Leben mit einer chronischen Lungenerkrankung ist mitunter Schwerarbeit. Deshalb ist die Krankheitsverarbeitung ein wichtiges Thema. Krankheitsverlauf und Krankheitsverarbeitung beeinflussen sich wechselseitig. Einerseits wirken sich chronische Krankheiten mit langwierigen und schwierigen Verläufen vielfältig auf das körperliche, psychische und soziale Leben der Patienten aus. Andererseits beeinflußt die Art und Weise, wie Patienten ihre Krankheit annehmen und verarbeiten, wiederum den Verlauf und die Lebensqualität.
Was bedeutet Coping?
Coping (Krankheitsverarbeitung, Krankheitsbewältigung) bezeichnet das Bemühen, gegenwärtige oder vorweggenomme (zukünftige) Belastungen durch die Krankheit zu meistern. Der Begriff Coping leitet sich ab vom englischen „to cope“ = fertig werden mit etwas.
Coping-Strategien können sich orientieren an:
- Gefühlen (emotional)
- Gedanken (kognitiv)
- Handlungen (behavioral)
Coping ist ein Prozess, der sich sowohl zeitlich als auch inhaltlich wandeln und entfalten kann.
Beispiele für aktive und passive Coping-Strategien bei chronischen Lungenerkrankungen:
Aktiv
- Kognitive Verarbeitung und Neubewertung: „Ich denke seit meiner letzten Exazerbation darüber nach, wie ich jeden Tag ein bißchen fitter werden kann, um das zu tun, was mir wirklich wichtig ist, z. B. etwas mit meinen Enkeln zu unternehmen.“
- Aktives Akzeptieren: „Ich bemühe mich, die Abhängigkeit vom Sauerstoffgerät so gut ich kann zu ertragen.“
- Emotionale Entlastung: „Ich weine schon mal, wenn mir danach ist – anstatt immer nur die Starke zu spielen.“
- Unterstützung suchen: „Ich spreche mit Freunden über meine COPD, um mich auszutauschen.“
- Informationssuche: „Ich bitte in der Selbsthilfegruppe um Tips oder frage beim Arztbesuch genau nach – z. B. nach Therapiemethoden.“
- Sinnsuche/Religiosität: „Ich versuche, trotz allem den Glauben an das Gute zu bewahren. Manchmal bete ich für mein Wohlbefinden.“
- Ablenkung: „Ich unternehme in meinen guten Stunden etwas, um nicht zu viel zu grübeln.“
Passiv
- Fatalistisches Akzeptieren: „Mein BODE-Index ist so hoch – da kann man sowieso nichts mehr machen.“
- Grübeln: „Ich denke pausenlos darüber nach, was passiert, wenn die Atemnot wieder schlimmer wird.“
- Selbstbeschuldigung: „Ich habe geraucht – also hab ich nichts Besseres verdient.“
- Bagatellisierung: „Alles halb so schlimm – das ist nur mein Raucherhusten!“
- Sozialer Rückzug: „Seit ich Sauerstoff brauche, gehe ich anderen Menschen aus dem Weg.“
- Vermeidung: „Bei Belastung bekomme ich rasch Atemnot – deshalb bleibe ich lieber zuhause auf dem Sofa.“
Welche Coping-Strategien sind bei chronischen Lungenerkrankungen hilfreich?
Studien leben nahe, daß für Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen eine problemorientierte und aktive Auseinandersetzung mit der Krankheit günstiger für den Verlauf ist als passive, vermeidende oder verleugnende Verarbeitungs-Strategien.
An dieser Stelle kommt die Psychopneumologie ins Spiel:
- Sie ermittelt die Verarbeitungsphase, in der sich der Patient befindet.
- Sie untersucht den Coping-Stil des Patienten.
- Sie macht gezielte Angebote zur Unterstützung der Krankheitsverarbeitung.
Coping-Phasen als „Roter Faden“ der Krankheitsbewältigung
Verarbeitungsphasen sind kein Fahrplan durch eine chronische Krankheit. Sie folgen in der Regel nicht schrittweise aufeinander, sondern zeigen für jeden Patienten individuelle Abfolgen. Eine chronische Krankheit ist nie endgültig „bewältigt“. Dennoch lassen sich typische Verarbeitungsphasen beschreiben (zum Beispiel wie im Modell von Schuchardt):
Was ist eigentlich los..? –> Ungewißheit
Ja, aber das kann doch nicht sein…? –> Gewißheit
Warum gerade ich…? –> Aggression
Wenn…, dann muß aber …! –> Verhandlung
Wozu… alles ist sinnlos…! –> Depression
Ich erkenne jetzt erst … –> Annahme
Ich tue jetzt das … –> Aktivität
Wir handeln gemeinsam … –> Solidarität
Im Gespräch mit dem Patienten können die Aufgaben der jeweiligen Phase ermittelt und die geeigneten Verarbeitungsstrategien ausgewählt werden.
