Mit der Online-Kampagne „Vielfalt gegen rechte Einfalt“ positioniert sich die Deutsche AIDS-Hilfe anlässlich der Bundestagswahl klar gegen rechts und Populismus. Wir haben darüber mit unserem Vorstandsmitglied Manuel Izdebski gesprochen.
Sollten Verbände wie die DAH nicht politisch neutral sein? Warum ist es der DAH so wichtig, ein klares Zeichen gegen rechts zu setzen?
Unser Verband war immer schon politisch, aber eben nicht parteipolitisch. Unsere Neutralitätspflicht bestand immer nur darin, dass wir keine Partei bevorzugen.
Unsere Kampagne bezieht sich auf die Bewegung, die man heute „Neue Rechte“ nennt. Das ist ja ein merkwürdiges Sammelsurium, das aus den unterschiedlichsten Initiativen, Personen oder Organisationen besteht, und die AfD ist in vielen Landtagen bereits ihr parlamentarischer Arm. Gegen diesen Rechtspopulismus wollen wir deutlich Stellung beziehen. Dagegen richtet sich unsere Kampagne.
„Wir erheben unsere Stimme gegen die Feinde von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“
Überschreitet die DAH mit dieser Kampagne nicht die Grenzen ihrer Aufgaben?
Nein, überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Wir sehen uns in der Pflicht, unsere Stimme gegen die Feinde von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu erheben. Die menschenverachtende Politik der Rechtspopulisten läuft auch den Zielen einer erfolgreichen Präventionsarbeit zuwider und gefährdet den Erfolg, den wir seit vielen Jahren in Deutschland verzeichnen können. Darauf MÜSSEN wir geradezu hinweisen und uns positionieren.
Rechtspopulismus ist meist mit rigiden Vorstellungen verbunden
Welche Gefahren siehst du durch den Rechtspopulismus für die Arbeit und die Aufgaben der DAH-Mitgliedsorganisationen?
Die AfD und ihre Sympathisanten haben eine ziemlich einfache Vorstellung, wenn es um die HIV-Prävention geht. Dabei sind sie meist frei von jeder Sachkompetenz und stellen das auch regelmäßig unter Beweis. Das ist auch bei den Homosexuellen in der AfD nicht anders.
Wer wissen will, was das Ergebnis einer solch rigiden Politik ist, der muss einen Blick nach Russland werfen. Die ganzen Repressionen dort haben zu einer regelrechten Explosion der HIV-Epidemie geführt. Das wären auch bei uns in Deutschland die Folgen einer AfD-Politik, die nicht weniger restriktiv ist, wenn es um HIV, um Drogengebrauch, um Schwule oder um das Thema Prostitution geht. Die setzen auf „Law & Order“ und erreichen damit so ziemlich das Gegenteil von dem, was man eigentlich will.
„Meist frei von jeder Sachkompetenz“
Ich glaube auch nicht, dass die überhaupt wissen, wie erfolgreich Deutschland in der HIV-Prävention ist und dass wir im internationalen Vergleich eine sehr niedrige Prävalenz vorzuweisen haben. Vermutlich ist es ihnen auch egal, denn es widerspricht ihrer Auffassung.
Von der anti-islamischen, ausländerfeindlichen und nationalistischen Haltung rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen fühlen sich durchaus auch Schwule und Lesben angesprochen, genauso Drogengebraucher_innen und andere sozial Benachteiligte, die einen Verteilungskampf mit Migrant_innen und Geflüchteten fürchten. Kannst du diese Haltung nachvollziehen?
Natürlich kann ich es nachvollziehen, wenn sich Menschen benachteiligt fühlen. Aber der Punkt ist doch, dass solche Gruppen von den Rechtspopulist_innen nur instrumentalisiert oder gegeneinander ausgespielt werden. Lösungen gibt es von ihnen nicht.
„Gift und Galle gespuckt gegen die Eheöffnung“
Die AfD hat für mich als Schwulen nichts übrig. Wenn die so tun, als hätten sie ein Herz für die Anliegen von LGBT, dann ist das geheuchelt. Als vor ein paar Wochen im Bundestag binnen weniger Tage die Eheöffnung und die Rehabilitierung der Opfer des Paragrafen 175 beschlossen wurde, haben die Rechtspopulist_innen Gift und Galle gespuckt. Gleichzeitig wollen sie um meine körperliche Unversehrtheit besorgt sein, weil ein Moslem mich angreifen könnte? Danke, darauf kann ich verzichten.
Gerade das Verhalten der homosexuellen Menschen, die sich in besonderer Weise in der rechten Bewegung engagieren, ist für mich unverständlich. Die AfD-Spitzenkandidatin führt als lesbische Frau ein Lebensmodell, das ihre eigene Partei als minderwertig betrachtet und sozial für unerwünscht hält. Es gibt den schwulen Mann, der sich in der Öffentlichkeit als strammer Rechtspopulist geriert und zugleich im Internet nach „Jungstuten zum Besamen“ sucht. Da frage ich mich schon: Wie passt das zusammen?
Mir scheint, da kämpft mancher einen Kampf gegen sich selbst. Sich als Schwuler oder als Lesbe für die Ideen der Neuen Rechten zu begeistern, gleicht einem homopolitischen Kamikaze-Kurs.
