Wenn die HIV-Medikamente versagen

Resistenzen sind eine Herausforderung für die Medizin und auch in puncto HIV ein Thema – bei der Behandlung wie auch bei der PrEP. Wir sprachen mit dem Virologen Martin Obermeier über die wichtigsten Fragen.

HIV-Medikamente verhindern, dass sich das Virus im Körper eines Infizierten weiter vermehren kann. Mit der Zeit aber können die Wirkstoffe ihre Wirksamkeit verlieren, und das Virus wird unempfindlich beziehungsweise resistent. In der modernen Dreifach-Kombinationstherapie, bei der mehrere Medikamente parallel eingesetzt werden, muss dieser resistente Bestandteil dann gegen einen anderen ausgetauscht werden.

Das HIV-Medikament Truvada – ein Kombinationspräparat mit den Wirkstoffen Tenofovir und Emtricitabin – kommt seit einiger Zeit auch zur Vorbeugung einer HIV-Infektion, als sogenannte Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP), zum Einsatz. Die Wirkstoffe hindern in dem Fall das Virus daran, sich überhaupt erst im Körper einzunisten.

Bisher sind drei Fälle bekannt, bei denen es trotz vorschriftsmäßig eingenommener PrEP zu einer HIV-Infektion gekommen ist – bei zweien offenbar, weil das übertragene Virus bereits gegen Tenofovir resistent war.

Wie bilden sich Resistenzen überhaupt? Und was bedeuten sie für die Sicherheit der PrEP? Darüber sprachen wir mit Dr. Martin Obermeier, Facharzt für Laboratoriumsmedizin am Medizinischen Infektiologiezentrum Berlin.

„Die Vermehrung der HI-Viren kann nie vollständig unterdrückt werden“

Herr Dr. Obermeier, wie können im Rahmen einer HIV-Behandlung Resistenzen gegen die eingesetzten Medikamente entstehen?

Wenn sich ein Virus repliziert, sich also vermehrt, kann es dabei immer wieder zu Mutationen kommen. Man muss sich das wie bei einem Zufallsgenerator vorstellen. Diese Fehlerrate ist beim HI-Virus besonders hoch. Manche dieser Veränderungen führen dazu, dass sich das Virus nicht mehr replizieren kann, und es verschwindet einfach. Andere dieser neuen Varianten des Virus sind gegen bestimmte Medikamente resistent. Das Medikament kann also nicht mehr, wie eigentlich gedacht, das Virus daran hindern, sich weiter zu vermehren.

… und die Viruslast steigt. Doch warum kommt es überhaupt zu einer weiteren Virusvermehrung und damit zu möglichen Mutationen, wenn die HIV-Medikamente diese Replikationen doch eigentlich verhindern?

Auch wenn wir gute Medikamente einsetzen und die Vermehrung der Viren fast gänzlich unterrücken – zu 100 Prozent ist das nie zu schaffen. Wenn die Medikamente nicht regelmäßig genommen werden, wachsen zudem die Chancen des Virus, eine Lücke zu finden, um sich weiter zu vermehren und dabei zu verändern.

Das Virus versucht natürlich immer, an der Schranke, die die Medikamente bilden, vorbeizukommen. Das ist ein ganz normales evolutionstechnisches Prinzip. Die Kombinationstherapie erschwert es dem Virus allerdings enorm, diese Lücke zu finden.

„Resistenzen werden meist mit dem Virus weitergegeben“

Wie häufig stellen Sie bei Ihren Laboruntersuchungen Resistenzen fest?

Innerhalb einer Therapie entstandene Resistenzen kommen kaum noch vor. Die Zahl der übertragenen Mutationsresistenzen jedoch liegt weitaus höher – diese sind mittlerweile das viel relevantere Problem für Patienten und Ärzte, denn dadurch wird die Auswahl der Medikamente von Beginn an eingeschränkt.

Was muss man sich unter übertragenen Resistenzen vorstellen? Bei einer Infektion mit HIV wird eine Virusform weitergegeben, die bereits gegen bestimmte Wirkstoffe resistent ist?

Genau. Ein Patient hat möglicherweise jemand anderen in einer Situation infiziert, nachdem er selbst gerade eine Resistenz aufgrund eines Therapieversagens entwickelt hatte – zum Beispiel, weil die Einnahme der Medikamente unterbrochen oder abgebrochen wurde. Der frisch Infizierte weiß meist nicht gleich von der Infektion, und je nachdem wie promisk und in welchen Gruppen er sexuell aktiv ist, überträgt er das resistente Virus möglicherweise schnell weiter.

