Im Gefängnis besteht noch immer eine Arbeitspflicht. Auf die Situation der Inhaftierten will ein Bündnis aufmerksam machen. Markus Bernhardt sprach mit Bärbel Knorr vom Arbeitsbereich Drogen und Strafvollzug der Deutschen AIDS-Hilfe
Der Text erschien zuerst in der Tageszeitung junge Welt vom 27. Oktober 2017; wir danken dem Autor herzlich für das Recht zur Zweitveröffentlichung.
Am 7. November finden in Berlin die Aktionstage Gefängnis statt. Worum geht es dabei?
Die Aktionstage Gefängnis sollen das Leben und die damit verknüpften Probleme hinter Gittern sichtbar machen. Vor einiger Zeit hat sich das gleichnamige Bündnis gegründet, in dem zahlreiche Vereine und Organisationen tätig sind, insgesamt eine ganz bunte Mischung. Wir wollen nach französischem Vorbild auch die Vernetzung und Organisierung derjenigen Initiativen, Gruppen, Verbände und Einzelpersonen fördern, die Gefangene bei der Wahrnehmung ihrer Interessen unterstützen und sich strafvollzugspolitisch engagieren.
„Sozialversicherung, Mindestlohn, Selbstorganisation“
Die Aktionstage Gefängnis knüpfen an die Tradition der „Journées Nationales Prison“ (JNP) in Frankreich und Belgien an. Es sollen strukturelle Probleme thematisiert und insgesamt soll auch die gesellschaftliche und politische Funktion von Strafe und Gefängnis kritisch hinterfragt werden. Am 7. November finden die ersten „Aktionstage Gefängnis“ in Deutschland statt. Das diesjährige Motto ist „Sozialversicherung, Mindestlohn, Selbstorganisation“.
Inhaltlich wollen Sie sich mit der Situation von Strafgefangenen in der Bundesrepublik beschäftigen. Diese unterliegen zwar im Knast einer gesetzlichen Arbeitspflicht, erhalten jedoch Entgelte weit unterhalb des Mindestlohns. Welche Folgen hat das für die Betroffenen?
Vor den Folgen würde ich gerne erst mal auf das Thema Zwangsarbeit eingehen. Oft sind die Leute erstaunt, dass es in Deutschland noch Zwangsarbeit gibt. Dies ist mit unserem historischen Hintergrund kaum vorstellbar. Im Artikel 12, Absatz 3 des Grundgesetzes steht, dass Zwangsarbeit nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig ist. In der Realität spielt dies keine große Rolle, Arbeit ist in Haftanstalten eher rar, und die meisten Gefangenen wollen arbeiten.
Hier ist meines Erachtens vor allem die Haltung, die sich hinter diesem Artikel verbirgt, das Problem. Die Zwangsarbeit sollte generell in Deutschland verboten sein, egal, um welche Lebenslage es geht.
„Gefangenen gebührt die gleiche Anerkenung wie anderen Beschäftigten“
Die Gefangenen erhalten ein bis zwei Euro Stundenlohn, je nach Tätigkeit und Qualifikation. Sie leisten eine Arbeit wie andere Arbeitnehmer auch und erwirtschaften gutes Geld für die Justizvollzugsanstalten. Ihnen gebührt dabei die gleiche Anerkennung wie anderen Beschäftigten. Wenn ein Mindestlohn gezahlt würde, könnte dies positive Effekte auf das Selbstwertgefühl und die Selbstachtung haben. Im Portemonnaie würde vermutlich nicht mehr bleiben, da die Justiz sicherlich Wege der höheren Selbstbeteiligung an den Haftkosten finden würde.
Ein weiteres Problem ist, dass für arbeitende Gefangene keine Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt werden. Dies ist insbesondere für Gefangene mit langen oder mehreren Haftstrafen ein Problem.
Das heißt also, dass Gefangenen trotz geleisteter Arbeit die Jahre der Inhaftierung für den Rentenanspruch fehlen?
