Leben mit Drogen: Edo, Jakarta, Indonesien

Der Film „Ein Tag im Leben“ gibt einen Einblick in das Leben von acht Menschen, die Drogen gebrauchen, aus sieben Ländern der Welt, vom Morgen bis in die Nacht. Wir haben ihre Geschichten aufgeschrieben

Alle Protagonist_innen des Films gebrauchen Drogen, aber sie definieren sich nicht darüber. Sie alle sind einzigartige Persönlichkeiten, haben ihre eigenen Geschichten und ihre eigenen sozialen Netzwerke. Das Umfeld, in dem sie leben, die Haltungen ihnen gegenüber, die Gesetze rund um den Drogenkonsum und die Gesundheitsdienste, die ihnen zur Verfügung stehen, haben einen enormen Einfluss auf ihr Leben.

Drogengebraucher_innen werden an den Rand gedrängt

Der Film wurde von Menschen produziert, die selbst auch Drogen gebrauchen. Er will Mythen und Vorurteile gegenüber Drogen und Drogengebraucher_innen abbauen. Er gibt jenen eine Stimme, die zu den am stärksten an den Rand gedrängten Gruppen der Welt gehören, damit sie ihre bislang nicht erzählten Geschichten über Liebe, Hass, Leiden und auch Glück erzählen können. Er zeigt, wie sie sich sozial und politisch engagieren, um das Schweigen zu brechen und die Stigmatisierung zu bekämpfen, die tiefe Schatten auf ihr Leben wirft.

Mein Name ist Edo, ich bin alleinerziehender Vater von zwei Söhnen im Teenager-Alter.

Derzeit bin ich als nationaler Koordinator für PKNI tätig, das indonesische Netzwerk für Drogenkonsumenten, das in Jakarta seinen Sitz hat.

„Am Anfang nahmen wir Drogen nur, um Spaß zu haben“

Ich bin in einer harmonischen Familie aufgewachsen, zusammen mit zwei Schwestern. Meine Eltern haben beide gearbeitet. Ich hatte eine glückliche Kindheit, ich kam mit meiner Familie zurecht, ich war ein guter Student mit ausgezeichneten Noten, ich war locker drauf und hatte viele Freunde. Als ich die Oberschule fertig hatte, ging ich an eine staatliche Universität, wo ich Mathematik und Naturwissenschaften als Hauptfächer studierte.

Meine erste Begegnung mit illegalen Drogen hatte ich mit 15 Jahren. Damals nahmen meine Freunde und ich Drogen nur, um Spaß zu haben. Ich nahm dann weiterhin Drogen zur Entspannung, bis ich 17 war und mit Heroin in Kontakt kam.

Als ich das erste Mal Heroin nahm, hatte ich keine Ahnung, was wir da nahmen. Wir machten einfach nur den neuesten Trend von damals mit. Wir wussten nicht, was für Drogen wir da nahmen und welche Wirkungen sie haben würden.

In den folgenden paar Jahren konsumierte ich immer häufiger Heroin, und irgendwann spritzte ich es täglich.

Mein Vater starb, als ich 20 Jahre alt war. Ich musste arbeiten, um weiter studieren zu können und zugleich meinen Heroinbedarf zu decken. Das ging so, bis ich meinen Universitätsabschluss machte.

Während dieser Zeit wurde ich viele Male festgenommen, und in der Regel musste dann meine Mutter zahlen, um mich wieder aus dem Gefängnis zu holen.

Die indonesische Polizei verletzt die Menschenrechte – gedeckt von der Regierung

Anfang 2007 wurde ich wieder verhaftet. Dieses Mal brachte mich die Polizei zu einem verlassenen Friedhof. In einer Ecke des Friedhofs stand ein leeres Haus, und dort brachten sie mich hin.

Die Polizisten hängten mich kopfüber an der Decke auf und fingen an, mit Rattan auf meine Fußsohlen einzuprügeln, damit ich ihnen die Namen von Drogendealern verrate. Irgendwann konnte ich es nicht mehr aushalten, und schließlich sagte ich den Polizisten, sie sollten mich einfach erschießen.

Stattdessen nahmen sie Kleingeld aus meiner Tasche und kauften Klebeband, um mir die Augen zu verbinden und die Hände zu fesseln. Mit verbundenen Augen wurde ich in ein Auto gesetzt und irgendwohin gefahren. Plötzlich hielt der Wagen an, sie warfen mich aus dem Auto und schossen mir ins Bein. Mein Knochen war gebrochen, und als sie mich in Polizeigewahrsam nahmen, konnte ich nicht laufen und verlor schließlich das Bewusstsein.

„Die Behandlung von Drogengebraucher_innen muss freiwillig geschehen“

Die Polizei erzählte den Medien, dass ich vor der Polizei weggelaufen sei und ihnen keine andere Wahl gelassen hätte, als zu schießen. Bis heute habe ich noch immer Splitter in meinem Bein.

2015 hat Indonesien 14 Menschen wegen Drogenvergehen hingerichtet. Die Strafen für Drogenvergehen in Indonesien sind unverhältnismäßig hart. Wenn man mit einer geringen Menge für den privaten Konsum erwischt wird, gibt es eine Mindeststrafe von vier Jahren Gefängnis.

Derzeit machen Menschen, die wegen Drogendelikten verurteilt wurden, fast 40 % aller Häftlinge in Indonesien aus. 2016 wollte die indonesische Regierung 200.000 Drogenkonsument_innen rehabilitieren, und zwar durch die Pflicht, sich selbst anzuzeigen und eine Drogentherapie zu machen.

