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Health-Apps: Lieblinge der Verbraucher, Schmuddelkinder des Gesundheitssystems
Sie sind in der Regel von zweifelhaftem Nutzen, nicht wissenschaftlich evaluiert, sie werden von Nichtmedizinern entwickelt, die in erster Linie wirtschaftliche Interessen verfolgen. Und trotzdem nutzt in Deutschland jeder dritte Smartphonenutzer diese Gesundheits-Apps (1). Warum greifen Patienten nach diesen Health-Apps, auch wenn sie kein Arzt oder Apotheker empfohlen hat, auch dann, wenn sie ganz offensichtlich ohne die erforderliche Zulassung als Medizinprodukte angeboten werden? Lässt sich das alleine mit der Neugier und dem Spieltrieb oder der Unbedarftheit ihrer Nutzer erklären? Ist das eine Übergangserscheinung, die ihren Reiz bald wieder verliert? Oder schließen diese Health-Apps als Missing Link vielleicht doch relevante Lücken im Gesundheitssystem, unter denen Verbrauchern und Patienten leiden?
Was ist mit den vielen Millionen chronischen Schmerzpatienten, Diabetikern und Blutdruckpatienten, die im Alltag auf sich selbst gestellt sind, die den Zeitdruck in den Praxen spüren, die langes Warten gewohnt sind, die immer wieder (wohlwollend) ermahnt werden, ihren Lebensstil zu ändern und die Therapieempfehlungen einzuhalten, mit der Umsetzung aber weitgehend auf sich selbst gestellt bleiben?
Wenn Betroffene auf eigene Faust in den App-Stores nach vermeintlich hilfreichen Unterstützungshilfen suchen (Schmerz-Apps, Diabetes-Apps, Blutdruck-Apps), wer kann es ihnen verdenken? Zum Orientierungsvakuum, das die gesundheitspolitischen Akteure jetzt in einer aktuellen Studie beklagen (2), haben diese selbst wesentlich beigetragen. Die wenigen App-Angebote von Behörden, Ministerien, der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung, der Krankenkassen, der medizinischen Fachgesellschaften, der Universitäten etc. sind im Dickicht der Health-Apps kaum auszumachen. In ihrer Beliebtheit bei Nutzern (Nutzerbewertung; erreichten Downloads) unterscheiden sie sich von Health-Apps anderer Anbietergruppen nicht grundsätzlich positiv (z. B. Vergissmeinnicht, Gesundheit Männer, SchmerzApp). Die meisten Apps der Behörden und Institutionen setzen wie die anderer Anbieter auch, offensichtlich auf den Vertrauensvorschuss ihrer Nutzer, denn aufgrund der Lücken in den Basisangaben können Verbraucher und Patienten die Vertrauenswürdikgeit der Angebote selbst kaum einschätzen.
Vielleicht kann der Siegeszug der Health-Apps als Aufforderung an das System verstanden werden, sich kritisch mit der derzeitigen Patientenorientierung und den Möglichkeiten der aktiven Patientenbeteiligung auseinanderzusetzen. Wie können Präventions- und Selbsthilfeprogramme im digitalen Zeitalter aussehen, um Betroffene zukünftig besser zu erreichen? Welche Unterstützung brauchen Patienten, um sich auf Augenhöhe mit Leistungserbringern und Kostenträgern auseinanderzusetzen und selbstbestimmt auch in Fragen ihrer Gesundheit entscheiden zu können?
Health-Apps als Bausteine sowohl in der Gesundheitsförderung und Prävention als auch in der Gesundheitsversorgung werden die Arzt-Patientenbeziehung ganz sicher verändern. Diese Veränderung kann Freiräume schaffen für eine neue Qualität in der Behandlung und in der Individualisierung der Prävention und Therapieführung. Im Zeitalter von Digital Health, das eine Flut an Informationsquellen und neuen Dienstleistungskonzepten zur Gesundheitsvorsorge und Krankheitsbewältigung hervorbringt, wird der Arzt des Vertrauens als Orientierungshilfe wichtiger denn je. Denn Patienten müssen Informationen einordnen und deren Relevanz beurteilen können, um sie in die partizipativ Entscheidungsfindung gemeinsam mit ihrem Arzt einzubeziehen.
- Bitkom 2016. https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Gemeinsame-Presseinfo-von-Bitkom-und-BMJV-Fast-ein-Drittel-nutzt-Fitness-Tracker.html
- CHARISMHA – Studie zu Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps. 25.04.2016. Beauftragt vom Bundesministerium für Gesundheit