Eine auf der Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections (CROI 2018) vorgestellte Studie zeigt, dass Frauen in der Schwangerschaft ein fast drei Mal so hohes und in den sechs Monaten nach der Geburt ein vier Mal so Risiko einer HIV-Infektion haben wie sonst – so Daten aus zwei Präventionsstudien.
Von Gus Cairns*
Hintergrund
Vorherige Untersuchungen zur Frage, ob eine Schwangerschaft das Risiko erhöht, kamen zu keinem eindeutigen Ergebnis. Eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2014 ergab zwar ein um 30 % erhöhtes HIV-Risiko in der Schwangerschaft, allerdings war das Risiko nur in zwei Studien erhöht (doppelt so hoch), in den anderen Studien nicht.
Die neue, wesentlich umfangreichere Studie bestätigt nun, was seit langem vermutet wird: In der Schwangerschaft und Stillzeit ist das Risiko einer HIV-Infektion für Frauen besonders hoch. Als Begründung hierfür nennen die Forscher_innen nur biologische (hormonelle) Veränderungen in diesen Phasen.
Die vorgestellte Studie analysierte HIV-Infektionen bei Frauen, die an den HIV-Präventionsstudien Partners in Prevention oder Partners PrEP teilnahmen. Beide Studien untersuchten Ansätze, wie sich HIV-Übertragungen zwischen heterosexuellen Langzeit-Partnern mit unterschiedlichem HIV-Status verhindern lassen: In der ersten wurde Aciclovir gegeben, um das Herpes-Virus (HSV-2) bei den HIV-positiven Partner_innen zu unterdrücken, in der zweiten Studie bekamen die HIV-negativen Partner_innen Tenofovir mit oder ohne Emtricitabin als PrEP (Prä-Expositions-Prophylaxe).
Zwar funktionierte die HSV-2-Prophylaxe nicht, doch in der Partners-PrEP-Studie sank die Zahl der HIV-Infektionen bei den Teilnehmer_innen, die die PrEP bekamen, um zwei Drittel; die Studie gilt daher nach wie vor als einer der entscheidenden Belege für die Wirksamkeit der PrEP gegen heterosexuelle HIV-Übertragungen.
Die neue Studie
Die auf der CROI vorgestellte Studie untersuchte 2.751 HIV-serodifferente Paare aus den beiden Studien, bei denen die Frau HIV-negativ und zwischen 18 und 49 Jahre alt war und der HIV-positive Partner nicht unter antiretroviraler Therapie war. Sie umfasste auch Frauen, die in der Partners-PrEP-Studie in der PrEP-Gruppe waren, weil es in dieser Gruppe Infektionen gab; eine Sensitivitätsanalyse, bei der Frauen unter PrEP ausgeschlossen wurden, kam aber zu ähnlichen Ergebnissen.
Die Studie betrachtete die HIV-Infektionsrate bei Frauen in der Frühschwangerschaft (Schwangerschaftswochen 0–13), in der Spätschwangerschaft (SW 14 bis zur Geburt) und in den ersten sechs Monaten nach der Geburt („Post-Partum-Periode“).
Das Durchschnittsalter der Frauen lag bei 32 Jahren. Die durchschnittliche Frequenz des Geschlechtsverkehrs mit dem regelmäßigen Partner in den Monaten vor der Schwangerschaft lag bei vier Mal pro Monat. Bei schwangeren Frauen waren sowohl die Frequenz aller Sexakte als auch die Frequenz kondomloser Sexakte in der Frühschwangerschaft höher als in der Spätschwangerschaft und in der Phase nach der Geburt. In jedem beliebigen Monat gaben 24 % der Frauen an, Sex ohne Kondom praktiziert zu haben.
22 % der Frauen wurden während der Teilnahme an der Studie schwanger; dies entspricht einer Schwangerschaftsrate von 12,5 % je 100 Frauen pro Jahr. Von den insgesamt 686 Schwangerschaften führten 426 zu Geburten (einige Frauen waren zum Studienende noch in der Schwangerschaft).
HIV-Übertragung und HIV-Raten
Unter den Studienteilnehmerinnen gab es 82 neue HIV-Infektionen, die Gesamt-Inzidenz lag bei 1,62 % pro Jahr. Nicht enthalten in den 82 Infektionen war „nicht verbundene“ Infektionen, d. h. Infektionen durch andere Partner als den Hauptpartner.