Viele neue Drogenbehandlungszentren wurden gegründet, um die Vorgaben der Regierung zu erreichen … Aber in der Praxis weiß die Mehrheit dieser Zentren nicht, wie man Drogenkonsument_innen auf evidenzbasierte Art und Weise behandelt.

In einigen Zentren werden Drogenkonsument_innen angekettet, andere setzen kochendes Wasser, Schläge und andere „unorthodoxe“ Behandlungsmethoden ein. Diese Methoden verstoßen gegen die grundlegenden Menschenrechte. Die Regierung lässt systematische Menschenrechtsverletzungen zu und deckt sie.

Auch wer Drogen nimmt, kann zur Gesellschaft beitragen

Ich lehne die Verpflichtung zur Selbstanzeige des Drogenkonsums und die Zwangsrehabilitation total ab. Die Behandlung von Drogengebraucher_innen muss freiwillig geschehen.

Meine Freunde und ich beschlossen, eine Peer-Selbsthilfegruppe für Drogenkonsument_innen zu gründen, um Leuten mit problematischem Drogenkonsum oder jenen, die verhaftet wurden, Rechtshilfe zu bieten. Unsere lokale Organisation ist der PKNI beigetreten, einer Vereinigung von Organisationen von Drogenkonsument_innen, die sich überall im Land selbst organisiert haben. 2010 wurde ich auf der Mitgliederversammlung zum nationalen Koordinator gewählt.

PKNI ist ein Netzwerk von Organisationen von Leuten in Indonesien, die Drogen nehmen und sich für eine Reform der Drogenpolitik stark machen, welche auf einem humanen, evidenzbasierten, gesundheitszentrierten Ansatz basiert und die Menschenrechte von Drogenkonsumenten respektiert. Keine Politik, die auf Ideologie und Moral basiert, die Fälle danach beurteilt, was die Regierung für richtig und falsch hält.

Wir vertreten die Ansicht, dass Leute, die Drogen nehmen, mit anderen zusammenleben können. Wir können einen Beitrag zur Gesellschaft leisten und wir können produktiv sein.

„Wir sind Teil der Lösung, nicht Teil des Problems“

Durch mein Engagement bei PKNI in den letzten sechs Jahren hat sich mein Leben stark verändert, die Art und Weise, wie meine Freunde und ich nun unseren eigenen Wert sehen und unsere Potenziale verwirklichen.

Wir werden systematisch stigmatisiert und diskriminiert, von der Gesellschaft und der Regierung. Wir antworten darauf, indem wir versuchen, unsere Existenz in der Gesellschaft unter Beweis zu stellen. Meine Freund_innen und Kolleg_innen bei PKNI sind meine Familie.

Zurzeit macht mir die indonesische Politik der Zwangs-Urintests große Sorgen mit Blick auf die Sicherheit des nationalen PKNI-Sekretariats, denn es gibt mehrere PKNI-Angestellte, die öffentlich ihren Drogenkonsum zugeben, und wenn die Strafverfolgungsbehörden sie zu Urintests zwingen, will ich mir nicht vorstellen, was mit unseren Kolleg_innen passiert.

Indonesien hat vor Kurzem Negativschlagzeilen gemacht, als der Vorsitzende der Kommission für Betäubungsmittel ankündigte, Gefangene, die wegen Drogendelikten verhaftet wurden, auf einer abgelegenen Insel zu isolieren, bewacht von Piranhas und Krokodilen. Seine Begründung war, dass die Leute nicht aus diesem abgelegenen Inselgefängnis entkommen könnten. Außerdem schlug er vor, Drogenhändler zu bestrafen, indem man sie zwingt, ihre eigenen Drogen zu essen, bis sie sterben. Auch hier ist seine Botschaft sehr unmenschlich.

Strafen, Verbote und Verfolgung richten mehr Schaden an als die Drogen

Vor einigen Monaten fing die Polizei mit intensiven Straßenrazzien an. Wer Widerstand leistet, dem droht die Vernichtung. So schlug der Vorsitzende der nationalen Betäubungsmittelkommission kürzlich vor, das Militär solle Drogenhändler auf der Straße erschießen, um den Leuten „eine Lehre zu erteilen“. Seiner Meinung nach ist dies keine Menschenrechtsverletzung. Gott wird das vergeben, sagt er.

Ein paar Tage nach den Razzien wurden zwei Leute, die ich kenne, von der Polizei auf der Straße erschossen, weil sie Widerstand geleistet haben sollen. Drei von ihnen wurde in die Brust geschossen, als eine Art öffentlicher Hinrichtung auf der Straße. Man hat dies getan, um die Botschaft zu senden, dass Widerstand mit der Vernichtung endet.

Die meisten Drogenkonsumenten nehmen nur ab und zu Drogen zur Entspannung. Strafen und Verbote können mehr Schaden anrichten als die Drogen, die sie nehmen. Ich stelle fest: Um unsere Ziele zu erreichen, dass Drogenkonsument_innen nicht kriminalisiert werden und dass unser Land ihre Menschenrechte akzeptiert und respektiert – das ist ein großer Traum, der sehr große Anstrengungen erfordert.

Unser Hauptziel ist das Eintreten für eine menschlichere Drogenpolitik, die auf wissenschaftlicher Evidenz basiert. Wir sind Teil der Lösung, nicht Teil des Problems.