Jasper Nicolaisen erzählt in seinem autobiografischen Roman „Ein schönes Kleid“ vom erfüllten Kinderwunsch und einer im besten Sinne queeren Familie
Eigentlich ist alles perfekt im Leben von Jannis und Levi. Die beiden Männer haben eine schöne Wohnung, eine glückliche Beziehung und halbwegs erfüllende Jobs. Und doch fehlt ihnen etwas, für das ihr Hund nur einen dürftigen Ersatz darstellen kann: ein Kind. Was die beiden dazu alles unternehmen, welche Wege und auch Irrwege sie dafür gehen, welche Hürden sie nehmen und ganz zu schweigen von den Kommentaren ihres Umfelds, die sie ertragen müssen – all davon erzählt Jasper Nicolaisens „Ein schönes Kleid“.
„Roman über eine queere Familie“ nennt der Berliner Übersetzer und Autor, Jahrgang 1979, sein Buch. Zwar ist so manches darin zugespitzt und überzeichnet, die Basis seiner Erzählung aber sind die eigenen Erfahrungen, wie Nicolaisen in seiner Vorbemerkung offenlegt.
Kein Tatsachenbericht also und auch kein Ratgeber, was sicherlich nahgelegen hätte. Das aber hätte sich dann ganz gewiss nicht so gleichermaßen erhellend, bewegend und unterhaltsam gelesen, wie dieser über Strecken wirklich zu Tränen rührende und dann wieder ungemein komische Roman, in dem Nicolaisen seine Leser auf dem langen Weg durch den Behördendschungel aus Jugendämtern und Familienhilfen mitnimmt.
Zugegeben, als schwuler Mann, der nicht zwingend davon träumt, die nachfolgenden Jahre mit Kinderwagen, Kitas und Kreischalarm übermüdeter Knirpse zu verbringen, nähert man sich dieser Geschichte mit eher distanzierter Neugierde. Doch dann ertappt man sich dabei, wie einen die erwachenden Elterngefühle von Jannis und Levi und ihre wachsende Liebe für das neue Familienmitglied mitnehmen. Dabei aber läuft es mit ihrem Pflegesohn Valentin alles andere als reibungsfrei. Vielmehr gewinnt man den Eindruck, als sei die zuständige Mitarbeiterin im Jugendamt ganz froh gewesen, den sprachlich beeinträchtigen Valentin endlich in einer Pflegefamilie untergebracht zu haben – auch wenn es sich dabei um ein schwules Paar handelt.
Überraschend aber ist nicht allein, wie eindringlich und realistisch diese vielen neuen Herausforderungen und Veränderungen im Leben von Jannis und Levi geschildert sind. Bemerkenswert ist auch, wie unaufgeregt, fast beiläufig Nicolaisen ein nicht weniger ungewöhnliches Detail dieser Familie erzählt. Denn Levi war eigentlich einmal Jannis’ Freundin, und trug damals auch einen anderen Vornamen. Doch so richtig passte das nie. Und als Levi entschied, künftig als Mann zu leben, blieb Jannis an seiner Seite. Wahre Liebe ist eben nicht zwangsläufig an ein Geschlecht gebunden, sondern vor allem an den Menschen. Anders als für das kurzzeitig etwas überforderte Umfeld von Jannis, fiel es diesem selbst offenbar recht leicht, mit den damit verbundenen Veränderungen umzugehen.
„Es war schön und ganz anders, als ich erwartet hatte“, schildert Jannis die ersten sexuellen Begegnungen mit nunmehr Levi. „Für alle anderen Menschen war er eine junge Frau; zu mir sprach sein Körper Männersachen: die Bestimmtheit, die harten Hände, aber auch das plötzliche Nachgeben.“
Durch diese lakonische Unaufgeregtheit und den leichten, bisweilen auch selbstironischem Ton gelingt es Jasper Nicolaisen selbst tiefergehende Reflexionen und größere Herausforderungen so zu formulieren, dass der erzählerische Fluss und der Unterhaltungswert seines Romans nicht darunter leiden. Am Ende wird vielleicht nicht jede_r Leser_in gleich einen unbändigen Kinderwunsch verspüren, aber doch über viele Dinge nachgedacht und großen Respekt vor (Pflege)-eltern entwickelt haben – seien sie nun queer oder nicht.
Jasper Nicolaisen: „Ein schönes Kleid. Roman über eine queere Familie“. Querverlag, 254 Seiten, broschiert, 14,90 Euro
Dieser Beitrag erschien zuerst im IWWIT-Blog.