Coping-Stile als Werkzeuge der Krankheitsverarbeitung
Der Coping-Stil kann anhand eines Fragebogens bestimmt werden. Mit dem COPE-Test lassen sich beispielsweise folgende Verarbeitungs-Stile erfassen:
- Ablenkung
- Verleugnung
- Emotionale Unterstützung durch andere
- Sozialer Rückzug
- Positive Umdeutung
- Humor (ganz wichtig!)
- Aktive Bewältigung
- Alkohol / Drogen
- Aktive Unterstützung durch andere
- Ausleben von Gefühlen
- Planung
- Akzeptanz
- Selbstbeschuldigung
- Sinnsuche / Religion
Im Gespräch mit dem Patienten können die Vor- und Nachteile des ermittelten Coping-Stils erörtert werden. Ungünstige Verarbeitungs-Strategien („Werkzeuge“) können angepaßt oder durch geeignete ersetzt werden.
Coping-Strategien zwischen Assimilation und Akkomodation
Assimilation bedeutet, das eigene Verhalten absichtlich, bewußt und kontrolliert zu ändern, um bestimmte Ziele und Vorstellungen beizubehalten. So kann ein Patient beispielsweise am Lungensport teilnehmen, um etwas gegen den Konditionsabbau zu tun. Oder Hilfsmittel (z. B. einen Rollator) einsetzen, um seine Mobilität zu erhalten.
Vor allem beim Fortschreiten der Krankheit sind Änderungen der persönlichen Ziele notwendig. So bedeutet das Akzeptieren einer Behandlungsmaßnahme, wie beispielsweise Langzeit-Sauerstofftherapie, für viele Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen die Aufgabe eines bestimmten Selbstbildes von Stärke, Unabhängigkeit und gesundem Aussehen. Gleichzeitig ermöglicht diese Akkomodation den Patienten mehr Wohlbefinden und Leistungsvermögen.
Im Gespräch mit den Patienten ist es wichtig, weder Assimilation noch Akkomodation absolut zu setzen. Es kommt darauf an, welche Form für die jeweilige Krankheitssituation erfolgversprechender ist. Häufig ist sogar erst die Kombination beider Coping-Strategien wirksam.
Wie unterstützt die Psychopneumologie konkret das Coping?
Zunächst einmal gilt der Grundsatz: Es gibt kein falsches Coping – allenfalls ungünstiges! Auf dieser Grundlage können folgende Aspekte gemeinsam mit dem Patienten beleuchtet werden:
- Was sind meine bisherigen gewohnten Bewältigungs-Strategien (bei Atemnot oder Erschöpfung oder Stimmungstief oder …)?
- Was hat mir früher geholfen, Krisen durchzustehen?
- Welche Strategien habe ich bei aktuellen kritischen Situation bereits eingesetzt?
- Welche Strategien haben sich (bei Atemnot oder bei Fatigue oder bei Schlaflosigkeit, etc…) als brauchbar erwiesen – welche als ungeeignet?
- Wo liegen meine wichtigsten inneren und äußeren Kraftquellen?
- Wie kann ich (zeitweise) Abstand zu meinen Problemen gewinnen, um Kraft für die weitere Bewältigung zu sammeln?
- Wie kann ich meine Coping-Strategien anpassen (z. b. aktiv bleiben – aber mit Pausen)?
- Welche neuen Coping-Strategien möchte ich erproben (Handlungsplan bei Atemnot, Ängste und Befürchtungen bei Behandlern offen aussprechen, etc…)?
In der Praxis geht es darum, mit dem Patienten festzustellen, was für ihn in seiner aktuellen Krankheitssituation hilfreich ist. Wichtig ist es, den Patienten zu unterstützen und zum eigenständigen Handeln zu befähigen und nicht einer abstrakten Vorstellung von „richtigem“ Coping zu folgen – das gibt es nämlich nicht.
Mit herzlichen Grüßen von Monika Tempel [Sauerstoff und Sinn] www.monikatempel.de