In der Substitutionstherapie mangelt es oft an Vertrauen im Arzt-Patient-Verhältnis. Die reformierte Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung könnte für Besserung sorgen
Von Anne Rudelt und Christina Laußmann
Zahlreiche Studien zeigen: Die partnerschaftliche Einbeziehung der Patient_innen in die Behandlung trägt zum Therapieerfolg bei. Die Patient_innen wissen in der Regel gut über ihre Erkrankung und die Behandlungsmöglichkeiten Bescheid und können aktiv zum Gelingen der Therapie beitragen.
Dafür ist allerdings entscheidend, dass sie respektvoll behandelt und ernst genommen werden. In der Substitutionstherapie jedoch, der Behandlung von Opiatabhängigen mit Medikamenten wie z. B. Methadon, Morphin oder Buprenorphin, ist das häufig nicht der Fall.
Dies zeigt eine 2016 unter rund 760 Substitutionspatient_innen durchgeführte Umfrage des Drogen-Selbsthilfenetzwerks JES und der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH).
Sanktionen und Eingriffe in die Privatsphäre
Die Mehrheit der Befragten berichtete von drastischen Eingriffen in die Intim- und Privatsphäre: 64 % müssen ihr Substitutionsmedikament in Hör- und Sichtweite von anderen Patient_innen einnehmen. Bei fast der Hälfte findet die Urinabgabe zur Kontrolle von Beikonsum unter Aufsicht statt, in einigen Fällen sogar unter Videoüberwachung – eine strafbare Rechtsverletzung. Dabei gibt es längst Nachweisverfahren, die solche Praktiken überflüssig machen.
„Das sind alarmierende Ergebnisse“
Bei 85% wird der zusätzliche Gebrauch von Substanzen bestraft – am häufigsten (77 %) durch die Einstellung der Take-Home-Vergabe (Mitgabe des Substitutionsmedikaments für mehrere Tage), aber auch durch Dosisreduktion (19 %) oder völligen Stopp der Vergabe (13 %).
„Das sind alarmierende Ergebnisse“, sagt Dirk Schäffer, Referent für Drogen und Strafvollzug bei der DAH. „Der zeitweilige Konsum von psychoaktiven Substanzen ist ein Merkmal der Opiatabhängigkeit. Beikonsum und andere ‚Verfehlungen‘ zum Beispiel mit einer Dosisreduktion zu bestrafen, führt zu Ängsten bei den Patienten und gefährdet den Erfolg der Behandlung.“
Hinzu kommen unflexible Vergabezeiten sowie Verhaltensregeln für die Patient_innen: Bestimmungen zur Körperhygiene und Kleiderordnung, Verbot des Kontakts zu Drogenhilfen, die bestimmte Angebote wie Drogenkonsumräume bereithalten, oder Verbot des Aufenthalts im Umkreis der Praxis und an Szenetreffpunkten. Nicht selten müssen Substitutionspatient_innen ihre Ärzt_innen auch von der Schweigepflicht gegenüber anderen Einrichtungen entbinden.
Alles Punkte, die einem vertrauensvollen Arzt-Patient-Verhältnis im Weg stehen. Dabei ist die Substitutionstherapie eine kontaktintensive und in der Regel langjährige Behandlungsform – und damit geradezu prädestiniert für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit.
Substitutionstherapie: Mehr Patient_innen, weniger Ärzt_innen
Die gute Nachricht: Immer mehr Opiatabhängige nehmen eine Substitutionstherapie wahr – 2016 waren es etwa 78.500, so viele wie noch nie seit Einführung des Substitutionsregisters im Jahr 2002.
Die schlechte Nachricht: Seit Jahren kämpft die Substitutionsmedizin mit Versorgungsengpässen, unter anderem, weil zu wenige Ärzt_innen substituieren. Das soll sich jetzt durch die reformierte Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) ändern, die seit dem 1. Oktober 2017 in Kraft ist.
Bislang waren Substitutionsmediziner_innen häufig Strafandrohungen wegen der Überlassung eines Betäubungsmittels ausgesetzt – ein Grund, warum immer weniger Ärzt_ innen bereit waren, Opiatabhängige zu behandeln. Mit der neuen BtMVV wurde die Strafbewehrung aufgehoben. Für die Ärzt_innen bedeutet das mehr Rechtssicherheit.
Mehr Sicherheit für Ärzt_innen und eine flexiblere Versorgung
„Durch die neuen Regelungen könnte sich das belastete Arzt-Patient-Verhältnis deutlich entspannen“, sagt Dirk Schäffer. Hierzu dürfte auch beitragen, dass das oberste Ziel der Substitution nun nicht mehr die generelle Betäubungsmittelabstinenz ist: „Diese Erwartung führte in der Vergangenheit zu großem Druck, Misstrauen und Sanktionen“, erklärt Schäffer weiter. „Das Therapieziel ist nun der Realität angepasst: Die Substitution soll vor allem das Überleben der Patienten sichern, ihre Gesundheit stabilisieren und die Abstinenz von Straßenheroin bewirken.“
„Die Chancen für ein respektvolles Arzt-Patient-Verhältnis sind besser als je zuvor“
Auch insgesamt wird die Versorgung flexibler. Der zur Abgabe von Substitutionsmedikamenten berechtigte Personenkreis wurde z.B. um Mitarbeiter_innen von Pflege- und Suchthilfeeinrichtungen erweitert. Und nicht zuletzt haben Patient_innen nun mehr Selbstbestimmung, z.B. bei der Entscheidung über eine psychosoziale Betreuung sowie durch eine Flexibilisierung der Take-Home-Vergabe.
Die DAH und der JES-Bundesverband haben die lange geforderte BtMVV-Reform als Mitglieder des Expertengremiums begleitet. „Wir freuen uns, dass die Politik unsere Empfehlungen umsetzt“, sagt Dirk Schäffer. „Die nun geschaffene Rechtssicherheit trägt hoffentlich dazu bei, mehr Ärztinnen und Ärzte für die Substitution zu motivieren. Und die Chancen für ein respektvolles Arzt-Patient-Verhältnis in der Suchtmedizin sind besser als je zuvor.“