Mit seinen „Bochow-Studien“ lieferte er verlässliche Daten zum Lebensstil und sexuellen Verhalten schwuler Männer in Deutschland. Am 26. März feiert der Berliner Sozialwissenschaftler Michael Bochow seinen 70. Geburtstag. Die magazin.hiv-Redaktion hat einige seiner beruflichen Weggefährten um ganz persönliche Grüße und Reminiszenzen gebeten.
Meine erste Begegnung mit Michael Bochow war digital. Im Vorfeld meines ersten empirischen Forschungsprojekts suchte ich mit einer höflichen E-Mail nach ein paar Ratschlägen. Seine Antwort folgte prompt und enthielt folgenden Zusatz: „Da man mich nicht ungestraft anmailt, bekommen Sie gleich zwei Schreibprodukte aus meiner Feder. Eines kennen Sie vielleicht schon, das andere aber bestimmt nicht. Außerdem noch ein Kapitel über gleichgeschlechtliches Leben in Frankreich; aus einem Buch eingescannt, falls Sie ein bisschen des Französischen mächtig sind.“ An diesem Tag ahnte ich noch nicht, dass diese E-Mail der Beginn einer liebevollen Tradition werden sollte. In den vielen Jahren, in denen aus einem respektvoll distanzierten akademischen Kontakt eine Freundschaft wurde, ist kaum eine E-Mail-Korrespondenz vergangen – und es waren derer gar viele –, in der mir Michael nicht den ein oder anderen Text aus seiner oder anderer Feder anhing, den er für mich wohl und nützlich zu lesen fand. Diese Fürsorglichkeit brachte ihm schon vor Jahren den Spitznamen „grundgütige Tante Hermine“ ein (weitere Details zur Etymologie dieses Spitznamens erspare ich aus Gründen der Diskretion). Wenn in der Wissenschaft sonst häufig von „akademischen Ziehvätern“, „Doktormüttern“ oder ähnlichen Verwandtschaftsgraden gesprochen wird, so möchte ich stolz behaupten, dass Michael Bochow zu meiner akademischen Patentante wurde. Und ich freue mich ganz besonders, dieser grundgütigen Patentante zu ihrem 70. Geburtstag zu gratulieren.
Richard Lemke, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Publizistik, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Zu seinem 70. Geburtstag wünsche ich dem weisen Dino aus Montebello (wieso ist noch keine Straße, kein Platz oder Park samt Klappe in Schöneberg oder Wien nach ihm benannt?) alles erdenklich Gute, Gesundheit und Freude an einem Leben, das vielgestaltig und kämpferisch war, ist und hoffentlich noch lange sein wird – dem unermüdlichen Kämpfer für die aussterbende Klappenkultur in Wien, Preußen und weltweit; dem leidenschaftlich forschenden Lieblingssoziologen schwuler Welten, Vorlieben und Lebensstile im Auftrag der Wissenschaft und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA); dem mit seinen Forschungsergebnissen Licht ins Dunkel bringenden habsburgtreuen und Kakanien liebenden Wissenschaftler der objektivierbaren Zahlenergebnisse rund um jenes Virus, welches für die schwule Community das Leben so nachhaltig veränderte; dem Zahlentiger, der die schwule Public-Health-Forschung mit bahnbrechenden Ergebnissen beglückt hat. Kurzum: der grundguten „Allahbesten“ noch ein langes erfülltes Leben und Dank für seine vielen Beiträge in den diskussionsfreudigen Seminaren von Martin Dannecker und mir in den vergangenen zehn Jahren hier im Waldschlösschen!
Wolfgang Vorhagen, Pädagogischer Mitarbeiter der Akademie Waldschlösschen
Warum nur habe ich bis heute das Gefühl, dass mir damals, Ende der Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts, als mich Michael Bochow in Frankfurt besuchte, um mit mir über das Forschungskonzept seiner ersten Studie über schwule Männer und Aids zu diskutieren, ein deutlich jüngerer Mann gegenübersaß, obwohl uns so viele Jahre ja nicht trennen? Vielleicht hat das damit zu tun, dass mir da einer gegenübersaß, der entschlossen war, in ein für ihn neues Forschungsfeld einzutreten und zu den allerbesten Hoffnungen berechtigte. Dass damit der Grundstein für eine Präventionsforschung gelegt wurde, die inzwischen als „Bochow-Studien“ geläufig ist, ahnten wir beide nicht. Im Nachhinein ist das aber nicht überraschend, denn der „junge Mann“ verfügte souverän über das Handwerkszeug, das ein empirisch tätiger Soziologe benötigt, war engagiert und mit einem Gespür ausgestattet für das, was sexualpolitisch in der Luft lag und nach wissenschaftlicher Durchdringung verlangte. Ohne diese Voraussetzungen wäre Michael Bochow nicht zu dem bedeutenden Soziologen der Sexualität geworden, der er seit geraumer Zeit ist. Nicht geahnt haben wir damals auch, dass aus dieser ersten Begegnung eine wunderbare wissenschaftliche und persönliche Freundschaft erwachsen würde, an der wir uns in den vergangenen Jahrzehnten gegenseitig labten.
