Mein Leben mit einer neuen Leber

Chronische Hepatitis C kann zum Verlust der Leberfunktion und zu Leberkrebs führen. Eine Leber-Transplantation ist dann oft die einzige Rettung. Claudia Schieren hat uns ihre Geschichte erzählt*

Schon viele Jahre war mir bekannt, dass ich eine behandlungsbedürftige Hepatitis C habe. Als meine Hep C irgendwann in den 90er-Jahren diagnostiziert wurde, war über diese Hepatitis und ihre Folgen noch nicht viel bekannt, deshalb hat mich die ganze Situation nicht weiter belastet.

Zwölf Monate Interferon – nein danke!

Nach circa zehn Jahren mit der Infektion ließ ich regelmäßige Untersuchungen vornehmen – mit dem Ergebnis eines geringen Fibrosegrades, der eine Behandlung nicht zwingend erforderlich machte. [Anm. d. Red.: Der Fibrosegrad gibt an, wie weit Lebergewebe durch Bindegewebe ersetzt wurde, und ist ein Maß dafür, wie stark die Funktionsfähigkeit der Leber eingeschränkt ist.]

Als dann der Hype um die Interferonbehandlungen begann und ich meinen Partner durch zwölf nebenwirkungsreiche Monate mit Fieber, Lungenentzündung und Krankenhausaufenthalten begleitete, entschied ich für mich: Das brauche ich nicht.

Ich begann mich intensiver mit alternativen Therapiemöglichkeiten auseinanderzusetzen. Und da die Ärzte immer der Meinung waren, dass es keine Eile gibt und ich auf die noch in Studien befindlichen neuen Medikamente warten sollte, ließ ich alles weiter schleifen und fand nie den richtigen Zeitpunkt.

Umzug, Arbeitsplatzwechsel, private Angelegenheiten, alles ging vor.

Die neuen Medikamente sind da – leider zu spät für mich

Im Frühjahr 2016 entschied ich mich, endlich mit einer interferonfreien Therapie zu beginnen. Dazu suchte ich die Uniklinik auf und ließ einen Fibroscan und eine Ultraschall-Untersuchung der Leber vornehmen. Ein sichtbarer Schatten machte eine MRT notwendig.

„Irgendwie funktionierst du einfach weiter“

Einige Tage nach der Untersuchung erhielt ich im Büro einen Anruf der Ärztin. Sie teilte mir auf Nachfrage mit, dass ich eine Leberzirrhose und einen Tumor hatte, der bereits innerhalb der Leber gestreut hatte. Eine Operation war aufgrund der Vielzahl der Krebstumoren nicht möglich. Die Transplantation war die einzige Chance, zu überleben.

Ich weiß heute nicht, wie ich von Köln nach Berlin gekommen bin, irgendwie funktionierst du einfach weiter. Nachdem ich den Befund mit meiner Familie besprochen und einigermaßen verdaut hatte, wurde ich in der Charité als für eine Transplantation tauglich eingestuft.

Neben der Organspende von einem toten Menschen besteht die Möglichkeit der Lebendspende. Da sich meine beiden erwachsenen Söhne bereit erklärt hatten, einen Teil ihrer Leber zu spenden, erfolgte eine mehrtägige Untersuchung in der Charité. Bei beiden ergaben die Untersuchungen, dass eine Spende nicht möglich war. Im Nachhinein bin ich sehr froh darüber, dass meine Kids die Risiken einer Operation und die körperlichen Strapazen nicht aushalten mussten.

Die Transplantationsliste und die Chance auf eine Leber

Die Ärzte teilten mir mit, dass ich auf die Tranplantationsliste gesetzt werde, die Chancen auf ein Spenderorgan jedoch relativ schlecht seien. Das Vergabeverfahren richtet sich nach dem sogenannten MELD-Score, der maximal 40 Punkte beträgt. Je schlechter die Leberfunktion, desto höher der Score. Meiner lag bei 6 Punkten. Ich war also einfach zu gesund, um eine Leber zu erhalten.

Es bot sich aber noch die Chance, ein sogenanntes marginales Organ zu erhalten. Dies sind minderwertige Organe, zum Beispiel beginnende Fettlebern oder Organe, die m,it Hepatitis-C-Viren (HCV) infiziert sind. Ich erklärte mich dazu bereit, auch ein solches Organ zu nehmen, und vertraute den Ärzten, die in so einem Fall auf Tauglichkeit entscheiden.

Der Tag der Transplantation – oder doch nicht?

Nur wenige Monate später, im November 2016, nachdem ich gerade von einem Treffen des JES-Bundesvorstands [Anm. d. Red.: JES steht für Junkies, Ehemalige, Substituierte] zurück war, kam der Anruf, morgens um 7.00 Uhr: „Wir haben ein Organ für Sie.“

Ich war in Panik und wusste nicht, was ich tun und denken soll. Soll ich mich freuen? Was passiert nach der Transplantation?

Mir ging es zu diesem Zeitpunkt hervorragend, ich hatte keine Beschwerden oder Einschränkungen. Würde ich die Operation überhaupt überleben? All diese Fragen, die ich bisher erfolgreich verdrängen konnte, gingen mir durch den Kopf. Mein Partner versuchte mich zu unterstützen und aufzubauen.

Ich wurde innerhalb von 30 Minuten mit dem Rettungswagen abgeholt und in die Charité gebracht. Erst im OP stellte man fest, dass das Spenderorgan nicht kompatibel war. Also ging es wieder nach Hause.

Ich war so froh darüber. Meine Angst ließ sich gar nicht in Worte fassen. Blutdruck und Puls jagten, ich zitterte, hatte regelrecht Panik.

„Ich wusste nicht, was ich tun und denken soll“

Der zweite Anruf kam im Februar 2017 während eines JES-Vorstandstreffens in Köln. Im Grunde genommen war ich genauso unvorbereitet wie beim ersten Anruf.

Kann man sich überhaupt auf so was vorbereiten? Ich anscheinend nicht. Aber – so bin ich am besten mit der ganzen Krankheitsgeschichte klargekommen.

Ich flog von Köln umgehend nach Berlin. Gott sei Dank war ich nicht alleine, mein Partner regelte die Formalitäten mit dem Fluganbieter und begleitete mich.

Zwei unerwartete Entzüge

In der Charité angekommen, war mir schnell klar, dass es diesmal zur Operation kommen würde. Das sagte mir mein „Bauchgefühl“.

Innerhalb von drei Stunden lag ich im OP. Acht Stunden später wurde ich auf der Intensivstation wach, mit einer neuen Leber und jeder Menge Schläuche, die in mich hinein- und aus mir herausführten. Angsterregend.

„Ich war praktisch einmal von innen gewaschen“

Die ersten Tage verbrachte ich ständig schlafend. Ich war gut abgedeckt mit Polamidon und Schmerzmitteln. Als die Schmerzmittel abgesetzt wurden, merkte ich aber sehr schnell, dass meine nicht gerade geringe Polamidondosis nicht ausreichte. Schließlich war meine Leber ausgetauscht worden, und die neue war total clean. Und die ganzen Blutkonserven, die während der OP in mich hineinliefen, enthielten ja ebenfalls kein Pola. Also war ich praktisch einmal von innen gewaschen.

Das machte sich in einem richtigen Affen bemerkbar, den ich schon viele, viele Jahre nicht mehr verspürt hatte. Ein Entzug so richtig mit Zittern, Gähnanfällen, Kotzerei und Blutdruck um die 200. Besonders übel, weil ich ja frisch operiert war und das ganze Krampfen tierisch in den Bauch ging.

Ich wurde höher dosiert, insgesamt auf 19 ml Polamidon, und es wurde besser. Ein zweiter Entzug ereilte mich zwei Wochen später, der Nikotinentzug. Ich konnte das erst mal gar nicht einordnen, und es stellte sich erst Besserung ein, nachdem ich ein Nikotinpflaster klebte.

Leben mit einem fremden Organ

Von da an ging es bergauf, nach 14 Tagen wurde ich entlassen. Das neue Organ funktioniert, die Blutwerte sind mittlerweile stabil und okay. Sie werden wöchentlich kontrolliert.

Viele Leute fragen: Wie ist es mit einem neuen Organ? Merkt man das, wie fühlt es sich an?

Ich merke es nicht und mache mir darüber auch wenig Gedanken. Ich merke lediglich, dass das Gefühl in meinem Bauch ein anderes ist als vorher, alles spannt und fühlt sich seltsam an. Bestimmte Nervenregionen sind taub, weil die Nerven beim Eingriff stark belastet und zerstört wurden. Aber laut ärztlicher Aussage wird sich das mit der Zeit regenerieren.

„Ich merke das neue Organ nicht“

Nach einigen Wochen zu Hause, in denen ich schon ein klein bisschen Kondition aufbauen konnte, fuhr ich zur stationären Reha, bei der die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit im Vordergrund stand. Fitnesstraining, Kondition, Entspannung, etc. Nach Einschätzung der Reha-Ärzte kann ich innerhalb eines halben Jahres wieder arbeiten.

Ich bin selbst erstaunt, wie gut ich die schwere OP verkraftet habe. Ich habe vom rasanten medizinischen Fortschritt und einem exzellenten Ärzte- und Pflegeteam in der Charité profitiert.

Nun, ein Jahr nach der Diagnose, freue ich mich darauf, bald wieder meine Arbeit aufnehmen zu können und meine Kolleg_innen wiederzusehen, die mir sehr fehlen.

 

*Der Beitrag erschien zuerst im Drogenkurier Nr. 110 vom Juni 2017. Wir danken der Autorin und der Redaktion für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung.