Mein Name ist Barbara Fink und ich arbeite in der Erwachsenenbildung. Mein Arbeitsplatz unterscheidet sich von dem anderer Lehrer. Ich unterrichte suchtkranke Rechtsbrecher in der Vitos Klinik für forensische Psychiatrie Hadamar. Über die Herausforderungen meines Berufes möchte ich nun berichten.
Von Alphabetisierung bis Realschulabschluss – Die Lerninhalte sind breit gefächert
Meine Hauptarbeit besteht darin, Unterricht für ausländische Patienten zu geben. Damit eröffne ich den ausländischen Schülern die Möglichkeit, ihre anstehende Therapie durchzuführen. Ohne Deutschkenntnisse können sie die schriftlichen Aufgaben nicht bearbeiten, welche ein Bestandteil ihrer Therapie sind. Daneben unterrichte ich fortgeschrittene Teilnehmer in Deutsch- und Englischkursen, um sie für den Eintritt in die Haupt- oder Realschule vorzubereiten.
Während mein Unterricht das ganze Jahr und ohne große Pausen stattfindet, gibt es bei uns daneben noch einen offiziellen Schulzweig, der von der VHS Limburg-Weilburg unterrichtet wird. Hier erhalten „Nichtschüler“ (amtliche Bezeichnung in Hessen für erwachsene Schüler) die Möglichkeit, einen staatlich anerkannten Haupt- oder Realschulabschluss zu machen. Der Unterricht der VHS findet für Realschüler an vier Tagen der Woche von 8:30 Uhr bis 12:00 Uhr statt. Der Hauptschulkurs besetzt nur drei Vormittage in der Woche. Die Hauptfächer Deutsch, Mathe und Englisch werden jeweils als Doppelstunde unterrichtet, Fächer wie Biologie und Erdkunde als Einzelstunde. Um einen Kurs zu bilden, müssen sich mindestens fünf Teilnehmer finden. Männer und Frauen werden in getrennten Klassen unterrichtet. Die Nachfrage ist hoch. Meist haben wir keine Probleme, genügend Teilnehmer zusammenzukriegen. Mit den Fächern Deutsch, Englisch und Erdkunde bin auch ich an dieser Schulform beteiligt.
Beide Kurse sind an die Ferien sowie die Prüfungszeiten der auswärtigen staatlichen Schulen angepasst.
Doch zurück zu meinen eigentlichen Aufgaben in der Vitos Klinik für forensische Psychiatrie Hadamar. Im Unterricht liegt der Schwerpunkt meiner Arbeit darauf, den Teilnehmern Grundlagen, wie die Alphabetisierung zu vermitteln, aber auch ihren Wortschatz umfassend zu erweitern. Im Fortgeschrittenenkurs liegt der Fokus mehr auf dem Erlernen des freien Schreibens, mit der Fähigkeit Gedanken, Gefühle sowie literarische Kreativität umzusetzen. Daneben bemühe ich mich gleichfalls, fächerübergreifend zu unterrichten und den Schülern etwas über die deutsche Geschichte oder auch die Geschichte von Hadamar zu vermitteln. Genauso lernen die Teilnehmer, wie man Lebensläufe erstellt, Bewerbungen schreibt oder was es bei Ämtergängen zu beachten gibt.
Meine Neugierde führte mich zu diesem Job
Seit 2007 mache ich diesen Job bereits und ich werde nicht müde, mich den täglichen Herausforderungen zu stellen. Es wird ein hohes Maß an Flexibilität und Sensibilität von mir erwartet. Jeder Tag ist anders, auch wenn die Unterrichtsfächer immer gleich sind. Niemand kann im Vorfeld wissen, wie die Motivation und die Laune der Schüler ist. Sie wollen Neues lernen, haben aber andererseits viel damit zu tun, sich selbst erst einmal richtig kennenzulernen. Ursprünglich bin ich Gymnasiallehrerin und habe früher auch als solche gearbeitet. Irgendwann hat mich die Neugierde auf ein ganz neues schulisches Umfeld gepackt, was mich dann dazu bewegt hat, meine jetzige Stelle anzunehmen. Ich habe mich schon immer für verschiedene Schulformen interessiert und im Maßregelvollzug habe ich zuvor noch nie unterrichtet. Die Arbeit ist interessant und die Teilnehmer sind dankbar, dass man ihnen eine Chance auf Bildung gibt. Und sie hat einen besonderen Kontext. Meine Schüler sind suchtkranke Menschen, die eine Straftat begangen haben. Ich muss ihre besonderen Lebensumstände und Vorgeschichten berücksichtigen, sie immer aufs Neue motivieren und ihnen Lust auf das Lernen machen.