Eine Unterbrechung der Therapie kann also zu einem Therapieversagen, das heißt einer Resistenz führen?

Eine Therapie kann natürlich auch gezielt unterbrochen werden. Dann muss dafür gesorgt werden, dass der Medikamentenspiegel gleichmäßig abgesenkt wird. Problematisch ist, wenn die Medikamente abrupt und ohne ärztliche Begleitung abgesetzt werden. Auch wer seine Tabletten nur unregelmäßig einnimmt, kann dadurch Resistenzen befördern. Das ist je nach Medikament unterschiedlich.

Könnte sich eine bereits HIV-positive Person zusätzlich noch mit einer resistenten Virusvariante infizieren?

Theoretisch ja, praktisch ist diese sogenannte Superinfektion aber nicht relevant. HIV schützt sich nämlich auch selbst gegen Konkurrenten. Zudem schützt hier die aus mehreren Medikamenten kombinierte Therapie.

Wäre es unter den derzeitigen Rahmenbedingungen denkbar, dass Resistenzen mittelfristig zunehmen und sich weiter ausbreiten?

Momentan sehen wir keine echte Zunahme von Resistenzen im Verlauf einer Therapie. Das liegt daran, dass wir viel Erfahrung in der Behandlung haben und die Medikamente inzwischen wesentlich verträglicher sind. Wir können also die Therapie früher starten, und für den Fall einer Resistenz stehen immer Ausweich-Medikamente zur Verfügung.

„Therapie-Monokulturen sind immer problematisch“

Truvada kommt mittlerweile nicht nur bei der HIV-Behandlung, sondern auch bei der PrEP und bei der PEP, der Post-Expositions-Prophylaxe, zum Einsatz. Birgt die breite Verwendung nicht auch Gefahren?

Therapie-Monokulturen sind tatsächlich immer problematisch. Ein trauriges Beispiel aus der Bakteriologie sind Harnwegsinfekte. Diese wurden über lange Zeit fast ausschließlich mit dem Antibiotikum Ciprofloxacin behandelt, mit der Folge, dass bald 80 Prozent aller Harnwegserreger dagegen resistent waren. Man hat sich da eine Therapie selbst kaputt gemacht. Gonokokken werden aus demselben Grund nicht mehr allein mit der Antibiotika-Gruppe der Cephalosporine behandelt, sondern man ist mit den neuen Leitlinien zu einer Kombinationstherapie übergegangen.

Auch bei HIV haben wir die Folgen solcher Therapie-Monokulturen sehen können. In Großbritannien etwa wurde bei der Erstlinientherapie mit Atripla behandelt, und es kam dadurch verstärkt zu Resistenzen.

Es könnte also passieren, dass Truvada das Schicksal von Ciprofloxacin ereilt?

Truvada wäre dann für die PrEP nicht mehr geeignet, und der Spielraum der zur Verfügung stehenden HIV-Medikamente würde sich entsprechend einengen. Ob und wann dieser Zeitpunkt kommen könnte – ob in 20 oder 200 Jahren – wird niemand vorhersagen können. Wir müssen uns jedoch im Klaren sein, dass wir HIV-Patienten noch einige Jahrzehnte behandeln müssen. Die Heilung von HIV ist ein tolles Ziel, aber ich bin noch skeptisch, dass wir hier einen schnellen Erfolg erleben werden.

Derzeit gibt es drei dokumentierte Fälle, bei denen PrEP-User sich mit HIV infizierten, obwohl sie die Medikamente vorschriftsmäßig eingenommen hatten. Wird es bei diesen seltenen Einzelfällen bleiben?

Es müssen in der Tat sehr viele Dinge zusammenkommen, damit es zu einem solchen Durchbruch des Virus kommen kann. Die Wahrscheinlichkeit ist so gering, dass sie sich wohl nur schwer berechnen lässt. Deshalb ist die geringe Zahl der HIV-Durchbrüche unter PrEP wie erwartet niedrig.