Angriffe auf sexualpädagogische Präventionsarbeit
Der Rechtsruck geht in Deutschland durch die gesamte Gesellschaft und gesellschaftliche Bereiche. Ist er auch innerhalb der DAH-Mitgliedsorganisationen zu spüren? Wie macht er sich dort bemerkbar?
„Irgendwer muss immer bedroht sein“
Ich glaube, dass in unseren Mitgliedsorganisationen vor allem die Kolleg_innen betroffen sind, die an Schulen sexualpädagogische Präventionsarbeit leisten und mit Jugendlichen arbeiten. Sie erfahren Angriffe und Vorwürfe aus dem rechten Spektrum, etwa den der Frühsexualisierung oder der Verführung.
Das ist im Grunde genommen ganz großer Blödsinn, aber die Neue Rechte arbeitet stets mit solchen Mechanismen. Irgendwer muss immer bedroht sein: Die Nation, das Volk, die Frauen, die Ehe, die Familie oder eben auch Kinder. Sonst funktioniert dieser ganze Hokuspokus nicht. Mal kommen solche Vorwürfe von einer örtlichen AfD-Gruppe, mal von der Initiative für Familienschutz.
Auf Bundesebene hat es von den Homosexuellen in der AfD bereits Forderungen gegeben, unserem Verband die Fördergelder zu streichen, und wir wurden als linksgrüne Parasiten beschimpft. Es gab auch mehrere Aufrufe, am Welt-Aids-Tag nicht mehr für die Aidshilfe zu spenden. Manchmal steht auch unsere Arbeit mit Geflüchteten in der Kritik. Dann gibt es diese Neid-Debatte, dass „die“ alles kriegen.
Wie sollte darauf reagiert werden?
Wir reagieren eigentlich immer ganz sachlich darauf. Um beim Beispiel der Arbeit mit Jugendlichen zu bleiben: Wir erklären dann ganz nüchtern, was wir an den Schulen machen, klären über Inhalte und Methoden auf und machen die Arbeit transparent. Was soll man auch sonst tun? Die Rechten werden wir damit nicht überzeugen, die interessiert das wahrscheinlich auch nicht. Aber zumindest haben wir in der Öffentlichkeit deutlich gemacht, wie sich unsere Arbeit gestaltet.
Ich rate da mittlerweile zu Gelassenheit, auch wenn das manchmal nicht leicht ist. Aufklärung können wir doch sehr gut, warum nicht auch in solchen Fragen.
Rechtspopulismus ernst nehmen und ihm entgegentreten
Ist die anstehende Wahl eine Richtungsentscheidung? Stehen grundlegende gesellschaftliche und politische Werte auf dem Spiel?
Ich weiß nicht, ob ich einem möglichen Einzug der AfD in den Bundestag eine solche Bedeutung zukommen lassen würde. Natürlich wäre es eine andere Situation, wenn künftig auch Rechtspopulisten im Parlament sitzen. Die wären eine schrille Opposition, aber sie hätten eben keine Mehrheit.
Wir sollten auch nicht vorschnell die Flinte ins Korn werfen. Ob die AfD im Bundestag sitzt oder nicht, das wissen wir abends am 24. September. Und wir alle können etwas dafür tun, damit es nicht so kommt – nämlich von unserem Wahlrecht Gebrauch machen und eine andere Partei wählen.
„Wir sollten nicht vorschnell die Flinte ins Korn werfen“
Der Frust, die Unzufriedenheit über die gegenwärtige Lebenssituation führt bei manchen Menschen dazu, gar nicht mehr erst zur Wahl zu gehen. Bei der letzten Bundestagswahl haben fast ein Drittel der Wahlberechtigten nicht abgestimmt. Was kann man dieser Haltung entgegensetzen?
Ja, das ist schade. Wer nicht zur Wahl geht, macht ja dadurch nichts besser, sondern überlässt anderen das Spiel. Deshalb rufe ich die Menschen in unserer Community dazu auf, am 24. September wählen zu gehen. Wählt, aber fallt nicht auf die einfachen Versprechungen der Rechtspopulisten herein. Von denen haben wir nichts zu erwarten.
Wir wissen noch nicht, wer das Land nach der Bundestagswahl regieren wird. Unabhängig vom Wahlausgang: Welche Wünsche gibt es aus Sicht der DAH an die neue Regierung? Was müsste dringend angepackt werden?
Wünsche hätten wir viele! Ein Umdenken in der Drogenpolitik und endlich die Traute, neue Wege zu gehen. Der Krieg gegen die Drogen ist längst verloren, wir brauchen neue Strategien. Wir würden uns wünschen, dass Menschen ohne Papiere oder Versicherung endlich Zugang zu unserem Gesundheitssystem bekommen und eine Therapie erhalten, falls sie HIV-positiv sind. Wir fordern, dass die PrEP endlich von den Krankenkassen für diejenigen finanziert wird, die sie brauchen, um HIV-negativ zu bleiben. Wir würden uns wünschen, dass das Prostituiertenschutzgesetz in der nächsten Legislatur so überarbeitet wird, dass es diesen Namen auch verdient. Und natürlich wünschen wir uns, dass die HIV-Prävention in Deutschland weiterhin ein Anliegen bleibt, das öffentlich gefördert wird.
Dieses Interview ist Teil unserer Kampagne „Vielfalt gegen rechte Einfalt“: Hier geht es zu weiteren Inhalten und Materialien.