Ärzte sind den Umgang mit dem Tod gewöhnt – mehr oder weniger. Besonders makaber wird es aber, wenn Ärzte bereits verstorbene Patienten weiter behandeln…
Wie das gehen soll? Ganz einfach:
In zahlreichen Fällen wurden bereits verstorbene Patienten behandelt und Kosten für Untersuchungen und Behandlungen bei den Kassen geltend gemacht.
Die Abrechnung mit Verstorbenen ist kein Einzelfall – die kassenärztlichen Vereinigungen stellen dieses Vorkommnis allerdings gerne als Einzelfall dar.
Die Masche ist bereits uralt!
Panorama berichtete am 6. Februar 2003: Im Jahr 2002 ermittelten die Krankenkassen gegen über 6500 Ärzten wegen gefälschter Abrechnungen.
Und dann die Sache mit den toten Patienten, die noch abgerechnet wurden…
Frau Dorothee Meusch von der Techniker Krankenkasse gegenüber Panorama:
„Wir haben rund 240 Fälle ermittelt, in denen der Patient (…) bereits verstorben war (…)“
Frau Anette Rogalla, kaufmännische Krankenkasse Hannover:
„Wir haben in 271 Fällen den begründeten Verdacht, dass Ärzte abgerechnet haben, obwohl die Patienten bereits tot waren (…).“
Bei der DAK wurde ebenfalls geprüft wie viele Patienten anscheinend noch als leibhaftige Geister bei Ihren ehemaligen Ärzten auftauchten. Jörg Bodanowitz von der DAK: „(…) das in 600 Fällen die Patienten bereits verstorben waren.“ Beim Phänomen der lebenden Toten gehen die Kassen von noch weit höheren Dunkelziffern aus.
Die Abrechnung von Leistungen für bereits Verstorbene ist nur die krasseste Form des Betruges. Ein weiterer beliebter Ansatz an das Geld der Versicherten zu kommen, sind falsche oder übertriebene Diagnosen. Denn Hausärzte erhalten mehr Mittel aus dem Gesundheitsfond, wenn sie viele chronisch Kranke betreuen. Eigentlich sollte damit die Versorgung älterer und schwerkranker Patienten sichergestellt werden, die einen höheren Zeitaufwand für den Arzt erfordern. Nach Inkrafttreten der sozialen Korrektur-Maßnahme wurden einfach immer mehr Patienten zu chronisch Kranken deklariert und die Geld-Quellen sprudelten höher. Was als sozialer Ausgleich beabsichtigt war, war vielfach durch einen betrügerischen Mitnahme-Effekt mit System gekennzeichnet. Schnell gab es für die niedergelassenen Ärzte eine spezielle Software, die die Diagnose tendenziell auf die „chronische Schiene“ lenkte.
Die Phantasie von Ärzten, Apothekern, Pflegediensten, Sanitätsfachgeschäften und Therapeuten immer neue Maschen zu erfinden ist grenzenlos. Rezepte werden handschriftlich manipuliert, mehr Leistungen in Rechnung gestellt als erbracht, billige Produkte geliefert und teure in Rechnung gestellt und aus einer Gruppen-Therapie werden viele Einzel-Gespräche. In Berlin verteilte eine Ärztin Taschengeld an Jugendliche und scannte im Gegenzug deren Versichertenkarten mit einem mobilen Erfassungsgerät. Statt Patienten zu behandeln rechnete die Medizinerin nur noch Phantasie-Leistungen ab.
Hans Unterhuber wundern solche Skandale nicht. Der Vorstandschef der Siemens-Betriebskrankenkasse hält solche Vorkommnisse für geradezu zwangsläufig, denn
„unser Abrechnungssystem lädt zur Manipulation geradezu ein. Alle Insider wissen das seit Jahren“.
Ein Abrechnungssystem, das zum Betrug geradezu einlädt!
Die frustrierende Feststellung äußerte Unterhuber 2016 in einem Zeit-Interview, nachdem bereits 2004 ein Instrument zur Eindämmung der Betrügereien geschaffen wurde.