Wenn eine Gefahr besteht, dann sind es übertragene Resistenzen. Jemand mit einem resistenten HI-Virus infiziert den PrEP-Nutzer. Wenn das Kontrollraster dann nicht eng genug ist, kann dieser PrEP-Nutzer andere mit dem resistenten Virus infizieren, unabhängig davon, ob die Personen selbst die PrEP nehmen oder nicht. Wobei wir hier ganz ehrlich sein müssen. Bislang fehlt uns die Erfahrung, wie eine HIV-Konversion, also die Entwicklung von Antikörpern gegen HIV, unter PrEP vonstattengeht. Denn bislang haben wir eben nur ganz wenige Fälle. Wir wissen also noch nicht, nach wie vielen Wochen das Virus im Blut tatsächlich auch entdeckt wird.

„Die PrEP gehört in die Hände von Spezialisten“

Was müsste Ihrer Ansicht nach also getan werden?

Es ist vor allem wichtig, dass sich die Leute die PrEP nicht im Internet besorgen und auf eigene Faust durchführen. Die Prä-Expositions-Prophylaxe gehört in die Hände von Spezialisten, die auch regelmäßige Untersuchungen sicherstellen, sodass die wenigen, die sich trotz PrEP infizieren, entdeckt und dann auch behandelt werden können. Auch mit einer Tenofovir-Resistenz finden sich Möglichkeiten, die HIV-Infektion in den Griff zu bekommen.

Welches Szenario wäre im schlimmsten Fall vorstellbar?

Wenn es erst einmal einen Pool von Menschen gibt, die diese resistenten Viren immer wieder unentdeckt weitertragen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis nur noch diese Viren weiterverbreitet werden – vor allem innerhalb der Gruppen mit hohem HIV-Risiko, die wir ja gerade mit der PrEP schützen wollen. Theoretisch wäre ein Szenario denkbar, in dem aufgrund der PrEP und der weitgehenden Behandlung aller HIV-Infizierten eigentlich nur noch Tenofovir-resistente Viren übertragen werden.

Wir müssen aber auch realistisch bleiben und nicht unnötig ängstlich werden. Solch eine Situation entwickelt sich nicht über Nacht, sondern benötigt einen längeren Zeitraum. Das Risiko ist also nicht hoch und lässt sich durch regelmäßige ärztliche Kontrollen reduzieren.

„Der Nutzen, den wir aus der PrEP ziehen können, ist unbestritten“

Diese drei Fälle einer HIV-Infektion unter PrEP haben dennoch für Verunsicherung gesorgt. Ist die PrEP also doch nicht so sicher wie bisher angenommen?

Wir müssen uns darüber klar sein, dass auch mit der PrEP das Infektionsrisiko niemals auf null gefahren werden kann. Es bleibt ein minimales Restrisiko. Das aber können wir noch weiter reduzieren, indem wir die Präventionsstrategien weiterentwickeln. Denn der Nutzen, den wir aus der PrEP ziehen können, ist unbestritten. Nicht jeder schwule Mann braucht eine PrEP, und wer die PrEP macht, wird sie – anders als eine HIV-Therapie – nicht lebenslang, sondern zumeist nur über eine bestimmte Phase im Leben benötigen.

Die PrEP ist also beispielsweise etwas für Männer, die häufiger ungeschützten Sex mit verschiedenen Männern haben?

Sollte die PrEP in einer geeigneten Form vom Gesundheitssystem zur Verfügung gestellt werden, ja. Es macht keinen Sinn, dass die PrEP nicht bezahlt wird und die Leute die Medikamente deshalb übers Internet beziehen. Das ist nicht zielführend. Angesichts der stagnierenden und keineswegs sinkenden HIV-Neuinfektionszahlen brauchen wir neue Präventionsstrategien, und hierfür ist die PrEP ein wichtiger Baustein. Doch wenn wir die PrEP nicht in der Gesamtprävention berücksichtigen, machen wir uns dieses wichtige Präventionsinstrument womöglich über kurz oder lang kaputt.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Weitere Informationen:

„Dritter Fall einer HIV-Infektion unter funktionierender PrEP“, Meldung auf aidshilfe.de vom 17. Februar 2017

„Zweiter Fall einer HIV-Infektion unter PrEP dokumentiert“, Meldung auf aidshilfe.de vom 19. Oktober 2016

„HIV-Infektion trotz PrEP: Interview mit ‚Joe‘“, Beitrag auf magazin.hiv vom 15. März 2017