Leidenschaftlicher Pionier der Substitutionsbehandlung

Als einer der ersten Mediziner in Deutschland hat Chaim Jellinek heroinabhängigen Patient_innen die Substitutionsbehandlung ermöglicht. In seiner Praxis in Berlin-Neukölln kümmerte er sich um all jene Schwerstsuchtkranken, die andernorts nicht mehr unterkamen oder als schwierig galten. An diesem Wochenende ist der 1956 geborene Familienvater in seiner Wahlheimat Berlin verstorben.

„Chaim war ein in jeder Hinsicht besonderer Mensch. Er war besonders in seiner Erscheinung, aber auch in der Arbeit mit Drogen gebrauchenden Menschen“, würdigt ihn Dirk Schäffer, DAH-Referent für Referent für Drogen und Strafvollzug.

„Chaim war nicht nur Arzt, sondern er brachte seine lebhafte Vergangenheit und seine eigenen Erfahrungen mit Drogen und Alkohol in seine Arbeit ein. Da war er ganz offen, und vielleicht war es auch das, was ihn so besonders machte.“

Chaim Jellinek: Ein in jeder Hinsicht besonderer Mensch

Jellinek war 1977 nach Berlin gekommen und zunächst als Hausbesetzer und Punkrocker aktiv. Mit 13 Jahren habe er seinen ersten Vollrausch erlebt, sagte er einmal in einem Interview. Es folgte eine intensive Lebensphase mit Drogen, die er überwand. Er konvertierte zum Judentum, änderte seinen Namen und absolvierte ein Medizinstudium.

Der bärige Zwei-Meter-Mann blieb nicht nur aufgrund seiner Körpergröße und seines weißen Vollbarts im Gedächtnis. Im Kontakt mit seinen Patient_innen und Kolleg_innen beeindruckte Chaim Jellinek auch durch seine Persönlichkeit.

Er sei immer klar heraus und sehr unprätentiös gewesen, sagt Dirk Schäffer. „Manche erschreckte er im ersten Moment mit seiner Klarheit und Offenheit. Aber man wusste bei ihm immer, für was er steht und eintritt und was er nicht unterstützt. Und dies ist eine gute Grundlage für Zusammenarbeit.“

Beziehungen aufbauen und nach Lösungen suchen

Chaim Jellinek war Mitbegründer der Ambulanz für integrierte Drogenhilfe (a.i.d.) und ein engagierter Unterstützer der Substitutionsbehandlung, und dies bereits zu jenen Zeiten, als Mediziner_innen, die das Substitutionsmedikament Methadon verordneten, noch mit viel Gegenwind rechnen mussten.

Sein persönliches Ziel war es, zu allen seinen Suchtpatient_innen eine gute Beziehung aufzubauen, auch wenn es schwer fiel. „Aber aufgeben akzeptiere ich nicht“, sagte Jellinek über sich. Weil er selbst Erfahrungen mit Selbstzerstörung gemacht hatte, sah er sich umso mehr gefordert, anderen zu helfen, davon loszukommen. „Ich kann niemanden vorschreiben, wie oder wann ein Leben zu beenden ist oder beendet wird. Das kann ich nicht, dazu habe ich kein Recht. Aber nach Lösungen zu suchen, die das Überleben dann doch möglich machen – das finde ich ganz wesentlich“, sagte er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk Kultur.

„Mit Chaim Jellinek verlieren viele hundert Patient_innen einen leidenschaftlichen Arzt“, sagt Dirk Schäffer. „Und wir verlieren mit ihm einen Unterstützer eines humanen und akzeptierenden Hilfeansatzes, einen Kollegen und Freund.“

(ascho)

Weitere Informationen:

Chaim Jellinek im Interview mit Deutschlandfunk Kultur

Nachruf in der „Jüdischen Allgemeinen“

Rede von Chaim Jellinek anlässlich des Internationalen Gedenktags für verstorbene Drogengebraucher_innen, Berlin am 21. Juli 2016