„And the Band Played On“: Vor 30 Jahren erschien Randy Shilts bahnbrechendes Buch über die ersten Jahre der Aids-Epidemie in den USA
Ein Buch, zumal mit mehreren Hundert Seiten Umfang, mit einem Vielfachen an Fußnoten und basierend auf fast 900 Interviews und Abertausenden Dokumenten, schreibt sich nicht so nebenbei. Für die finale Phase hatte sich Randy Shilts 1986 deshalb ein halbes Jahr Auszeit von seiner Redaktionstätigkeit beim „San Francisco Chronicle“ genommen.
Wer, wenn nicht er, hatte sich der damals 35-jährige Journalist gesagt, würde sich sonst daransetzen, die Geschichte eines fatalen Versagens aufzuschreiben und öffentlich zu machen? Mit Aids, dieser neuen, immer noch mysteriösen Krankheit, wollte niemand so richtig etwas zu tun haben: Aids, das war diese Seuche der Schwulen und der Junkies. Nichts, wofür sich die breite Öffentlichkeit wirklich zu interessieren schien, und nichts, mit dem man sich als Politiker_in oder Journalist_in profilieren konnte.
Dies wurde Shilts zum ersten Mal deutlich, als er 1983 für einen seiner ersten Artikel über die neue Seuche von einem Journalistenverband ausgezeichnet wurde. Der Moderator, ein landesweit bekannter Nachrichtensprecher, wusste nichts Besseres, als den Preisträger mit einem abgeschmackten schwulenfeindlichen Aids-Witz zu begrüßen. Kaum einem im Saal schien das tatsächlich unangenehm aufzufallen.
Randy Shilts – Chronist der frühen Jahre der Aids-Epidemie in den USA
Randy Shilts, geboren 1951, hat die Entwicklung der HIV-Epidemie bereits von einem frühen Zeitpunkt an journalistisch begleitet. Er kümmerte sich beim „San Francisco Chronicle“ ab 1982 ausschließlich um dieses Thema, während es selbst überregionalen Medien wie dem „Wallstreet Journal“ noch keine einzige Zeile wert war.
Seine intensive journalistische Begleitung dieser ersten Jahre der Epidemie, die Auswirkungen insbesondere auf die schwule Community sowie seine tiefgreifenden Recherchen zur Epidemiologie in den USA münden schließlich in seinem Buch.
Tausende Menschen starben an Aids, aber kaum jemanden schien das zu kümmern
„Business as usual“ hatte der Titel zunächst heißen sollen, der Verlag entschied sich dann für „And the Band Played On“. Die Message, die Shilts zum Ausdruck bringen wollte, blieb: Tausende Menschen starben an Aids, aber kaum jemanden schien das wirklich zu kümmern. Die deutsche Ausgabe erschienen 1986, trug dann den eher nüchternen Titel „AIDS – Die Geschichte eines Versagens“.
Und versagt haben in diesen entscheidenden ersten Jahren der Aidskrise fast alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen, wie Shilts in seiner fast thrillerhaft erzählten und im Übermaß mit Fakten und Belegen gesättigten Dokumentation aufzeigt: Die Medien, die die Epidemie erst verschwiegen oder sie als „schwule Seuche“ abtaten; die Regierung in Washington, die die Seuche viel zu lang ignorierte und viel zu wenige Gelder bereitstellte, um den Erkrankten zu helfen beziehungsweise um Forschung, Behandlung und Prävention voranzutreiben.
Auch innerhalb der schwulen Community sieht Shilts Versäumnisse und schildert deren erbitterten Streit um die vorsorgliche Schließung schwuler Saunen in seiner Heimatstadt. Noch Jahre später wird Shilts für diese in den Augen mancher Schwuler sexualfeindlichen und moralisierenden Haltung öffentlich bespuckt und ausgebuht werden.
Die Epidemie in den USA hätte verhindert werden können
Shilts war sich sicher: Hätten die entscheidenden Institutionen – angefangen von den Gesundheitsbehörden über Pharmaunternehmen bis hin zum Weißen Haus – rechtzeitig und richtig reagiert, hätte die Epidemie in den USA verhindert werden können.
Sein Buch ist so auch als Anklageschrift samt Beweisführung für ein Staatsverbrechen zu lesen: Zum Zeitpunkt des Erscheinens waren allein in den USA bereits 12.500 Menschen an den Folgen von Aids verstorben. Seine Chronik endet mit dem Tod von Rock Hudson. Ein Ereignis, dass den öffentlichen Diskurs in den USA schlagartig veränderte und nun auch Präsident Ronald Reagan zum Handeln zwang.
Ein überraschender internationaler Erfolg
Als am 2. Oktober 1987 die ersten Exemplare von „And the Band Played On“ in die Buchhandlungen ausgeliefert wurden, machte sich Shilts keine allzu großen Hoffnungen, dass sein Buch wirklich erfolgreich und folgenreich sein würde.
Er sollte sich täuschen. Nicht nur, dass es landesweit von allen wichtigen Zeitungen überwiegend enthusiastisch rezensiert wurde und fünf Wochen lang auf der Bestsellerliste der „New York Times“ stand.
Indem Shilts das komplexe Thema eng mit den Geschichten realer Personen – Aktivist_innen, Erkrankte, Ärzt_innen und Forschende – verknüpft und die Leser_innen durch das gesamte Buch hindurch begleitet, gelang es ihm, eine äußerst breite Leserschaft zu fesseln. So erhielten die Ergebnisse seiner investigativen Recherchen nicht nur ein breites Echo, sondern zeigten tatsächlich auch Wirkung. „Er hat wahrscheinlich im Alleingang die Welt mehr über Aids informiert als jede andere Person“, würdigte ihn der Aktivist und ACT-UP-Gründer Larry Kramer in einem Nachruf.
Sein HIV-Test-Ergebnis ließ er sich erst nach Abschluss des Manuskripts mitteilen
Randy Shilts hatte sich auf HIV testen lassen, als er noch mitten in der Arbeit für sein Buch steckte. Seinen Arzt hatte er jedoch gebeten, ihm das Ergebnis erst nach Abschluss des Manuskripts mitzuteilen, um seine journalistische Integrität nicht zu beeinflussen. Am Tag, nachdem die finale Version an den Verleger verschickt war, erfuhr Shilts schließlich von seiner HIV-Infektion, an deren Folgen er 1994 im Alter von 42 Jahren starb.
Durch seine Aidserkrankung bereits sehr geschwächt war es ihm 1993 dennoch möglich, einer öffentlichen Vorführung der Verfilmung von „And the Band Played On“ beizuwohnen. Die ersten Drehbuchversionen hatten zwar schon kurz nach Erscheinen von Shilts’ Buch vorgelegen, doch es sollte noch viele Jahre dauern, bis sich ausreichend Hollywoodstars trauten, in einem Spielfilm über Aids mitzuwirken.
Die 140-minütige HBO-Fernsehproduktion – unter anderem mit Matthew Modine, Richard Gere, Ian McKellen und Lily Tomlin – schaffte es hierzulande unter dem Titel „Und das Leben geht weiter“ dann sogar in die Kinos.