Schulabschluss als Chance auf ein besseres Leben
Zu Anfang des Schuljahres sind die meisten Teilnehmer sehr motiviert. Sie haben den Ernst ihrer Lage erkannt und möchten einen Schulabschluss erwerben, um später, nach ihrer Entlassung, einen Job oder einen Ausbildungsplatz zu finden. Das gilt vor allem für die Teilnehmer, die gar keinen Schulabschluss haben. Einige haben nicht einmal die Grundschule beendet. Doch Schule bedeutet Kopfarbeit, Hausaufgaben und tägliche Präsenz. Für manche Teilnehmer ist das Wort „Struktur“ ein Fremdwort. Für sie ist der Schulalltag sehr schwer durchzuhalten. Somit machen längst nicht alle einen Schulabschluss. Entweder sie steigen schon während des Haupt- oder Realschulkurses aus oder sie fallen bei den Abschlussprüfungen durch. Dennoch kann ich auf die meisten meiner Schüler sehr stolz sein. Gerade im letzten Jahr haben zwei Teilnehmer des Realschulkurses einen Einserabschluss gemacht. Sie sind nun dabei, draußen an einem Fachgymnasium ihr Abitur zu machen, damit sie später eventuell studieren können.
Schaue ich insgesamt auf die unterschiedlichen Teilnehmer, so bringen diejenigen des Integrationskurses die größte Motivation mit. Sie müssen an diesem Kurs teilnehmen, um die deutsche Sprache zu lernen. Sie sind aus ihrer Heimat geflohen und möchten sich nun in Deutschland integrieren und sich ein besseres Leben aufbauen. Sie sind sehr interessiert und wollen möglichst schnell viel lernen.
Ängste nehmen und die Lust am Lernen wecken
Für viele Teilnehmer ist, aufgrund ihrer Vorgeschichte, die Schule mit Versagensängsten und Demütigungen verbunden. Es ist natürlich eine große Herausforderung, ihnen die Ängste zu nehmen und ihre Lust am Lernen zu wecken. Damit sie Vertrauen aufbauen, ist es wichtig, ihnen Sicherheit und Beständigkeit zu vermitteln. Bei uns wird niemand einfach im Regen stehen gelassen. Wenn Schüler mit dem Unterrichtsstoff Probleme haben, bekommen sie von mir Nachhilfe. Das gilt auch für schwierige Prüfungsaufgaben. Hierzu ein Beispiel: Jeder Schüler muss als Teil seiner Abschlussprüfung eine Präsentation halten. Viele bringt das zur Verzweiflung, da sie so etwas noch nie gemacht haben. Die Präsentation muss ein Thema zum Inhalt haben, das in keinem Unterrichtsfach behandelt wurde, aber dennoch fachlich einzuordnen ist. Kommt ein Schüler mit dieser Aufgabe nicht zurecht, setze ich mich mit ihm zusammen und wir überlegen, was ihn interessieren könnte oder welchen Themenwunsch er hat. Hierbei kommen oftmals sehr interessante Themen zustande, wie zum Beispiel: der Prophet Mohammed, der Vesuv, Klimawandel oder Che Guevara. Es ist immer wieder eine Freude zu sehen, mit wie viel Eifer die Schüler sich dann in die Arbeit stürzen. Das Schwierigste an allem ist nämlich, wie bei anderen Dingen auch, erst einmal den Anfang zu finden.
Geduld und Flexibilität sind unverzichtbar
Wie an dem Beispiel der Präsentation gezeigt, ist Schule, so wie sie sich in unserem Haus darstellt, nicht einfach. Das liegt nicht nur an den Schülern, die suchtkrank sind, ein Alter von 18 bis 60 Jahren haben und aus allen erdenklichen Erdteilen kommen. Es liegt auch daran, dass die Arbeitssituation nicht mit den herkömmlichen Schulen zu vergleichen ist. Wir haben andere Rahmenbedingungen. Daher können wir, meine Kollegen von der VHS und ich, nicht so frei arbeiten, wie die Kollegen „draußen“. Wir müssen für unseren Job viel Flexibilität und Geduld mitbringen. Stets sind wir bemüht, den Horizont unserer Schüler zu erweitern, ihnen immer wieder alles aufs Neue zu erklären. Egal, ob in Deutsch, Mathe, Bio oder einem anderen Fach. Das bedeutet, dass wir vor allem prüfungsrelevante Unterrichtsinhalte vermitteln. Da bleibt keine Zeit, Effi Briest zu lesen oder eine große Gedichtanalyse durchzuführen, auch wenn es im Curriculum (Stoffinhalte der Jahrgangsstufe 9./10. Klasse) der Real- bzw. Hauptschule steht. Will man Literatur aus den unterschiedlichen Epochen lesen, muss man zu mir in den erweiterten Deutschkurs der Vitos Klinik für forensische Psychiatrie Hadamar kommen.
Ist der Job, Lehrerin im Maßregelvollzug, auch noch so aufwendig, so gibt es meiner Meinung nach keine dankbareren Schüler als hier. Ich würde mich jederzeit wieder für diesen Weg entscheiden.
Bildquelle: Vitos