Ja, es werden keine Beiträge entrichtet, weder zur Renten- noch zur Krankenversicherung. Deshalb hatten einige Gefangene vor knapp 20 Jahren geklagt. Das Bundesverfassungsgericht sah die Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge zwar auch als wünschenswert an, verpflichtete aber den Gesetzgeber nicht, die dafür im Strafvollzugsgesetz vorbereiteten Paragraphen in Kraft treten zu lassen.
Ergeben sich weitere Probleme?
Die fehlenden Beiträge können zu Altersarmut führen. Ein weiteres Beispiel: Wenn sich im Laufe der Zeit eine Erwerbsminderung oder Erwerbsunfähigkeit entwickelt, können aufgrund der Versicherungslücken die Anspruchsvoraussetzungen für eine entsprechende Rente fehlen.
Was wollen Sie unternehmen, um die Situation der Gefangenen zu verbessern?
Ein Anfang stellt unser Bündnis dar, in dem zahlreiche Organisationen vertreten sind, die sich für eine Verbesserung der Lebenssituation der Gefangenen einsetzen. In diesen Fragen braucht es einen breiten Zusammenschluss, da es in Gesellschaft und Politik große Vorbehalte gibt, sich für diese Gruppe einzusetzen. Die Auftaktveranstaltung findet am 7. November von 12.30 bis 16 Uhr in den Räumen der Deutschen Caritas in Berlin statt.
Bärbel Knorr arbeitet im Bereich Drogen und Strafvollzug der Deutschen AIDS-Hilfe.
Auftaktveranstaltung der Aktionstage Gefängnis 2017
Deutscher Caritasverband e.V., Berliner Büro, Reinhardtstr. 13, 10117 Berlin
12:30 bis 16:00 Uhr
12.30 Uhr: Ankommen & Snack
13.00 Uhr: Begrüßung und Eröffnung:
„Aktionstage Gefängnis 2017“
Karin Vorhoff, Deutscher Caritasverband e. V., Freiburg
13.15 Uhr: Grußwort von Jean Caël, Secours catholique, Paris
13.30 Uhr: Podiumsdiskussion
Moderation: Karin Vorhoff (Referatsleiterin „Sozialraum, Engagement und Besondere Lebenslagen“, Deutscher Caritasverband e. V., Freiburg)
Gäste: Oliver Rast (Mitgründer der GG/BO – Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation) und Martina Franke, GG/BO (Vertreterin der GG/BO Berlin)
Rechtsanwalt Dr. Sven-U. Burkhardt (Vertretungsprofessor an der FH Dortmund, Strafvollzugsarchiv)
Günter Danek (Vorstandsmitglied der Katholischen Bundes-Arbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe, Viersen)
Anke Stein (Leiterin der JVA Berlin-Moabit) (angefragt)
15.00 Uhr: Aufruf zu den Aktionstagen 2018 (Anaïs Denigot, Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe e. V., Bonn)
ab 15:15 Uhr: Markt der Möglichkeiten – Bündnispartner*innen stellen sich und ihre Arbeit vor
Es laden herzlich ein: Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe (BAG-S), Deutsche AIDS-Hilfe e.V., Europäisches Forum für angewandte Kriminalpolitik e. V., Evangelische Konferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland, Gefangenen-Gewerkschaft / Bundesweite Organisation (GG/BO), Freie Hilfe Berlin e.V. – Straffälligen- und Wohnungslosenhilfe, Gruppe Kiralina – Kein Knast steht für immer, Katholische Bundes-Arbeitsgemeinschaft im Deutschen Caritasverband (KAGS), Komitee für Grundrechte und Demokratie e. V., Strafvollzugsarchiv, Redaktionskollektiv „Wege durch den Knast“.
Kontakte für Rückfragen:
Anaïs Denigot (0151 – 47 91 58 20 / denigot@bag-s.de)
Falk Pyrczek (0151 – 50 50 39 75 / Falk.Pyrczek@googlemail.com)