschafft. In Deutschland wurde sie 2011 durch das Bundesverfassungsgericht für grundgesetzwidrig erklärt.
(ascho)