Seit dem unterhalten Krankenkassen und Ärzteverbände bundesweit 170 Meldestellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten. Jeder kann Verdachtsfälle anonym über Internet-Portale zur Anzeige bringen (beispielsweise https://www.gkv-spitzenverband.de/service/fehlverhalten_im_gesundheitswesen/fehlverhalten_im_gesundheitswesen.jsp).
53.000 Verdachtsfälle kamen dabei in den Jahren 2010/11 zusammen, von denen freilich nicht alle verifiziert werden konnten. So kam es in Niedersachsen in den beiden Jahren zu 26 Strafanträgen, von denen 9 nicht verfolgt wurden.
Das Melde-System leidet auch unter mangelnder Kooperation der Krankenkassen untereinander. Zudem lässt die Vernetzung der Versicherungen mit den Ärzteorganisationen an diesem Punkt zu wünschen übrig. Nur in Bremen haben sich die GKVs zusammengeschlossen und damit schon so manchen Betrug entlarvt. Entsprechende Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften gibt es nur in Thüringen und Hessen, daneben wurden erst in 5 Bundesländern Kripo-Fachgruppen eingerichtet.
Betrug wird unterschiedlich verfolgt: Mal ab 50.- Euro, mal erst ab 5.000.- Euro!
Die Beweise, die bei regelrechten Razzien in Krankenhäusern wie der Charité sichergestellt wurden, führen jedoch oft nicht zum Verfahrensziel. Grund ist der regional unterschiedliche Umgang der Justiz mit der Materie. Die Arbeitsüberlastung der Staatsanwaltschaften erfordert eine Beschränkung auf das Wichtigste.
Und was darunter genau zu verstehen ist, daran scheiden sich die Geister. Ansichtssache ist beispielsweise die Schadenssumme, ab der sich ein Verfahren lohnt. Die eine Staatsanwaltschaft verfolgt den Betrug schon ab 50 €, die andere wird erst ab 5.000 € aktiv. Zudem sind die Rechtsauslegungen uneinheitlich, welche Abrechnungs-Manipulationen überhaupt als Betrug zu werten sind. In einigen Regionen haben es die Krankenkassen praktisch aufgegeben, Anzeige zu erstatten, weil die Justiz gar nichts unternimmt.
Dieses Durcheinander von Kompetenzen, unterschiedlichen Interessen und statistischen Methoden macht den Betrügern ihr Handwerk immer noch zu leicht.
Fraglich ist hierbei, warum Ärzte und andere Dienstleister im Gesundheitswesen überhaupt zu unlauteren Mitteln greifen? Sind die betrügerischen Ärzte unterbezahlt und vom Staat ungerecht behandelt? Oder sind die kriminellen Machenschaften aus purer Profitgier entstanden?
Wo bleibt denn bitte die Prävention?
Daneben drängt sich eine andere Frage auf. Warum werden die Unregelmäßigkeiten erst im Nachgang verfolgt und nicht präventiv verhindert? Wenn jeder Patient einzelne Leistungen beim Arzt oder in der Klinik unterschreiben müsste, würden die meisten Betrügereien bereits im Keim erstickt.
Man könnte auch überlegen, ob Ärzte nicht eine Rechnung an die Patienten verschicken – genauso wie bei Privatpatienten! Diese Rechnung wird dann von den Patienten bei der zuständigen Kasse eingereicht. Auch damit wären sicher eine Menge der gefälschten Abrechnungen sofort gestoppt. Oder der Leistungserbringer würde von vornherein das Risiko scheuen.
Seltsam erscheint es auch, warum wirksame Maßnahmen gegen den systematischen Betrug im Gesundheitswesen so schwerfällig in Gang kommen. Das Problem ist nun schon seit weit mehr als 10 Jahren in der Bearbeitung durch Krankenkassen, Ärzteverbände und Justiz. Vielleicht besteht gar kein echtes Interesse an der Beseitigung des Missstandes? Die Kassen sind derzeit ja gefüllt…
Diesen Beitrag habe ich im Dezember 2009 erstmals erstellt und und am 24.11.2017 überarbeitet.
Dieser Beitrag Abrechnungsbetrug: Wenn Ärzte tote Patienten behandeln… wurde erstmalig von Yamedo.de (René Gräber) auf Yamedo BLOG veröffentlicht.