Die HIV-Inzidenz stieg während der Schwangerschaft und in der Phase nach der Geburt erheblich an. Bei Frauen, die weder schwanger waren noch sich in der Post-Partum-Periode befanden, lag die Inzidenz bei 1,25 % pro Jahr, bei Frauen in der Frühschwangerschaft bei 3,75 %, in der Spätschwangerschaft bei 7,02 % und in der Post-Partum-Periode bei 4,68 %. Weil jedoch die Frauen in der Post-Partum-Periode am seltensten Geschlechtsverkehr hatten, war die Infektionsrate in diesem Zeitraum tatsächlich sogar höher als in der Schwangerschaft. Die Anzahl der Infektionen je 100 Geschlechtsakte lag bei nicht schwangeren Frauen oder Frauen in der Post-Partum-Periode bei 1,05, bei Frauen in der Frühschwangerschaft bei 2,19, in der Spätschwangerschaft bei 2,97 und in der Phase nach der Geburt bei 4,18.
In einer multivariaten Analyse wurden diese Zahlen dann für die Viruslast des Partners, das Alter der Frauen sowie die PrEP- und Kondomnutzung adjustiert.
Im Vergleich zum „Referenzwert“ des Risikos bei einer 25-jährigen Frau, die nicht schwanger ist, sich nicht in der Phase nach der Geburt befindet, keine PrEP macht und deren HIV-positiver Partner eine Viruslast von 10.000 Kopien/ml aufwies, lag das adjustierte (angepasste) relative HIV-Infektionsrisiko in der Schwangerschaft oder nach der Geburt bei 2,76, war also fast drei Mal so hoch, und zwar unabhängig von anderen Faktoren. Dies ist ein statistisch signifikanter Wert, das heißt, es ist sehr unwahrscheinlich, dass es sich um eine zufällige Beobachtung handelt.
Das relative Risiko im Vergleich zum Referenzfall lag in der Frühschwangerschaft bei 2,07, in der Spätschwangerschaft bei 2,87 und in der Phase nach der Geburt bei 3,97. Obwohl die Konfidenzintervalle in diesen Unterkategorien waren eher weit gesteckt waren, sind die Werte nichtsdestotrotz statistisch relevant und legen nahe, dass das größte, nämlich vier Mal so hohe Risiko in der Stillzeit auftreten kann. Dieses erhöhte Risiko trat unabhängig von der Tatsache auf, dass die Frequenz des Geschlechtsverkehrs und des Geschlechtsverkehrs ohne Kondom im Verlauf der Schwangerschaft abnahm.
Hormonelle Veränderungen
Die Forscherin Renee Heffron verwies darauf, dass sich die erhöhte Anfälligkeit für HIV-Infektionen in der Schwangerschaft und Stillzeit wahrscheinlich durch die hormonellen Veränderungen bei den Frauen erklären lasse, forderte aber weitere Studien, um die exakte Höhe dieses Risikos zu ermitteln.
Ähnliche Mechanismen könnten auch hinter dem laut manchen (nicht allen) Studien erhöhten HIV-Ansteckungs- und Übertragungsisiko bei Frauen stecken, die hormonelle Verhütungsmittel nehmen. Heffron empfahl, Frauen zum erheblich erhöhten Risiko in diesem Zeitraum zu beraten und weiter zu forschen, um die Ursache zu klären.
Bei einem Pressegespräch zu der Studie sagte Prof. Wafaa El-Sadr von der Mailman School of Public Health der Columbia University, dass die Leitlinien angesichts des sehr hohen Risikos von Frauen in der Schwangerschaft und nach der Geburt möglicherweise auch eine PrEP empfehlen sollten.
Quelle
Thomson KA, Heffron R et al. Female HIV acquisition per sex act is elevated in late pregnancy and postpartum. 25th Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections (CROI 2018), Boston, abstract 45, 2018.
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* Original: Study finds that women are much more vulnerable to HIV infection during pregnancy and in the months after giving birth, veröffentlicht am 5. März 2018 auf aidsmap.com; Übersetzung: Macfarlane International. Vielen Dank an NAM/aidsmap.com für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung!