Symposium zum Thema Amoktäter in der Vitos Akademie
In Sutherland Springs sterben 26 Menschen, als ein Mann in einer Kirche um sich schießt. In Las Vegas feuert ein 64-Jähriger bei einem Konzert in die Menge und tötet 58 Besucher. Diese Taten ereigneten sich in der jüngsten Vergangenheit.
Nicht nur in den USA, dem Land der liberalen Waffengesetzte, kommt es zu Amoktaten. Bei einem Anschlag in München tötete der 18-jährige Schüler David S. 2016 neun Menschen mit einer Schusswaffe. Am Düsseldorfer Hauptbahnhof fügte eine 37-Jähriger acht Menschen mit Axthieben schwere Verletzungen zu und stürzte sich anschließend von einer Eisenbahnbrücke.
Mad or bad? – krank oder kriminell? Was motiviert Amoktäter zu ihren schrecklichen Taten? Gibt es Warnsignale? Wie dürfen, können oder müssen wir darauf reagieren? Diese und weiter Fragen, galt es beim Symposium der Vitos Akademie Anfang September zu klären.
Großes Interesse bei den Teilnehmern
Zu der von der Vitos Akademie organisierten Veranstaltung kamen Klinikdirektoren, Fachärzte, Pflegekräfte, Sozialarbeiter, Pädagogen, Juristen und andere interessierte Fachbesucher. Rund 150 Teilnehmer fanden sich im Festsaal auf dem Vitos Gelände in Gießen ein.
Dr. Rolf Speier, Ärztlicher Direktor des Vitos Klinikums Haina und Dr. Matthias Bender, Ärztlicher Direktor des Vitos Klinikums Weil-Lahn hatten eingeladen und führten durch das Programm.
Forschungsergebnisse, Präventionsansätze und Interventionsstrategien
Die Referenten beleuchteten das Thema Amoklauf aus psychiatrischer, juristischer und polizeilicher Sicht. Die Wahrnehmung von Warnsignalen und psychopathologischen Auffälligkeiten stand dabei im Zentrum.
Ursula Zimmer, stellvertretende Ärztliche Direktorin der Vitos forensisch-psychiatrischen Ambulanz Hessen, Haina sprach über das Phänomen Amok in der forensischen Psychiatrie. Viele halten Amokläufe für eine Erscheinung der Neuzeit. Das stimmt nicht. Der erste verbürgte Amoklauf der deutschen Kriminalgeschichte, bei dem 14 Menschen ihr Leben verloren, fand bereits 1913 statt, berichtete sie.
In der forensisch psychiatrischen Ambulanz arbeitet man im multiprofessionellen Team zusammen. Die zu behandelnde Person steht dabei stets im Mittelpunkt. Das wird als personenzentrierter Ansatz bezeichnet. Ursula Zimmer und ihre Kollegen haben in den vergangenen Jahrzehnten Risikoprognoseinstrumente eingeführt und ein Nachsorgesetting etabliert. Das Ergebnis ist eine, im Vergleich zum Bundesdurchschnitt, deutlich geringere Rückfallquote.
Mit den Themen Risikoeinschätzung und Bedrohungsmanagent bei Personen, von denen eine mögliche Amoktat ausgeht, beschäftigte sich Dr. Jens Hoffmann, Leiter des Instituts für Psychologie und Bedrohungsmanagement IPBm in Darmstadt. Er betonte, dass sich Forschung und Praxis ergänzen müssen. In seinem Vortrag ging es ihm vor allem um die Unterscheidung zwischen psychotischen und nicht-psychotischen Tätern. So zeigen psychotische Täter vor oder auch während der Tat eine wahnhafte oder paranoide Symptomatik, nicht-psychotische Täter tun das nicht.
Die Bedeutung von institutionsübergreifender Zusammenarbeit
Dieter Rein, Leiter Abteilung Einsatz- und Ermittlungsunterstützung, Prävention des Hessischen Landeskriminalamts und Carsten Schenk, Leiter Psychologische Einsatz- und Ermittlungsunterstützung, Zentraler Polizeipsychologischer Dienst der hessischen Polizei, Polizeiakademie Hessen gaben spannende Einblicke in die Polizeiarbeit. Sie betonten, wie wichtig eine institutionsübergreifende Zusammenarbeit von Polizei, Justiz, Jugendämtern, Schulen, Psychiatrien und anderen Einrichtungen ist. Um das zu gewährleisten, wurde ein Bedrohungsmanagement-Team gegründet. Es ist mit unterschiedlichen Institutionen vernetzt. Ziel ist es, potenzielle Amoktäter zu identifizieren, bevor sie ihre Amokpläne in die Tat umsetzen können.
Risikokriterien für Amoktaten junger und erwachsener Täter
Seit Jahren befassen sich Prof. Dr. Britta Bannenberg, Professorin für Kriminologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Dr. Petra Bauer, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie mit der interdisziplinären Erforschung von Amoktaten und Amokdrohungen in Deutschland. Im Zuge dessen bauten sie ein Beratungsnetz zur Amokprävention auf. Es gibt eine Rufnummer für besorgte Menschen, die fürchten, eine Person aus ihrem Umfeld könnte eine Amoktat planen.
In ihrem Vortrag beleuchteten Prof. Dr. Britta Bannenberg und Dr. Petra Bauer Risikokriterien für Amoktaten junger und erwachsener Täter. Ergebnisse ihrer Forschung sind unter anderem, dass Amoktäter ihre Absichten im Vorfeld meist erkennen lassen. Das trifft besonders auf jugendliche Täter zu. Zudem sind jungen Amoktäter oft psychopathologisch auffällig, zum Beispiel narzisstisch oder paranoid. Häufig sind es zurückgezogene Einzelgänger. Auch erwachsene Amoktäter leben oft sozial zurückgezogen und haben Kontaktschwierigkeiten. Rund ein Drittel dieser Täter ist psychotisch, verbreitet ist vor allem die paranoide Schizophrenie. Der größere Teil der erwachsenen Täter ist nicht psychotisch, hat aber eine paranoide und/oder narzisstische Persönlichkeitsstörung. Auf Außenstehende wirkt ihr Verhalten häufig abweisend oder bedrohlich. Oft hegen solche Täter eine Faszination für Schusswaffen. Die Tat wird meist über Monate oder sogar Jahre geplant.
Ein Restrisiko bleibt
Für die erfolgreiche Prävention von Amoktaten braucht es eine gute institutionsübergreifende Vernetzung, so das Fazit des Symposiums. Dr. Matthias Bender fasst zusammen, dass den meisten Amoktätern die Spirale aus erlebter Kränkung, daraus resultierender Wut und dem Wunsch nach Rache gemein ist. Trotz zielgenauer Risikoprognosen und der Ableitung konkreter Maßnahmen bleibt immer ein Restrisiko bestehen.
Bildquelle: Dennis Möbus