Menschen mit HIV in erfolgreicher antiretroviraler Therapie können HIV sexuell nicht weitergeben. Manche Polizist_innen sehen in ihnen aber potenzielle Straftäter_innen – und speichern ihre Daten. Diese HIV-Kriminalisierung ist kein Einzelfall
Ein junger Mann mit HIV wird nach einem One-Night-Stand von seinem Sexualpartner angezeigt, weil er nicht auf seine Infektion hingewiesen und keine Kondome verwendet hat. Der Beklagte nimmt sich einen Anwalt. Dieser erklärt in einem Blogbeitrag, sein Mandant gehe „verantwortungsvoll mit seiner HIV-Infektion um; er nimmt Medikamente, und seine Viruslast ist nachweislich dauerhaft unter der Nachweisgrenze.“
Aus diesem Grunde konnte nicht zu einer Infektion des Sexpartners kommen. Das Strafverfahren wird von der Staatsanwaltschaft eingestellt.
Düsseldorfer Polizei sieht „geringe Hemmschwelle“
Die Düsseldorfer Polizei allerdings lehnt den Antrag des jungen Mannes ab, die dazu angelegte Kriminalakte zu löschen. Die Begründung: Im konkreten Fall sei es zwar nicht zu einer Infektion gekommen, aber „schon aufgrund des jungen Alters des Antragstellers und der offenbarten geringen Hemmschwelle“ sei zu erwarten, dass er „auch zukünftig“ verantwortungslos mit seiner HIV-Infektion umgehen werde.
Laut Anwalt hat der mit der Sache befasste Kriminalhauptkommissar gegenüber dem Datenschutzbeauftragten der Polizei sogar weitergehende Maßnahmen wie eine erkennungsdienstliche Behandlung oder die Gewinnung einer DNA-Probe angeregt, um die Aufklärung „künftiger Straftaten“ sicherzustellen.
Auf Nachfrage der Deutschen AIDS-Hilfe verteidigt der Düsseldorfer Polizeipräsident Norbert Wesseler das Vorgehen seiner Behörde. Es sei deren Pflicht, „Vorkehrungen zur Vermeidung von Infektionen zu treffen und Anleitungen zum Verhalten nach einer möglichen Infektion zu geben.“
Entsprechende Informationen über Menschen mit HIV (oder Hepatitis B/C) können dazu als sogenannter personenbezogener Hinweis mit dem Kürzel ANST für „Ansteckungsgefahr“ zum Schutz des Betroffenen und der Eigensicherung von Polizeibediensteten gespeichert werden, zusammen mit kriminalpolizeilichen Unterlagen.
Die Deutsche AIDS-Hilfe protestiert bereits seit Jahren gegen diese kontraproduktive und stigmatisierende Praxis. Der Nationale AIDS-Beirat empfahl in einem im April 2016 veröffentlichten Votum, die Speicherung von Angaben zu Infektionen mit HIV sowie Hepatitis B und C in polizeilichen Datenbanken zu beenden.
Auch Datenschützer_innen und Politiker_innen verschiedener Parteien haben mehrfach ein Ende dieser Speicherpraxis gefordert. Berlin hat angekündigt, die Regelung abzuschaffen.
Teilerfolg gegen Kriminalisierung – mit fadem Beigeschmack
Gegen die fortdauernde Speicherung der Informationen über seine HIV-Infektion hat der Betroffene beim Verwaltungsgericht Düsseldorf geklagt. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen, das Gericht hat aber mittlerweile die Polizei aufgefordert, die Kriminalakte zu löschen.
Dem Kläger sei nicht zu widerlegen, dass er „selbst daran glaubt, dass die antiretrovirale Therapie, der er sich […] unterzieht, einen der Verwendung von Kondomen gleichwertigen Infektionsschutz“ biete. Damit fehle es an einem Vorsatz für ein versuchtes Körperverletzungsdelikt.
Das ist ein Teilerfolg, allerdings mit fadem Beigeschmack, denn das Verwaltungsgericht selbst bezieht sich nicht auf die wissenschaftlich nachweisbare Wirksamkeit von „Schutz durch Therapie“. Auch Polizeipräsident Wesseler vermeidet in seinem Antwortschreiben, auf die faktisch fehlende Infektionsgefahr einzugehen.
„Schutz durch Therapie“ ist kein Glaube, sondern Tatsache
Dass die Polizei den jungen Mann unter Generalverdacht stellt, ist für Heike Gronski, DAH-Referentin für „Leben mit HIV“, bislang einzigartig. Dabei werde ein grundsätzliches Problem deutlich. „Oftmals verfügen Polizei und andere Behörden wie auch die Gerichte nicht über die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse oder zweifeln diese an“, erklärt sie. „Der Beklagte glaubt nicht nur, dass er unter Therapie nicht infektiös ist, sondern dies ist eine vielfach belegte Tatsache. Dies muss auch vor Gericht und bei der Polizei endlich flächendeckend anerkannt werden.“
Dabei kann die Justiz in Sachen HIV und Schutz durch Therapie durchaus lernfähig sein. Dies zeigte im April das Kölner Amtsgericht im Fall eines 42-Jährigen, der zwei Sexualpartnerinnen erst nach dem Sex über seine HIV-Infektion informiert hatte. Der vorsitzende Richter sprach den Beklagten vom Vorwurf der versuchten gefährlichen Körperverletzung frei: Aufgrund seiner erfolgreichen HIV-Therapie habe zu keinem Zeitpunkt ein Infektionsrisiko bestanden.
Weiterführende Beiträge und Informationen:
Blogbeitrag des Anwalts Jasper Prigge
Die wichtigsten Informationen zum Schutz durch Therapie: www.aidshilfe.de/schutz-therapie
DAH-Dossier „HIV und Kriminalisierung“
Artikel zum Freispruch des Kölner Amtsgerichtes (aidshilfe.de)