Prof. Dr. Martin Dannecker, Sexualwissenschaftler
„Die Periode der Kaiserin Elisabeth zieht sich durch Wien wie ein roter Faden …” – dieser Satz geht mir seit unserem ersten gemeinsamen Wien-Aufenthalt im Jahre 2007 nicht mehr aus dem Kopf. Hätte Michael, ebenso wie Sissi, eine Periode, die einen Faden zöge – ich bin mir sicher –, dieser wäre deutlich sichtbar in Berlin. Es wäre in jedem Fall ein haarig durchsetzter Faden, und anders als Michaels berühmte Regenjacke wäre dieser nicht rot, sondern ein rosa haariger Plüschfaden.
Er finge vielleicht beim Schwulen Museum an, wände sich den Mehringdamm hinauf bis zur Barbie Bar und böge dann rechts ab, die Kreuzbergstraße hinunter Richtung Alter St.-Matthäus-Kirchhof, tüddelte sich dort um die Gräber verstorbener Wegbegleiter, vorbei am Efeuparlament der Erinnerung, um sich dann zum Herzen Schönebergs weiterzuschlängeln: zum Café Anderes Ufer (bleiben wir ruhig beim alten Namen …).
Von dort nähme er einen kurzen Umweg über die Grunewaldstraße zum Reichpietschufer (Max Reichpietsch war zwar keine Kapitänstochter, aber immerhin ein revolutionärer Matrose!), schlänge sich dort mehrfach um das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), um dann flott zur Goldelse zu streben und sich im Unterholz des nahegelegenen Tiergartens für mindestens einige wollige und lüstige Stunden zu verfusseln.
Was wüsste ich schon über das schwule Berlin, hätte es nicht Michaels stets grundgutes und immerwährendes Mentorat gegeben? Seine Einführungen in die Welt der Public Health, die soziologische Weltbetrachtung aus der Sicht der Ottomane, waren mir stets verlässliche mentale Begleiterinnen während der transition vom Mediziner zum Sozialepidemiologen. Alles Liebe zum Siebzigsten!
Dr. Axel J. Schmidt, Epidemiologe, London School of Hygiene and Tropical Medicine
Berlin, Mitte der 90er. Michael Bochow war der schwule Daten-Wart, wollte aber auf keinen Fall so genannt werden. Schließlich war er Soziologe. Ich war Soziologie-Student und Praktikant bei der schwulen Zeitschrift Magnus. Also kritisch. Ich stellte kleinliche Fragen und die ganzen Studien infrage. Er antwortete ruhig und differenziert und nahm auch den Disput über orthografische Feinheiten mit Freude an. Später lobte er meine Artikel, wenn sie sein Placet fanden, gerne nach Art eines Führungsoffiziers: „Du erhältst einen Eintrag in deine Kaderakte.“ Stets folgten „sozialistische“ oder „allahbeste Grüße“. Fotos von „Allahs Söhnen“ im E-Mail-Anhang mag man als seinen frühen Beitrag gegen Islamophobie betrachten. (Ich habe sie nie anders betrachtet.) Bei aller Wissenschaft behielt er stets die Emanzipation im Blick. Als Mann der Empirie erweiterte er die Methoden der Soziologie: Man muss von „begeistert teilnehmender Beobachtung“ sprechen. Das Private war ihm dabei politisch – und umgekehrt. Ich gratuliere sehr herzlich, bezweifle aber, dass er diese Online-Glückwünsche liest: Schließlich gehört er nach eigener Aussage der „Tintenfass-Generation“ an.
Holger Wicht, Pressesprecher der Deutschen AIDS-Hilfe
Weiterführende Beiträge:
„Es war alles eine glückliche Fügung“, Interview mit Michael Bochow (magazin.hiv, 26. März 2013)
„Ein außergewöhnlicher Homosexueller“, Michael Bochow über den Sexualwissenschaftler Martin Dannecker (magazin.hiv, 8. November 2012)